Die Normalität des Absurden. Heinz Schneider

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Название Die Normalität des Absurden
Автор произведения Heinz Schneider
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783939043706



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beerdigt. Ich selbst trug ihn im Beisein seiner nächsten Angehörigen mit fünf weiteren Kameraden zu Grabe. Ein Offizier hielt eine kurze Trauerrede und betonte, dass der junge Kamerad an den Folgen explodierter Fundmunition verstorben sei, die anglo-amerikanische Tiefflieger, als Terrorflugzeuge bezeichnet, während des Zweiten Weltkrieges über dem Gebiet der jetzigen KVP-Dienststelle abgeworfen hätten.

      Im September, nach sechs bis acht Wochen, kehrte unsere Truppe in die Stammdienststelle nach Stern-Buchholz zurück. Für meine angeblich guten Leistungen erhielt ich als Prämie das Buch eines italienischen Kommunisten mit einer Widmung meines Vorgesetzten, in der ich für meinen Einsatz gelobt wurde. Ich war froh, dass wir wieder einem geregelten Dienst nachgehen konnten, der derartige Gefahrensituationen nicht befürchten ließ.

      Nichts Schlimmes ahnend, wurde ich am 7. Oktober 1952, dem dritten „Tag der Republik“, zu einem Hauptmann in ein Dienstgebäude gerufen, der mir im Beisein mehrerer mir nicht bekannter, bösartig dreinschauender Zivilisten barsch mitteilte, ich hätte an den RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) geschrieben und die Deutsche Demokratische Republik verraten. Als Beleg legte er mir einen von mir vor Wochen geschrieben Brief vor. Es waren einige dem Vorgesetzten verdächtig erscheinende Passagen rot unterstrichen, in denen ich meinem seit Kurzem in Berlin wohnenden Bruder ausführlich über den Todesfall des Kameraden berichtet und die Beerdigung in Hagenow samt Trauerrede des Offiziers geschildert hatte. Mein Bruder hatte kurz zuvor in Berlin-Weißensee eine Wohnung erhalten, was damals ein wahrer Glücksfall gewesen war. Ich hatte das verschlossene Kuvert in einen Güstrower Postkasten gesteckt.

      Die Überschrift meines Briefes lautete: „Liebe Berliner“, womit ich ausschließlich meinen Bruder und seine Frau Lilo gemeint hatte und kundtun wollte, dass sie jetzt als stolze Wohnungsbesitzer und Inhaber einer Zuzugsgenehmigung voll anerkannte Bürger der Hauptstadt seien. Dabei hatte ich mir überhaupt nichts Anstößiges gedacht. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte an den RIAS geschrieben und ein Waffenlager der KVP verraten. Obwohl der Brief nicht für den RIAS gedacht war und auch keine Angaben über den Ort oder die Waffeneinbunkerung enthielt, wurde mir aber gerade dieser „Geheimnisverrat“ immer und immer wieder unterstellt. Man erwartete während des mehrere Stunden dauernden Verhörs ein umfassendes Geständnis von mir, doch ich blieb fest bei meiner Meinung und wich kein Jota davon ab. Als ich auf die DDR-Verfassung hinwies, in der das Briefgeheimnis ihrer Bürger als ein Grundrecht fest verankert war, wurde ich nur verhöhnt. Ich fürchtete Schlimmes, doch es war schon erstaunlich und grenzte fast an ein Wunder, dass nichts folgte. Hatte ich die „Genossen“ – wir waren inzwischen Angehörige der Kasernierten Volkspolizei geworden und nannten uns „Genossen“ – etwa wirklich von meiner Unschuld überzeugt? Das war in der Zeit des reinen Stalinismus eher ungewöhnlich und ich konnte es mir bei der Schwere der gegen mich in bösartigem, rüdem Ton vorgebrachten Vorwürfe auch nicht vorstellen. Oder war es nur die Ruhe vor dem Sturm? Die befürchtete lange Haft in einem Arbeitslager in Sibirien, womit ich insgeheim schon gerechnet hatte, blieb mir erspart.

      Später wurde der Vorfall nicht mehr erwähnt. Anscheinend hatte ich einen imaginären „Schutzengel“. Auch danach spielte erstaunlicherweise dieses „Ereignis“ in der langen Liste der gegen mich vorgebrachten Vorwürfe keine Rolle mehr. Dennoch war es für mich das Schlüsselerlebnis, welches mich von der DDR und ganz besonders von der SED merklich entfernte. Hatten meine Eltern nicht immer für einen Staat wie die Deutsche Demokratische Republik gekämpft? Wenn man so mit den Befürwortern des neuen Staates umspringt, wofür ich mich bis dahin immer gehalten hatte, wie sieht dann erst der Umgang mit echten oder vermeintlichen Gegnern aus? Das bis dahin von mir voll akzeptierte DDR-Regime wurde mir in meinem Innersten abrupt und zutiefst zuwider. Trotzdem trug ich eine Uniform, die mich in der Öffentlichkeit als einen typischen Repräsentanten dieses Systems auswies. Ich aber hatte mich für drei Jahre zum Dienst in den bewaffneten Kräften verpflichtet; eine Entlassung war unter den damaligen Bedingungen nicht möglich.

      Ich offenbarte mich niemandem, denn ein Karriereknick wäre sicher – noch unter der Herrschaft Stalins – unausweichlich gewesen. Von diesem Zeitpunkt an stand für mich jedoch fest: Ein Eintritt in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kommt nie infrage. Und ich würde mich hüten, aus der katholischen Kirche, der ich noch immer pro forma angehörte, auszutreten. So galt ich in der kommunistischen Armee, welche die KVP letztlich geworden war, als ein parteiloser Katholik, eine eher seltene Konstellation, die nicht sehr gerne gesehen wurde. Gewünscht wurde zumindest von künftigen Offizieren eine bedingungslose SED-Mitgliedschaft, die Konfessionslosigkeit voraussetzte. Beides traf auf mich nicht zu. Gewisse Schwierigkeiten im persönlichen Fortkommen würde es sicher auch deshalb geben.

      Umso mehr bemühte ich mich, meine militärischen Pflichten optimal zu erfüllen, politische Bekundungen aber möglichst zu vermeiden. Es gelang mir jedoch nicht, jegliche Kritik dauerhaft zu unterdrücken. Auch las ich öfter nicht nur die Tageszeitung der SED „Neues Deutschland“ und die „Junge Welt“ (FDJ), sondern auch die Zeitungen der Blockparteien, wie die „Neue Zeit“ (CDU) oder „Der Morgen“ (LDP), was besonders den Politoffizieren negativ auffiel, die im Lesen sogenannter kleinbürgerlicher Zeitungen eine bewusste Provokation vermuteten. Auch die von mir später gern gelesene Wochenzeitung „Sonntag“ war bei Politoffizieren keinesfalls beliebt. Ich blieb standhaft: Gelegentliche Aussprachen mit den Vorgesetzten mit dem Ziel meines SED-Eintritts und des damit verbundenen Austritts aus der katholischen Kirche veränderten meine Haltung nicht.

      Nach einer Ausbildung zum Sanitäter in Stern-Buchholz wurde ich zum Jahresbeginn 1953 in die neu gegründete KVP-Feldscherschule Leipzig versetzt, um dort zum Feldscher, einem militärmedizinischen Beruf, ausgebildet zu werden. In dieser Offiziersschule wurden uns von zivilen Fachkräften der Leipziger Universität die Grundlagen der Medizin vermittelt, außerdem erhielten wir, ¬allerdings in geringem Umfang, eine militärische Ausbildung.

      Nach einer Zwischenprüfung im Sommer 1953 wurde ich, inzwischen Offiziersschüler im 3. Lehrjahr, zusammen mit drei anderen Genossen zu einer Sonderreifeprüfung an die ABF (Arbeiter- und Bauernfakultät) der Universität Leipzig delegiert. Schließlich hatten wir, bis auf einen Offiziersanwärter, die nicht unkomplizierte Prüfung bestanden und damit die Qualifikation für das Studium der Humanmedizin an der Karl-Marx¬-Universität Leipzig erworben.

      Noch im September 1953 wurde ich in die KVP-Studentenkompanie in die Döllnitzer Straße versetzt, wo wir in einer vornehmen Villa optimal untergebracht waren und auf zahlreiche neue Genossen stießen, die bereits seit mehreren Jahren als Studenten in Uniform an der Leipziger Universität immatrikuliert waren. In dieser Zeit entstand eine echte Freundschaft zwischen Kay Blumenthal-Barby, Lothar Peter, Herwig Zichel und mir, die sich in den folgenden Jahrzehnten sehr bewährt hat. Das Studium bereitete mir große Freude. Ich traf aber auch auf Genossen, die mir aus nicht politischen Gründen das Leben zur Hölle machten. Wir legten in Leipzig 1955 das Physikum ab.

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      Heinz Schneider, Medizinstudent der KVP in Leipzig, Frühjahr 1955

      Im Sommer 1955 wurde unsere Einheit in das ehemalige Luftwaffenlazarett nach Greifswald verlegt, wo eine große Militärmedizinische Sektion der KVP unter Leitung des ehemaligen Wehrmachts-Generalmajors Prof. Walther entstanden war. Aus allen medizinischen Fakultäten der DDR wurden Studenten in die KVP aufgenommen, womit sich die Zahl künftiger Militärärzte vervielfacht hatte. Daneben gab es aber immer noch einige Zivilstudenten an der Medizinischen Fakultät, mit denen wir die gleichen medizinischen Vorlesungen teilten.

      Während wir in der Studentenkompanie in Leipzig nicht über einen Politoffizier verfügten, wurden wir in Greifswald von mehreren Politoffizieren „betreut“, die mir das Leben schwer machten, darunter die Stabsoffiziere Major Heese und Oberst Herold. Major Heese bemühte sich ohne Erfolg, mich zum Austritt aus der katholischen Kirche zu bewegen, während Oberst Herold versuchte, mich für die SED¬-Mitgliedschaft zu gewinnen. Als Arzt in der Armee würde ich eines Tages ebenfalls Stabsoffizier werden, das ginge aber nur, wenn ich ein Parteigenosse wäre. Ich zeigte mich unnachgiebig, weil ich mir ein Leben als