HUMANOID 2.0. Gabriele Behrend

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Название HUMANOID 2.0
Автор произведения Gabriele Behrend
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957658579



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an, lächelt – nachsichtig, gütig. Als wenn er ein Kind wäre, dessen Feuerwehrauto kaputtgegangen ist. So darf sie ihn nicht ansehen. Verdammt, wer hat ihr erlaubt, ihm zu vergeben? Frustriert schüttelt er sie wie eine Lumpenpuppe. Warte nur, das Grinsen wird dir noch vergehen! Ich will dich schreien sehen. Ich will dich leiden sehen, du Schlampe, dreckige Hure, verblödetes Nichts. Ich mach dich fertig!

      Doch sie schreit nicht. Sie jammert nicht. Manchmal schließt sie die Augen, für einen Moment nur, wenn ihr Kopf gegen die Wand hinter ihr schlägt. Doch dann sieht sie ihn wieder an. Ihre grünen Augen suchen seinen Blick, und dieses Scheißlächeln bleibt auf ihrem Gesicht haften, als sei es mit Zweikomponentenkleber fixiert. Wieso will sie nicht endlich nachgeben? Wieso missgönnt sie ihm die Herrschaft in den eigenen vier Wänden? Wieso … wieso … wieso?

      Das Blut hämmert in seinen Ohren, der Atem geht schwer. Er ist so müde. Es war ein langer Tag gewesen, lang und unerfreulich. Er hat längst abschalten wollen. Die Abendnachrichten sind bestimmt schon vorbei – verdammt, sie weiß doch, wie wichtig sie ihm sind! Eine Viertelstunde nur, eine beschissene Viertelstunde! Aber nein, Madame muss ja wieder ihre Anwandlungen haben. Geh! Geh, geh. Such dir Hilfe. Denn du bist Müll. Das ist es doch, was sie ihm ständig aufs Neue deutlich macht, aus welchem Grund auch immer. Sie hat es gut bei ihm. Sie könnte den Himmel auf Erden haben, wenn sie ihn nur nicht immer so reizen würde! Meinte sie etwa, das hier würde ihm SPASS machen? Wie kam sie nur darauf, mein Gott, er LIEBTE sie. Wenn er doch nur seine kleine kurze Viertelstunde haben könnte!

      Seine Wut flammt erneut auf, lässt seine Fäuste härter schlagen, ungebremst, unkontrolliert. Niere, Magen, Rippen, Bauch. Sie krümmt sich unter der Wucht der Schläge, sackt zusammen, kauert irgendwann auf dem Boden, die Hände zum Schutz erhoben. Als er auf sie hinunter sieht, kann er endlich wieder Luft holen. Beiläufig bemerkt er einen Speichelfaden, der zäh aus dem Mundwinkel tropft. Sorgfältig wischt er ihn weg. Dann geht er vor ihr in die Hocke, hebt die Hand vorsichtig, beinahe schon zärtlich, an ihr Gesicht und streicht eine dunkle Strähne aus der Stirn.

      »Willst du mich immer noch fortschicken?«

      Sie sieht ihn nicht an, ist erstarrt in der perfekten Pose des Opfers. Schon glaubt er, sie zittern zu sehen. Sein Blut fließt wieder ruhig in seinen Adern. Das Herz wird ihm weit und großzügig.

      »Du musst jetzt nichts sagen, Liebling. Du warst verwirrt. Ich verzeihe dir. Na, wie wäre es mit einem Kuss?«

      Jetzt sieht sie ihn endlich an. Die grünen Augen sind verschleiert, das Lächeln wirkt daher etwas dümmlich, aber die Worte sind klar und deutlich.

      »Geh zu einem Psychiater. Du schaffst es nicht allein.«

      Er muss feststellen, dass sie auch noch lächelt, nachdem sie bereits kalt geworden ist.

      Der Drink, der ihn von diesem Anblick erlösen sollte, schickte ihn in eine bodenlose Schwärze.

      Die Jalousien surrten leise, als sie nach dem Ende der Vorführung wieder hochgezogen wurden. Ein entsetztes Schweigen lastete schwer auf dem Raum. Zähflüssig kroch es über die blinkenden Edelstahlflächen der Büroeinrichtung, floss an den großen Glasfenstern hinauf, legte sich über einen chiffonumhüllten Oberschenkel und sammelten sich schließlich in ausdruckslosen, unaufgeregten Augen. Sie waren grau.

      Die Frau fröstelte. »Wird er sich nie ändern?«

      Ein Blick in die grauen Augen ihres Gegenübers und das Frösteln verstärkte sich. Das Schweigen eroberte erneut den Raum.

      »Ihr Hobby wird langsam teuer«, sagte der Geschäftsmann schließlich. »Was erwarten Sie sich eigentlich davon, Frau Heussler? Warum leben Sie nicht einfach Ihr Leben?«

      Ein Ruck ging durch die Frau. Für einen kurzen Moment spiegelte sich der Stahl des Zimmers in ihrer Stimme.

      »Ich will ihn nicht aufgeben.«

      »Wir haben Ihnen schon beim ersten Besuch versichert, dass wir keine Therapeuten sind. Ich möchte Sie nur noch einmal darauf hinweisen, damit Sie nicht in Versuchung kommen, diese Firma zu verklagen, falls sich der gewünschte Erfolg nicht einstellt.« Nach einer kurzen Pause räusperte er sich. »Um ehrlich zu sein, kann ich keine Besserung feststellen. Im Gegenteil, er hat Sie gestern zum ersten Mal getötet. Sie haben es ja selbst erlebt.«

      Sie nickte leicht. Merkwürdigerweise war es schmerzhafter, das Video anzusehen, als die Szene am eigenen Leib zu erleben. Es musste an der gedämpften Reizübertragung liegen. Schock würde man beim Menschen psychologisieren. Sie wurde wieder weich, durchlässig für das, was einst war. Wahrscheinlich war die ganze Sache an sich für keinen Außenstehenden zu verstehen. Vielleicht nur für den, der wusste, wie Thomas früher gewesen war.

      Angelegentlich sah sie zum Fenster hinaus. Ein schöner Tag. Doch er war nichts im Vergleich zu dem Sonntagnachmittag vor vier Jahren, als sie ihn kennengelernt hatte. Es war im Frühherbst gewesen, zwischen rot glühendem Laub, Pilzduft und Sonnengefunkel. Sie hatte am Schwanenteich pausiert und dem bunten Treiben von Stockenten, Möwen und Graugänsen zugesehen, als er höflich gefragt hatte, ob auf der Bank noch ein Platz frei wäre. Er war in den mittleren Jahren, sehr sorgfältig gekleidet, charmant, zuvorkommend. Sie kamen ins Gespräch und sie ertappte sich später bei dem Gedanken, dass sie sich lange Zeit nicht mehr so wohl gefühlt hatte. Bald sahen sie sich öfter – ging spazieren, ins Kino. Essen. Irgendwann kam es zu den ersten Berührungen.

      Versonnen strich sie mit dem Daumen über ihre Lippen. Es war erstaunlich gewesen. Sie hätte damals nicht gedacht, dass Sex so aufregend sein konnte. Was ihrem ersten Mann an Leidenschaft gefehlt hatte, machte Thomas gleich doppelt wett.

      »Möchten Sie trotzdem einen weiteren Versuch starten?«

      Sie schluckte. Irgendwann fing er an, sie anders anzufassen. Die vorsichtige Zärtlichkeit machte einer verhohlenen Grobheit Platz, die sie zunächst genoss. Doch als sie sich an die erste Ohrfeige erinnerte, die er ihr aus irgendeiner Nichtigkeit heraus verpasst hatte, prickelte ihre Wange, als ob ein Insekt seine ätzenden Exkremente darauf ablud. Ein Schauer durchfuhr sie. Warum tat sie das alles?

      Mit zitternden Händen unterschrieb sie den Folgevertrag.

      Van Fromm mit den grauen Mephisto-Augen schmunzelte. Die Katze war im Sack. »Wenn er so weiter macht, muss ich Ihnen bald Rabatt gewähren.«

      Er widerte sie an. Patrizia war sich schon lange bewusst, dass er sich insgeheim über sie lustig machte, und jedes Mal, wenn sie die Schwelle zu seinem Büro überschritt, überlegte, welche Jacht er sich als nächste aussuchen würde. Aber letztlich war ihr das egal.

      Mit einem höflich-professionellen Shakehands warf er sie aus seinem Büro, hinaus in das hochwertige Entree, in dem sie für einen Moment wie benommen stand. Dann ordnete sie ihren Mantel und klemmte die Tasche mit den Videos unter den Arm. Sie musste noch sehr viel üben. Doch für’s erste musste sie sich auf den Heimweg machen – und Brötchen besorgen.

      »Ich will ihn nicht aufgeben«, hatte sie gesagt. Das traf es recht genau. Nach den ersten Schlägen hatte sie ihre Tasche gepackt und war zu einer Freundin gezogen. Doch er hatte sie dort aufgespürt, hatte sich tränenreich entschuldigt. Es sei der Stress gewesen, er könne es sich selbst nicht anders erklären. Er würde sie aufrichtig lieben. Niemals würde sich diese Situation wiederholen.

      Sie war schwach geworden. War zurückgekommen. Bald waren die Schläge vergessen. Für die nächsten drei Jahre hatte alles geklappt. und die Welt war rosarot und watteweich und zeitlos. Sie liebte und wurde geliebt und wollte dieses Gefühl nicht mehr missen.

      Dann verlor er seinen Job. Man hatte ihn wegrationalisiert, die Quoten stimmten nicht mehr. Er war frustriert. Sie wollte ihm helfen, übernahm in ihrem Job mehr Arbeit, blieb daher länger weg, verdiente den Lebensunterhalt für sie beide. Sie spürte seinen Zorn sehr deutlich, auch wenn er alles tat, um ihn vor ihr zu verstecken. Sie wusste um seine Angst. Daher war es nicht unerklärlich, als er sie eines Abends an der Haustür abfing und zusammenschlug.

      Als sie wieder bei Besinnung war, versuchte sie, mit ihm zu sprechen. Sie schlug eine Therapie vor, versicherte ihm, dass sie ihn liebte und an ihn glauben würde. Und wachte