HUMANOID 2.0. Gabriele Behrend

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Название HUMANOID 2.0
Автор произведения Gabriele Behrend
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957658579



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herum. »Was soll …«

      Er hatte seine Zähne für ein Lächeln entblößt, das nicht freundlich war. Gefahr, Gefahr, schrillte mein spezieller Nerv und begann, einen kurzen Paniksamba zu tanzen.

      »Was wollen Sie von mir?«, setzte ich erneut an.

      Mit knapper Geste zog er den Block zu sich, setzte den Stift auf das Papier und ließ seine akkuraten Soldaten erneut marschieren.

      »Sie sind hier der Einzige, der WILL. Aber Sie wissen nicht, was. Sie sollten sich bald darüber klar werden.«

      Orakel, nichts als Orakel. Ich pfiff mein trügerisches Alarmsystem wieder zur Ordnung. Der Kerl war ein dahergelaufener Prophet, der nur einen Dummen suchte, der ihm zuhörte. Alles in Ordnung, das würden wir gleich haben. Also setzte ich mein joviales Lächeln auf.

      »Ich glaube, Sie verwechseln mich. Ich weiß zufällig sehr genau, was ich will. An meinem Leben ist nichts auszusetzen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.« Danach wandte ich mich wieder dem Wasser zu und beschloss, so bald wie möglich ein Taxi zu rufen. Die Hauptnachrichten würden ohne mich auf Sendung gehen, aber die Spätnachrichten wollte ich nur ungern verpassen.

      Der Stift kratzte über den Block, der Block schrammte über das abgelebte Holz hart an meinen Ellenbogen heran.

      »Ihre Gedanken werden Sie töten.«

      »Die Gedanken sind frei.«

      Der Stift tanzte erneut. »Darin liegt die Gefahr.«

      »Hören Sie mal, direkte Gefahr geht von festen Körpern aus. Nicht von Träumen. Und wenn Sie mir jetzt erzählen wollen, dass selbst die Gräueltaten der historischen Geschichte allein auf Ideen basierten, dann kann ich nur sagen, dass es immer noch ein weiter Weg vom Traum bis zur Umsetzung ist. Die meisten Gedanken richten rein gar nichts an!«

      Wieder rutschte der Block über das zerkratzte Holz zu mir. »Sie entwickeln ein Eigenleben. Sie nehmen Gestalt an.«

      Ich wusste nicht, was ich noch erwidern konnte. Der Typ war durchgeknallt. Es würde keinen Sinn haben, mit ihm zu diskutieren. Warum auch? Sollte er sich ein neues Opfer suchen. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, aber der Stift zog meine Aufmerksamkeit auf sich, wie er unbeirrt über den Block hastete.

      »Sie sind Lebewesen. Sie lauern in uns allen. Gute, leise, schüchterne Ideen – aber auch die brutalen, bösen, zerstörerischen Gedanken. Ich habe Sie beobachtet. Ich habe Ihre Gedanken gesehen.«

      Die Worte flossen auf das Papier und von dort aus in mich herein. Er musste sich irren. Was wollte er schon gesehen haben? Keiner wusste, was sich in mir abspielte, das hatte mir Frau Statzer erst vor ein paar Stunden bewiesen. Und das war auch gut so. Etwas Privatsphäre sollte der Mensch haben. Ich wollte seine Worte abtun, doch es ging eine hypnotische Wirkung von ihnen aus. Gegen meinen Willen las ich weiter.

      »Die Idee in Ihnen ist schon sehr stark. Sie haben sie nicht mehr im Griff. Ständige Verleugnung ist kein Mittel der Bezähmung. Sie denken, dass Sie die Kontrolle haben? Man könnte Sie für diesen Irrtum bedauern. Aber ich habe die Idee, die Ihnen zugrunde liegt, gesehen. Sie hat eine Form angenommen – einen Körper. Bald wird sie Ihr kleines schwaches Oberflächen-Ich schlucken. Spätestens dann muss man die Welt vor Ihnen schützen.«

      Das saß. Seine Worte wanderten durch mein Gehirn und lösten dort die verschiedensten Gedanken aus. Scham, Angst, aber auch eine selbstherrliche Arroganz, die als Spott verkleidet daher kam. Man würde die Welt vor mir schützen müssen. Irgendwie gefiel mir der Gedanke. Wahrscheinlich, weil er der Realität diametral entgegenstand. Es gab nichts, womit ich die Welt bedrohen konnte. Selbst wenn ich auf der Arbeit ein paar Zahlen verdrehen würde, hatte das keinen Einfluss, denn so ein Fehler würde schnell bemerkt und behoben werden. Ich spürte, wie mich diffuser Zorn erfasste. Dabei war ich nicht einmal auf ihn persönlich ärgerlich. Es war ein vages, unbestimmtes Gefühl.

      »Was wollen Sie von mir?«

      »Ich will Ihnen die Situation bewusst machen. Noch können Sie Einfluss auf Ihr Alter Ego nehmen.«

      Die Worte erschienen mir viel zu wohl gesetzt für den schmierigen Block, auf dem sie standen. »Und wenn ich das nicht will?«, entgegnete ich. Warnen, Situation, Alter Ego – nichts als Geschwafel! Was bildete sich diese heruntergekommene Karikatur eines Heilsbringers ein? Ich knirschte mit den Zähnen.

      »Dann werde ich Sie töten.« Er sah nicht aggressiv aus, als er diese Feststellung schrieb. Es schien ein unabänderlicher Fakt zu sein.

      Ich starrte ihn einen Moment lang ungläubig an. Der Zorn fiel innerhalb eines Wimpernschlages schwachbrüstig in sich zusammen. Dann allerdings begann etwas anderes, sich in mir zu regen. Es brodelte, wogte und schwappte ihm schließlich in die pazifistische Miene: Ich lachte! Ich konnte nicht aufhören. Die ganze Zeit stand er dabei, lächelte unverbindlich, nahm aber keines der Worte zurück, die zwischen uns lagen.

      Irgendwann verebbten die hysterischen Laute. Ich winkte dem Wirt, dass er zwei Bier bringen sollte. Diese Show war einen Drink wert. Ich war erschöpft und gleichzeitig geschmeichelt, dass gerade ich, der friedfertigste Mensch unter dem weiten Himmel, eine derartige Gefahr darstellen sollte.

      Er schob das Bier von sich fort.

      »Zu fein, um eine milde Gabe anzunehmen?« Ich kehrte den Großkotz raus. »So schnell kommst du nicht wieder an Stoff!«

      »Sie können sich selbst täuschen, aber nicht mich.«

      Inzwischen konnte ich die grau auf schmutzigweiß gekritzelte Antwort kaum noch erkennen. »Pisser«, dröhnte ich neustark. »Hau ab. Ich will deine Visage nicht mehr sehen.« Diese Gossensprache wurde langsam vertraut. Das Bier floss meine Kehle hinunter, als ob es das schon immer getan hatte, und langsam verwuchs ich mit dem Barhocker.

      Warum noch nach Hause? Ich hatte Zeit, sehr viel Zeit. Es wartete niemand auf mich. Das war gut so, unproblematisch. Keiner, der meine Wege störte. Weiber. Schrien nur rum, kommandierten ihre Männer wie Hunde. Ich fragte mich, warum die das erduldeten. Das Unaussprechliche zwischen den Schenkeln ihrer Dompteurinnen konnte doch nicht so viel Macht haben, dass sie ihre Freiheit dafür opferten. Arrogante Zicken. Irgendjemand hatte mal erzählt, dass man früher dachte, dass die Frau aus der Rippe eines Mannes entstanden sei. Schön blöd.

      Mein Nachbar stieß mich erneut mit dem Block an. Ich überflog die Zeilen nachlässig, bis ich schließlich an ein paar Sätzen hängen blieb.

      »… mehr sein, als Sie sind. Ich kenne das gut, ich war genauso. In uns schlummert ein Gott. Ein zorniger, gefallener Gott, vertrieben aus dem Paradies, der nur darauf wartet, sich die Welt untertan zu machen. Wir sind lediglich Werkzeuge für ihn. Wir selbst zählen keinen Deut. Haben Sie sich gefragt, warum ich schreibe, statt zu sprechen? Ich zeige es Ihnen.«

      Er rüttelte an meinen Arm, da ich noch immer gebannt auf das Papier sah. Als ich den Kopf hob, öffnete er den Mund. Dort wo die Zunge sitzen sollte, gähnte eine rotschwarze Höhle, in deren Tiefe sich ein verquollener Fleischstummel in krankhaften Zuckungen wand. Ein Schauer rann mir durchs Mark. Ich blickte angeekelt weg.

      »Ich habe den Kampf gewonnen. Ich musste dafür bezahlen, aber ich habe gewonnen. Meine Zunge konnte nicht mehr verkünden, was ER wollte. Ich hätte mir sogar das Herz herausgerissen, wenn es mir möglich gewesen wäre. Aber lebend bin ich für die Welt, in der wir leben, eine größere Hilfe. Und wir wollen doch leben, nicht wahr? Sie wollen doch auch morgen noch aufstehen, hinausgehen, arbeiten und sich mit Freunden treffen. Oder nicht?«

      Ich schwieg. Er tippte nachdrücklich mit seinem Zeigefinger auf den letzten Satz.

      »ODER NICHT?«

      Etwas in mir zerbrach. Scherben dunkler, weggeschobener Träume fielen klirrend in mir zu Boden. Sie rissen mit ihren salzscharfen Kanten Löcher in mein Fleisch. Ätzende Säure pulste durch meine Adern, und ehe ich es mich versah, lagen meine Hände um seinen dürren Hals. Er zitterte leicht. Trotzdem schrieb er, ohne hinzusehen, weiter.

      »Wir sind nicht allein. DU kannst uns nicht stoppen.«

      Mein Griff verstärkte