Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1). Jan-Mikael Teuner

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Название Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1)
Автор произведения Jan-Mikael Teuner
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783941935662



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Haare hinters Ohr, dorthin wo er sich auch sämtliche Knigge-Anweisungen und die zehn Gebote geklemmt hatte. »Vielleicht geht es ihm wie Lazarus.«

      »Lazarus?«, fragte Sandro. »Wo hat der nochmal gespielt?«

      »Griechenland.« Krücke verdrehte die Augen.

      »Ach, beim Rehhagel!«

      Krücke schmunzelte in seinen wuchernden Vollbart und stolzierte zum Kühlschrank.

      Ein schöner Mittwochabend, dachte Kunibert, wie gerade eine einzelne Kondensträne an der Scheibe hinuntertrullerte und der alte Röhrenfernseher auf seinem Schwenkarm beschämt in den Laden hineinlugte. SV Willerse, zweite Liga, Platz zehn, verkündete er grün auf schwarz von Videotexttafel 283.

      An einem anderen Mittwochabend hätte Sandro mit austauschbaren Redensarten wie »Willst du starke Arme, musst du deine Beine trainieren« geglänzt, sie hätten das Bier verköstigt – Kuniberts Opa väterlicherseits, der verträumte Gustav, sagte das so, »verköstigt« – und nicht nur hinuntergekippt. Und schließlich wäre es an der Zeit gewesen, Sandro von der Augenweide zu berichten, wie sie Annabelle eine war. Kurz hüpfte Kunibert bei dem Gedanken an sie sogar das Herz, aber das sagte man nur so, dachte er. Stattdessen kam ihm Balu in den Sinn, mit dessen Geschichte man die Stille für einige Zeit zurückgedrängt, aber nur neue Stille heraufbeschworen hatte. Denn Stille konnte nur durch Stille besiegt werden. Krücke stellte drei Flaschen Bier auf den Tresen.

      »Auf Balu!«, sagte er, und die Freunde stießen an.

      »Komme ich nicht drauf klar! Komme ich einfach nicht drauf klar!« Sandro stürzte den Inhalt seiner Flasche hinunter. »Warum bestraft Gott jemanden wie Balu, der sein ganzes Leben zu seinem Verein gehalten hat? Am Ende wird man nur verarscht!«

      »Glaubst du?«, fragte Krücke. »Du bist doch auch von der Zweiten von Willerse zurück nach Hennigsen gekommen. Das ist sicher auch eine Frage des Herzens gewesen.«

      »Des Herzens? Geld!«, rief Sandro aus. »Geld, das ist alles! Davon, dass die Erste von Willerse früher Bundesliga gespielt hat, kann ich mir nichts kaufen. Das ist wie mit Krummfuß. Der hat Willerse damals hochgeschossen, aber wenn der ein Angebot von oben bekommt, ist der weg. Es dankt dir keiner. Auch nicht dein komischer Gott!«

      »Wer im Kleinen treu ist«, betete Krücke herunter, »ist es auch im Großen.«

      »Wer sagt das?«, fragte Sandro. »Pippi Langstrumpf?«

      »Nein.« Krücke zögerte. »Jesus, ich glaube, es war Jesus.«

      »Dann muss es ja stimmen!«

      Kunibert dachte an Thomas Schaaf, den langjährigen Trainer des SV Werder Bremen. Uli Hoeneß oder Michael Preetz, Manager bei Bayern München und Hertha BSC. Es gab andere Gründe als Geld, um bei einem Verein zu bleiben.

      »Man fühlt sich verbunden«, murmelte Kunibert und dachte an Annabelle. »Das geht manchmal schnell.«

      »Verbunden?«, fragte Sandro.

      »Die Wege des Herrn sind unergründlich.« Krücke hob seinen Zeigefinger.

      »Der Herr hat freundlich zu sein! Vor allem zu Balu!«, polterte Sandro und provozierte so eine Gesprächspause, die er nur mit einer weiteren Getränkeorder, die Krücke pflichtbewusst und ebenso kommentar- wie geräuschlos ausführte, zu unterbrechen wusste.

      »Wer weiß, wofür es gut ist. Treue zahlt sich aus.« Krücke reichte das Bier über den Tresen und notierte einen weiteren Strich auf Sandros gut bekritzelten Deckel. »Mit dem Wohnwagen durch Deutschland ist doch schön. Ist alles eine Frage der Perspektive.«

      »Der Perspektive?« Sandro redete sich direkt wieder in Rage, und Kunibert fragte sich, warum sein bester Freund so ungehalten war. »Was soll das für eine Perspektive sein, wenn Balu aufhören muss? Du bist mir so ein Schönredner! Dein Imbiss hier ist wahrscheinlich auch eine Frage der Perspektive!«

      »Und ob!«, meinte Krücke. »Er entwickelt sich.«

      »Das seh ich! Kenne sonst niemanden, der es seit Wochen nicht gebacken bekommt, sein Türschloss zu reparieren und stattdessen abends den Kühlschrank vor die Tür schiebt!«

      Krücke zog seine Stirn in Falten, Kunibert wollte beschwichtigen, aber er kam einfach nicht dazwischen.

      »Dein Imbiss fügt sich nahtlos ein ins Dorfbild«, ergänzte Sandro, und da fragte sich Kunibert, wie Annabelle sich hier ins Dorfbild einfügte und warum er sie zuvor nie gesehen hatte.

      »Nur weil du in Willerse wohnst, brauchst du dir darauf nichts einzubilden.« Krücke beugte sich über den Tresen. »Bald werde ich richtig investieren. Schreibe gerade auch an einem Buch, um neue Einnahmequellen anzuzapfen. Um Zahlen und um Glauben geht es darin. Das trifft den Nerv der Zeit.«

      »Jaja.« Sandro winkte ab. »Wie deine Studie, in welchem Abstand zueinander die Schafe einer Herde ihr Gras fressen. Das war auch ein Riesenerfolg!«

      »Da gibt es tatsächlich Gründe für.«

      »In der Theorie ist praktisch alles denkbar.« Sandro flößte sich den nächsten Schluck Bier ein.

      Krücke schaute in Richtung der Decke und seine Lippen formten halblaut die Worte nach, die Sandro ihm gerade über den Tresen gereicht hatte. »In der Theorie praktisch alles denkbar … Kluger Satz. Wer hat das gesagt?«

      »Was weiß ich, keine Ahnung. Ich sag dir jedenfalls, es dankt dir keiner. Kunibert ist auch so. Der denkt auch immer, alles kommt von allein. Der glaubt noch an den Weihnachtsmann. Oder Kuno? Ist doch so?«

      »Ja, also …«, sagte Kunibert. »An den Weihnachtsmann jetzt nicht.«

      »Genau. Man muss sich schon selbst um seine Wünsche kümmern«, meinte Sandro. »Hab da auch erst wieder so ’nen fetten Auftrag an der Angel. Meint ihr, das hätte geklappt, wenn ich mit so ’nem Kittel wie Krücke rumlaufen würde?«

      Krücke vergrub seine Hände in seinem langen weißen Gewand. Das hatte er neuerdings als Dienstkleidung hinter dem Tresen auserkoren und sah damit eher aus, wie ein in die Arbeitslosigkeit entlassener Chirurg oder der dreizehnte Jünger Jesu.

      »Mein Imbiss ist halt ehrlich.«

      »Ehrlich?« Das Bier gluckste in Sandros Rachen.

      »Ehrlich ist attraktiv«, murmelte Kunibert in einem weiteren Anflug, sich in das Gespräch einklinken zu wollen.

      »Bei den ganzen Fast-Food-Ketten kaufen wir nur die Vorstellung von tollen Burgern«, meinte Krücke. »In Wirklichkeit ist das alles dreckig. Viel dreckiger als bei mir!«

      »So ein Quatsch! Natürlich geht es um die Vorstellung und sehr wohl darum, äußerlich etwas herzumachen.«

      Kunibert nippte an seinem Bier. Annabelle machte äußerlich auch so einiges her. Wie ihr langes Haar davon geweht war, das hätte gut für das Werbeversprechen eines Shampoos getaugt.

      »Versicherungen sind auch alle gleich, ich verkaufe nur eine bessere Vorstellung davon. Und die Leute glauben mir. Wenn ich mit zerlumpten Klamotten irgendwo hinter ’nem Tresen stehe, kauft mir auch keiner was ab.«

      »Von zerlumpten Klamotten kann nicht die Rede sein.« Krücke blieb ruhig, denn er war ein sehr besonnener Mensch. Man müsse sich da halt treu bleiben und ehrlich zu sich selbst sein, orakelte er weiter. Es sei alles ein Prozess, wusste er aus seiner Zeit als Steuerfachangestellter zu berichten. »Das letzte Hemd hat keine Taschen. Wenn ich irgendwann an die Himmelstür klopfen werde, wird mich niemand fragen, wie viele Flaschen Bier ich verkauft habe.«

      »Mich schon«, sagte Sandro.

      »Mich nicht«, meinte Krücke. »Deshalb bin ich unlängst zu einem Minimalisten geworden.«

      »Dass dir immer ein noch größerer Blödsinn einfällt!« Sandro stöhnte. »Interessiert aber auch niemanden! Stimmt’s, Kuno?«

      »Irgendwie schon«,