Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet. Holger Dr. phil. Wohlfahrt

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Название Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet
Автор произведения Holger Dr. phil. Wohlfahrt
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783946959632



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langfristiges Ziel nur noch der Wunsch nach Ruhestand und viel frei gestaltbarer Zeit übrig. Passive Wünsche können jedoch nie sehr sinnstiftend sein, da sie nicht direkt beeinflussbar sind.

      Gerade in Phasen der Freizeit wird zudem oft erst deutlich, wie wenig ein Mensch ohne Lebenssinn mit dieser Zeit anfangen kann.

      Die Gestaltung der Freizeit stellt für viele eine Überforderung dar. Sie betäuben sich mit kurzen Gefühlshochs, die ihnen Unterhaltungsindustrie und Konsumwirtschaft bescheren. Oder sie versuchen verzweifelt, den Sinn der Arbeit in ihre Freizeit hinüberzuretten. Nicht wenige sind durchaus froh, wenn sie auch während des Feierabends noch vorgeblich wichtige und belastende Telefonate führen können oder eMails am Küchentisch diensteifrig bearbeiten dürfen. Die innere Langeweile und Leere kann damit gut kaschiert werden. Der Philosoph Mark Kingwell schreibt hierzu treffend: „Der Workaholic kolonisiert seine Verzweiflung angesichts der Leere des unproduktiven Lebens, indem er es mit Arbeit ausfüllt.“

      Wenn eines Tages der unvermeidliche Ruhestand eintritt, werden viele von der empfundenen Sinnlosigkeit ihres Daseins vollends eingeholt. Wer sein Leben lang nur kurzfristig anberaumte und fremdbestimmte Aufgaben übernommen hat und sich in der Freizeit vor allem mit dem Konsum von Gütern oder billiger Unterhaltung abzulenken gelernt hat, wird sich schwer tun, im Ruhestand plötzlich eigene Lebensziele zu definieren und somit tieferen Sinn zu finden.

      Das Fehlen eines Lebenssinns lässt nicht nur den eigenen Antrieb erlahmen und das Leben somit freudlos werden, sondern es erhöht auch das Frustrationspotential. Da es schließlich keinen großen Plan gibt, der alles überlagert, werden die Banalitäten des Alltags ungefiltert als schier unerträgliche Belastung wahrgenommen. Wer sich hingegen von einem großen Ziel leiten lässt, wird sich von drei Tagen Regen, einem verspäteten Zug, einer dezenten Staubschicht in einem Hotelzimmer oder anderen vergleichbaren Lappalien nicht verdrießen lassen. Stattdessen wird er höchstwahrscheinlich selbst mit wahrhaften Problemen, wie etwa ernsten Krankheiten oder Unglücksfällen ganz gut zurechtkommen. Er wird diese lediglich als unangenehme Hürden auf seinem klar umrissenen Weg erkennen und daher sofort tateifrig daranmachen, sie zu überwinden. Sie werden dabei jedoch nicht zum bestimmenden Momentum im Leben und somit ihrer Schärfe beraubt.

      Immerhin können auch kleine Alltagsprobleme im Äußeren, wie die Staubschicht im Hotel oder der verspätete Zug, den Fokus auf sich ziehen. Wenn sie schon keinen Sinn geben, so stellen sie doch winzige Herausforderungen und Aufgaben dar. Das Verfassen eines Beschwerdebriefs an die Hotelleitung oder den Betreiber der Bahn wird dann schnell zu einem kurzzeitigen Ziel, das wenigstens für den Moment Orientierung gibt.

      Noch schlimmer wird es, wenn selbst diese belanglosen Probleme wegfallen, wenn der leere Mensch also ganz auf sich zurückgeworfen wird. Wenn es nichts mehr im Äußeren gibt, worauf der Fokus gerichtet werden kann, dann richtet er sich nach Innen. Jetzt wird jedes kleine Kratzen, jedes Jucken, jede hormonell bedingte Stimmungsschwankung einer peniblen Selbstanalyse unterzogen. Der leere Mensch fühlt sich nun krank, schwach und leidet oft fürchterlich an Dingen, die von der Außenwelt nicht als problematisch erkannt werden. Vielleicht findet er in einer angenommenen Krankheit tatsächlich sogar einen Lebenssinn. Die regelmäßigen Arztbesuche, die ständige Versorgung mit Medikamenten, die Umstellung der Diät und vieles andere füllen das Leben aus. Der Kampf gegen die mehr oder weniger eingebildete Krankheit wird zur erfüllenden Aufgabe.

      Das, was die menschliche Umwelt bei solchen Menschen als einen wehleidigen, dauer-nörgelnden oder frustrierten Ton wahrnimmt, ist letztlich nichts anderes als ein Symptom tiefer Sinn-Leere. Zu der eigenen Unzufriedenheit des leeren Menschen kommt dann oft noch hinzu, dass Mitmenschen auf Abstand gehen, da sie übertriebene Larmoyanz nicht gut ertragen können.

      Das moderne Sinn-Angebot der institutionalisierten

       Arbeitswelt als Gefahr

      Neben dem Dilemma, dass die ausdifferenzierte, hoch spezialisierte Arbeitswelt zwar das letzte gesamtgesellschaftlich verbindende und institutionalisierte, aber eben überwiegend nicht nachhaltige Sinnmodell der Gegenwart anbietet, gibt es ein zweites, diesem Sachverhalt entwachsendes, dabei allerdings noch weitaus bedrohlicheres Problem. Dieses besteht darin, dass durch jenes arbeitsame Tun die begrenzten Ressourcen der Erde in erschreckendem Maße aufgebraucht werden. Indem in immer größerer Menge unnütze Dinge hergestellt werden, deren Erfindung, Produktion und Vermarktung lediglich dazu beiträgt, dass immer mehr Menschen ihre existentielle Leere kurzzeitig füllen, werden zugleich die lebensnotwendigen Grundlagen der Erde ausgeplündert. Die begrenzten Ressourcen nähern sich nachweislich dem Ende ihres Vorkommens.

      Für eine gewisse Zeit kann genau jene Tatsache das bestehende System natürlich weiter füttern. Schließlich werden zusehends neue Technologien erfunden, hergestellt und werbewirksam vermarktet, die ressourcenschonend sein sollen. Tatsächlich wies schon Bertrand Russell darauf hin, dass circa die Hälfte aller Arbeit darin besteht, die Schäden der anderen Hälfte zu reparieren. Neu entstehende Industrien können nun also neue Arbeitsaufgaben stellen, die Menschen weiterhin kurzfristig Lebenssinn geben. Dieser Sinn kann sogar insoweit tragfähig sein, als die Herstellung umweltverträglicher und ressourcenschonender Gegenstände nun als überlebenswichtig erscheint. Doch ohne Materialverbrauch kann eine produzierende Wirtschaft nicht auskommen. Um das erreichte und zur Gewohnheit gewordene Niveau an Warenüberfluss auch nur annähernd zu halten, wird es nicht genügen, eine ressourcenschonendere Wirtschaft aufzubauen. Es wird über kurz oder lang unumgänglich sein, einen radikalen Lebenswandel zu etablieren, der globalen Vorbildcharakter gewinnt und zu einer neuen Normalität wird.

      In jüngerer Zeit wird deshalb immer wieder darüber nachgedacht, wie Produktion und Konsum auf verträgliche Art eingedämmt werden können. Die Idee des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ erscheint vielen als attraktiver Lösungsansatz. Jeder Bürger soll demnach eine staatlich festgelegte Zuwendung bekommen, die hoch genug ist, um den Lebensalltag zu bestreiten. Für die Finanzierung dieser Zuwendung gibt es verschiedene Modelle. So begegnen beispielsweise Vorschläge, eine hohe Konsumsteuer, eine Besteuerung der natürlichen Ressourcen und der Treibhausgas-Emissionen oder eine hohe Besteuerung jeglichen Geldtransfers einzuführen.

      Aufgrund der erhöhten Steuern könnte in der Theorie die blinde Konsumlust eingedämmt werden. Das Grundeinkommen würde zugleich ein kollektives Abdriften in existentielle Armut verhindern. Die Produktion der einzigen wahrhaft relevanten, nämlich der lebenswichtigen Güter könnte überwiegend maschinell erfolgen.

      Die sofortige Umsetzung derartiger Überlegungen würde aber wohl in weiten Teilen der Bevölkerung zu einer psychologischen Katastrophe führen. Selbst der letzte kleine Rest an Lebenssinn fiele für all jene, die ihren Broterwerbsjob aufgeben würden, weg. Die Gesellschaft würde endgültig in Wehleidigkeit und existentieller Leere erstarren und früher oder später einen formidablen Nährboden für dubiose Sinnverkäufer aller Art bieten.

      Welche Auswirkungen der Verlust der Arbeit auf eine Gesellschaft hat, die es nicht vermag, sich selbst Lebenssinn zu geben, zeigt eine beeindruckende Studie aus den 1930er Jahren. Sie wurde in dem Buch „Die Arbeitslosen von Marienthal“ beschrieben. Das Werk von Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld und Hans Zeisel gilt als Meilenstein der empirischen Sozialforschung, ist heute aber leider etwas in Vergessenheit geraten. Die Forscher untersuchten auf ungeheuer detailversessene und umfassende Art anhand verschiedenster Methoden die psychologischen Auswirkungen des Arbeitsverlusts auf die Gemeinschaft in Marienthal.

      Der österreichische Ort Marienthal war um eine Fabrik herum entstanden. Die Bewohner hatten sich stark mit dieser Fabrik identifiziert, fast jeder hatte für sie gearbeitet. Sie hatte den Menschen ihren Lebenssinn gegeben. Als die Firma im Zuge der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre insolvent wurde und ihre Tore für immer schließen musste, konnten sich auch die wenigen anderen Arbeitgeber am Ort nicht mehr halten. Letztlich wurde nahezu der komplette Ort arbeitslos. Da es allen Bewohnern in etwa gleich ging, gab es unter ihnen keine Ausgrenzungen, Herablassungen oder Neidgefühle. Für einen gewissen Zeitraum erhielten die Marienthaler staatliche Unterstützungssätze. Diese waren aufgrund der intensiven Arbeitsleistungen für die einst florierende Firma teils genauso hoch oder höher wie das Einkommen, das Bürger benachbarter Orte erhielten. Das hatte wiederum zur