Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1). Jan-Mikael Teuner

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Название Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1)
Автор произведения Jan-Mikael Teuner
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783941935662



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dass es schon wieder auffällig war, und da erst bemerkte Kunibert, dass Hendrik noch immer neben ihm stand.

      »Ja, Junge«, sagte Kunibert. Er sagte gerne Junge zu seinen Spielern, das hatte er von seinem alten Jugendtrainer Balu übernommen. Heutzutage sprach man in der Mehrzahl von ihnen. Die Jungs hätten das gut gemacht und alles rausgehauen, hieß es gerne bei Fernsehinterviews in der Bundesliga. Da war der Trainer dann immer ganz stolz auf die Jungs.

      »Ja, Junge«, wiederholte Kunibert. Es war immer Balu gewesen, dachte er, der Koloss von Hennigsen, wie der sich über die Dorfgrenzen hinaus großer Beliebtheit erfreute.

      »Ja, Junge«, sagte Kunibert ein drittes Mal. In allen Jugendmannschaften von der F-Jugend bis zur B-Jugend, und auch bei seinem erfolglosen Comeback-Versuch in der zweiten Herren. Es war immer Balu gewesen. »Dann geh mal in die Kabine und zieh dir deine Botten an.«

      Elf Kinder wolle er haben, würde Kunibert Annabelle später erzählen und schaute den Kleinen beim Spielen zu. Noch spielten die Lütten, man sagte das so, die Lütten, zu siebt auf dem kleinen Feld, aber ab der D-Jugend waren es elf, und dann wäre auch sein Witz verstanden. Oder aber komplett versaut, denn ein Witz war immer schlecht, wenn man ihn anschließend erklären musste.

      Jemand tippte Kunibert von der Seite an. Hendrik in dem viel zu großen Willerse-Trikot war wieder neben ihm aufgetaucht.

      »Dann wollen wir mal. Und mach dir keine Gedanken, die beißen nicht!« Kräftig und viel zu laut blies Kunibert in seine Trillerpfeife. Alle Kinder versammelten sich um ihn.

      »Das hier ist Hendrik«, stellte er den neuen Mitspieler vor.

      »Sein Trikot ist viel zu groß«, befand einer der Jungs, der wohl Marvin war.

      »So ist das eben«, verteidigte Kunibert. »Krummi Krummfuß war auch nicht gleich am ersten Tag der Krummi Krummfuß, wie ihr ihn heute kennt.«

      »Trotzdem ist es zu groß. Soll er zu den blöden Braubergern gehen.«

      »Jetzt hör schon auf, Marvin.«

      »Ich bin nicht Marvin!«

      Marvin, oder wie der freche Junge hieß, stemmte seine Hände in die Hüften. Wahrscheinlich würde er Kunibert nun doch in keiner Sportreportage erwähnen, und wenn, dann nur als den Trainer, der immer seinen Namen vergessen hatte. Den Namen eines Weltstars, der dann bei jedem Frühstück vom Glas eines Schokoaufstrichs grinste.

      »Er spielt trotzdem bei euch mit«, entschied Kunibert und teilte zwei Mannschaften ein. »Ihr habt zwanzig Minuten!«

      Da strömten die Kleinen auseinander, und auch wenn Hendrik nicht alles so leicht vom Fuß ging, fügte er sich mit einigen Pässen gut ins Spiel ein. Er kämpfte um jeden Ball, denn von den anderen bekam er ihn selten freiwillig zugespielt. Das alles imponierte Kunibert und er musste an Annabelle denken. Woher sie kam und was sie wohl hierher verschlagen hatte? Denn was hatte Hennigsen schon zu bieten? Den kleinen, schrammigen Supermarkt, den heruntergekommenen Tankstellen-Imbiss und den MTV, mit dem nahezu jeder im Dorf außerehelich liiert war. Da musste Kunibert bei Annabelle anders zu punkten wissen. Es sei immer sein Traum gewesen, mit Kindern zu arbeiten, würde er ihr sagen. Und den Traum habe er sich inzwischen erfüllt: im Supermarkt von Hennigsen. Nur seien seine Kollegen alle in seinem Alter.

      Was für ein Rohrkrepierer!

      Während die Kleinen spielten, legte sich Kunibert noch den einen oder anderen Spruch zurecht, und auch als das Training bereits beendet war und ein Kind nach dem anderen abgeholt wurde. Kunibert schüttelte die elterlichen Hände, redete über dies und das und verabschiedete die Kleinen, doch bessere Gesprächsanfänge für Annabelle wollten ihm nicht einfallen. Nein, dachte er, während er auf der Holzbank vor der Kabine Platz nahm, das Reden sollte er besser ihr überlassen. Inzwischen war nur noch Hendrik als letzter der Jungs bei ihm.

      »Deine Mutter scheint es mit der Zeit nicht so genau zu nehmen«, sagte Kunibert. Mit der Zeit nicht so genau nehmen, was für eine wunderbare Haltung das doch war. Nur einen kleinen Jungen stehenzulassen, das war nicht ganz so wunderbar.

      »Weiß nicht«, presste Hendrik heraus und stand dort in seinem verschwitzten roten Willerse-Trikot.

      »Hast du gar keine Duschsachen dabei?« Die augenscheinlichen Dinge, dachte Kunibert, er musste seinen Blick für die augenscheinlichen Dinge schärfen.

      Hendrik schüttelte den Kopf. »Musste alles schnell gehen heute.«

      »Aha«, sagte Kunibert. Mit dieser Aussage konnte er doch arbeiten, auch wenn er nicht wusste, in welchem Zusammenhang er sie zu sehen hatte. Aber es gab immer Zusammenhänge. Er strich sich mit Daumen und Zeigefinger von außen nach innen über seinen Schnurrbart. Alles musste schnell gehen heute, wie recht Hendrik doch hatte. Immer war heute, immer musste alles schnell gehen, sicher auch bei Annabelle, die wahrscheinlich mit dem Tele-Fonhörer zwischen Ohr und Schulter und einem weiteren Kind auf dem Arm Hendriks Willerse-Trikot und seine Fußballklamotten aus der Wäsche gesucht hatte. Dann hatte sie ihn ins Auto geschoben und war losgefahren.

      Respekt, dachte Kunibert, wie Annabelle so viele Dinge auf einmal bewältigte. Was für eine tolle Mutter sie doch war! Da konnte man das Duschzeug schon mal vergessen.

      »Hendrik!«, rief plötzlich eine Frauenstimme. Sofort sprang Kunibert von der Bank auf und sein Herz schlug schneller. Aber das war nur so eine Redensart, denn sein Herz schlug ganz normal.

      »Hendrik!«, hörte er die weibliche Aufforderung aus Richtung des Parkplatzes ein zweites Mal. Hinter den verwachsenen Sträuchern konnte Kunibert die Schemen einer großen, blonden und schlanken Frau erkennen. Doch davon, so dachte Kunibert, davon gab es viele. Annabelle jedenfalls war es nicht.

      »Meine Mutter«, sagte Hendrik mit einem angedeuteten Kopfnicken und stapfte los.

      »Deine Mutter?« Kunibert blickte an sich herunter. Das gelbe Baumwollshirt, die kurze Hose, die Trillerpfeife, die ihm um den Hals baumelte. So konnte er sich ihr unmöglich nähern.

      »Sie sind seine Mutter?«, rief er aus sicherer Entfernung.

      »Wie, ich bin seine Mutter?«, rief die Frau zurück. Sie lehnte an der Fahrertür eines schwarzen Geländewagens, SUV, pflegten die Leute heute dazu zu sagen. Offenbar waren die Straßen in Deutschland mittlerweile so marode, dass man schweres Gefährt dafür benötigte.

      »Ich meine, warum Sie Hendrik abholen. Sie sind seine Mutter, oder nicht?« Kunibert balancierte auf seinen Zehenspitzen, konnte durch das blütenverhangene Gebüsch aber nur das Kennzeichen des Wagens erspähen: WLS für Willerse, BA 404.

      »Ja, natürlich bin ich seine Mutter.«

      »Das versteh’ ich nicht«, murmelte Kunibert und versuchte, seine Überraschung für sich zu behalten. Doch die Frau, die offensichtlich nicht nur Hendriks Mutter war, war vom lieben Gott auch mit den Ohren einer Luchsdame ausgestattet worden.

      »Was gibt es denn daran nicht zu verstehen?«, fragte sie.

      »Ja, ach so, doch alles okay.« Kunibert fing sich wieder. »Ich versteh’ schon.«

      »Was verstehen Sie?«, fragte die Luchsdame.

      »Warum Sie ihn abholen.«

      »Was gibt es dort auch nicht zu verstehen?«

      »Ja, alles in Ordnung.«

      »Das will ich doch meinen. Was verstecken Sie sich da überhaupt hinter dem Gebüsch?«

      »Ich stehe hier an der Bank«, wehrte Kunibert ab.

      »Ich stehe hier am Auto«, antwortete die Dame.

      Und das war auch wieder wahr, andererseits auch egal, wer wo stand. Auf keinen Fall konnte sich Kunibert in seinem unterlegenen Outfit aus der Deckung wagen.

      »Aber alles klar jetzt«, rief er zum Abschluss. »Tschüs, Hendrik, ist deine Mutter, ich versteh’ schon.«

      »Tschüs.« Hendrik kletterte auf die Rückbank des