Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet. Holger Dr. phil. Wohlfahrt

Читать онлайн.
Название Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet
Автор произведения Holger Dr. phil. Wohlfahrt
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783946959632



Скачать книгу

des Eingebunden-Seins zum Ausdruck. Ein enges, Zeit und Raum übergreifendes Netz gibt dem Leben dabei eine logische Struktur. Das persönliche Leben in seiner konkreten Erscheinungsform wird als Bestandteil einer Welt erkannt, die umfassender ist als die unmittelbare Wirklichkeit. Bei Bertrand Russell heißt es hierzu: „Um in dieser Welt glücklich zu sein, zumal wenn die Jugend vorbei ist, darf man sich nicht nur als Einzelwesen fühlen, dessen Tag bald abgelaufen ist, sondern muss sich als ein Teil des Lebensstromes empfinden, der vom ur-ersten Keim bis in die fernste unbekannte Zukunft fließt.“

      Über Jahrtausende wurden Menschen automatisch in derartige Sinn-Netze hineingeboren. Gesponnen wurden sie von den Vertretern der institutionalisierten Religionen. Von Geburt an waren Menschen Mitglied einer Glaubensgemeinschaft. Sie sahen sich in einen über Generationen hinausgehenden Zusammenhang eingeordnet und waren automatisch Teil eines metaphysischen Bezugssystems. Alternativen waren kaum jemandem bekannt und schienen daher auch nicht zu existieren. Den Menschen wurden klare Vorgaben und Richtlinien mit auf den Lebensweg gegeben. Noch bis weit in die Neuzeit hinein bestimmte auch in der westlichen Welt vornehmlich die Religion, was man im Leben zu tun oder zu lassen hatte und was der tiefere Sinn hinter allem war. Der Sinn des Lebens innerhalb einer christlichen Gemeinde bestand darin, gottgerecht zu leben. Was als gottgerecht zu gelten hatte, legte die Kirche fest.

      Eine Auflösung dieser Strukturen begann in der westlichen Welt mit den Reformatoren um Martin Luther (1483-1546). Sie forderten den Menschen auf, anhand des Studiums der Bibel selbst zur religiösen Wahrheit zu finden und nicht mehr nur den offiziellen Kirchenvertretern Glauben zu schenken. Die Folge war, dass unzählige verschiedene Religionsinterpretationen entstanden. Das verbindende Netz der religiösen Einheit löste sich ab diesem Moment auf.

      Etwa zeitgleich wurden technische Instrumente entwickelt, die neue Weltanschauungen ermöglichten. So wurde innerhalb der vergleichsweise kurzen Zeit von drei Jahrhunderten klar, dass die Erde nicht im Zentrum des Universums steht und der Mensch wohl Ergebnis eines evolutionären Prozesses und nicht einer biblischen Schöpfungsgeschichte ist. Neben der Vielfalt religiöser Interpretationen verbreiteten sich somit auch noch säkulare, streng am Stand des jeweils aktuellen Wissenschaftsparadigmas orientierte Weltbilder.

      Indem die rasante Fortentwicklung neuer Techniken es zudem immer besser ermöglichte, in weit entlegene Teile der Welt vorzudringen, entstand sukzessive ein Bewusstsein für die Relativität der eigenen Anschauungen. Es wurde erfahrbar, dass eigene Weltbilder und eigene Glaubenssätze immer stark abhängig von der unmittelbaren Umgebung sind. Damit wurde es noch schwerer, an die überzeitliche Allgemeingültigkeit einer religiös oder auch anders gearteten Wahrheit zu glauben.

      Ein festes, Zeit und Raum übergreifendes Glaubenssystem, das die Menschen kollektiv in einen existentiellen Sinnzusammenhang einfügt, gibt es trotz einzelner Bemühungen, es wieder neu zu schaffen, nicht mehr. Lediglich vereinzelte, isolierte Gemeinschaften vermögen noch ein hermetisches Sinnsystem aufrecht zu erhalten.

      Heute ist stattdessen ein regelrechtes Wettstreiten sowohl unter verschiedenen Wissenschaftsmodellen als auch unter Religionen und anderen spirituellen Angeboten im Gange. So werden jedes Jahr neue Religionen erfunden. Aktuell gibt es 4200 offizielle religiöse Konfessionen, von der fast jede ihrerseits zahlreiche Varianten aufweist. Allein der christliche Protestantismus ist wiederum in ca. 20 000 Unterkonfessionen und Bewegungen aufgegliedert. Gerade in der westlichen Welt neigen immer mehr Menschen dazu, sich einen Glauben nach eigenem Gutdünken zurechtzuschustern. Das verbindende Element geht dabei oft verloren. Der Zweifel überwiegt.

      Was einen großen Gewinn im Ringen um die individuelle Freiheit und die Möglichkeiten des ungezwungenen, menschlichen Selbstentwurfs darstellt, bedeutet für viele jedoch zugleich eine psychologische Überforderung.

      In der Neuzeit bildeten sich auch deshalb immer wieder neue Sinn-Netze, in die viele sich dankbar einspannen ließen. So vollzog sich im 17. Jahrhundert, aufbauend auf Ideen von Denkern wie Jean Bodin (1530-1596) oder Hugo Grotius (1583-1645), ein Wandel von Personenverbänden hin zu territorialen Herrschaften. Daraus entwickelte sich das System unabhängiger Nationalstaaten. Diese Konstrukte wiesen ein genau umrissenes Staatsgebiet auf, waren von einem möglichst einheitlichen Staatsvolk zu bewohnen und von einer definierten Staatsgewalt zu verwalten und zu steuern.

      Im Sinne ihrer Funktionsfähigkeit, sollte zwischen den Angehörigen eines Nationalstaates idealerweise eine nahezu familiäre Verbundenheit herrschen. Die Etablierung einer gemeinsamen Sprache innerhalb der jeweiligen Staatsgebiete wurde forciert. In Mythen wurden gemeinsame Ursprünge und besondere Eigenarten des Volkes betont. Die klare Abgrenzung zu anderen Völkern stärkte das innere Zusammengehörigkeitsgefühl. Völkische Bewegungen entstanden.

      Die Transzendenz der religiösen Sinnangebote konnten völkische Ideen zwar meist nicht mehr bieten. Dennoch war ihre Wirkung immens – und zeitigte katastrophale Folgen. Bekanntlich ist es noch nicht lange her, dass Menschen auch und gerade in Deutschland „für Volk und Vaterland“ begeistert in Kriege zogen, fröhlich dem grausamen Tod entgegen. Ihr Tun erschien ihnen zutiefst sinnhaft. Es übersteigerte das eigene Ich. Man zog schließlich nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Familie, die Freunde, die Nachbarn, letztlich für das ganze gegenwärtige und zukünftige Volk in die Schlacht. Das sinnstiftende und dabei glücksspendende Gefühl tiefer Eingebundenheit wurde in ein erschreckendes Extrem getrieben und sollte schließlich zum gewichtigen Grund für Krieg und Terror werden.

      Glücklicherweise wurden zunächst viele richtigen Lehren aus den Tragödien der Weltkriege gezogen. Die einzelnen Staaten wurden in große internationale Organisationen und Institutionen eingebunden. Eine größere, wechselseitige Abhängigkeit in Form von politischer und vor allem wirtschaftlicher Verzahnung wurde geschaffen und künstlich verstärkt. Freiwillige Abgrenzungen zu anderen Nationen erschienen angesichts dessen nicht mehr attraktiv.

      Was den zwischenstaatlichen Frieden stärkte, konnte dem Einzelnen in seiner Abstraktion und Künstlichkeit jedoch kein umfassendes Sinn-Angebot mehr sein. Auch deshalb klammern sich Menschen in jüngster Zeit weltweit wieder an die sinnstiftenden Angebote einzelner Demagogen, die überkommene völkische Ideen aufgreifen und damit ganz wesentlich innere Leere und Empfindungen tiefer Sinnlosigkeit zu füllen versprechen.

      Die wohl tief im Menschen verankerten Bereitschaft, das eigene, begrenzte Leben zu überschreiten und in einem größeren Ganzen oder wenigstens einer großen Gemeinschaft aufzugehen, kann also in dem Moment, in dem es dem Einzelnen tatsächlich das Gefühl des Eingebunden- und Verwoben-Seins, des tieferen Sinns und damit auch eines grundlegenden Glücksempfindens bereitet, zur Gefahr für die Spezies Mensch als solche werden.

      Tatsächlich birgt auch das dritte (nach Religion und Nation), gegenwärtig am stärksten etablierte Sinnmodell große Probleme. Wieder geht es um das etablierte Arbeitswesen der westlichen Welt!

      Das menschliche Bedürfnis, sich in eine große, über das eigene Ich hinausgehende Sache einzufügen und damit tragende Sinn-Zusammenhänge zu kreieren, haben sich heute in weiten Teilen der Welt nämlich längst die globalen Eliten der Wirtschaft zunutze gemacht. Inzwischen ist das Modell der sogenannten amerikanischen Firmenkultur, die stark von psychologischen Erkenntnissen geleitet wird, zum Standard geworden.

      So wird Angestellten in heutigen Unternehmen in der Regel vermittelt, dass sie sich im Grunde genommen nicht nur für eine Firma, sondern für eine große Sache engagieren. Gerne wird auf Hilfsprojekte des jeweiligen Unternehmens verwiesen. Kaum eine Firma von Rang verzichtet darauf, mehr oder weniger förderliche Hilfsprogramme im Sozialen, im Bildungswesen oder der Welthungerhilfe zu initiieren oder wenigstens zu unterstützen.

      Vor allem wird aber mit verschiedensten Maßnahmen ein gesteigertes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Firma zu erzeugen versucht. Man nutzt gemeinsam das interne Fitness-Studio, tritt in Firmenmeisterschaften im Fußball gegeneinander an oder unternimmt Tandem-Fallschirmsprünge. Letztlich geht es bei all dem darum, einen möglichst extremen Team-Charakter zu bilden, in dem der Einzelne schließlich aufgehen soll. Er soll dahin kommen, sein eigenes Selbst bereitwillig der Gemeinschaft des Unternehmens und dessen Erfolgs unterzuordnen. Das Bedürfnis nach glückstreibender Sinnhaftigkeit bringt heute tatsächlich viele Menschen in der hochentwickelten, satten Welt dazu, sich für