HUMANOID 2.0. Gabriele Behrend

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Название HUMANOID 2.0
Автор произведения Gabriele Behrend
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957658579



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mehr, keine Distanz. Alles, was er sagt, ist persönlich gemeint, jeder Schlag trifft allein sie.

      Irgendwann hört er auf. Sie hockt vor ihm, die Arme zum Schutz um den Kopf gepresst.

      »Na«, sagt er. »Das hat sich doch mal richtig gelohnt, nicht wahr?«

      Sie sieht ihn nicht an, ist das perfekte Opfer.

      Langsam lässt er sich in die Hocke sinken, umfasst sanft ihr Kinn. »Schau mich an«, bittet er. »Du warst großartig. Soviel Gegenwehr. Schau nur, wie ruhig ich wieder bin.«

      Als er sie küssen will, weigert sie sich. »Warum hasst du mich so?«, flüstert sie mit aufgeplatzter Lippe. »Was hab ich dir denn getan?«

      Er runzelt verärgert die Stirn. »Was sind denn das für Töne?«

      Ihre Tränen berühren ihn, bringen sein Blut zum Kochen.

      »Anscheinend hast du noch nicht genug, was? Dann hör mal gut zu, Süße. Ich kann noch viel mehr mit dir machen, Patty-Maus. Du dummes, kleines Ding. Meinst du, es ist ratsam, mir Schuldgefühle einzureden? Meinst du das wirklich?«

      Sie sieht ihn nur starr an.

      »Wir haben ein Abkommen, Patty. Ich habe das Codewort gesagt, du hast zugestimmt. Also mach nicht solche Zicken.« Er fährt sich durchs Haar. Sein Körper zittert vor Wut.

      Kann er nicht einmal nach Hause kommen, ohne dass es Ärger gibt? Kann sie ihm nicht diese Viertelstunde gönnen? Weiß sie nicht, wie wichtig das hier für ihn ist? Aber nein, nur haben wollen, haben, haben. Hast du mich lieb? Liebst du mich? Ganz bestimmt? Bin ich dein Ein und Alles? Nein, verflucht noch mal. Ich hätte etwas ganz anderes haben können, aber ich bin nun mal mit dir gestrandet, du beschissene Kuh, die lügt und betrügt und mich zum Hampelmann macht. Die ihre ganze Kohle in eine Puppe steckt, während ich mich den ganzen Tag abstrampeln darf! Und jetzt will sie Theater machen, weil ich genau das mache, wozu sie mich abgerichtet hat?

      »Ich lass mir das nicht kaputt machen«, greint er hilflos vor Zorn. »Ich lass mir das Prügeln nicht verbieten. Nicht von dir!«

      Seine Hände legen sich um ihren Hals. »Weißt du, Liebling, ich liebe dich, wirklich. Aber nicht immer. Das kann ich nicht, das kann niemand. Und dann nervst du so entsetzlich. Mit deiner Liebe, mit deiner Fürsorge.«

      Er drückt zu, während er sie mit hoher Stimme nachäfft: »Wie geht es dir? Wie war dein Tag? Ist alles in Ordnung? Bist du glücklich? Kann ich irgendetwas für dich tun?«

      Sein Blut beginnt wieder zu singen, als er ihre verzweifelte Gegenwehr spürt.

      »Klar kannst du was tun! LASS MICH EINFACH MAL FREI ATMEN!«

      Patrizia hört nicht mehr, wie es schellt. Patrizia spürt nicht mehr, wie Thomas sie achtlos auf den Boden fallen lässt, um zur Tür zu gehen. Und sie hört auch die fröhliche Stimme des Kuriers nicht mehr.

      »Guten Abend, eine Eilsendung für Frau Heussler. Ich bringe den reparierten Avatar. Ist wieder wie neu. Wenn Sie bitte hier einmal den Empfang quittieren?«

      Erntezeit

04.Erntezeit_bunt

      »Das wird eine gute Ernte.« Aly schlug die Augen auf. »Ich weiß, das wird ein richtig, richtig großes Leuchten!« Ein Lächeln bahnte sich seinen Weg, fuhr die vollen Lippen entlang und ließ sich schließlich in den Grübchen nieder.

      Draußen war es bereits dunkel, doch das tat ihrer Laune keinen Abbruch. Zu spät? Sie konnte nicht zu spät kommen, denn es war ihr Acker. Er würde warten. Sie sprang aus dem Bett, schlüpfte in ihren Leinenkittel und wand sich den wirren Haarschopf zu einem losen Dutt. Aussehen! Was galten schon Aussehen oder Ordnung oder Vernunft, wenn es um den ersten Blick ging? Niemand hatte es ihr bislang eintrichtern können und mittlerweile gab es auch niemanden mehr, der das überhaupt versuchte.

      Bevor sie allerdings aus der Kate trat, hinaus in die Pracht, sammelte sie sich für einen Moment. Die Hand auf der Klinke, schloss sie die Augen, holte tief Luft und ließ ab von allem, was sie in der kurzen Spanne vom Aufwachen an bislang gesehen hatte, Dann trat sie auf die Veranda und öffnete langsam die Augen. Ganz still ließ sie den Blick über die Felder schweifen, die bis auf wenige Schritte direkt an ihre Kate heranwogten.

      Ein stilles blaues Leuchten glomm in den Ährenspitzen. Dunkelblau, fast violett schimmerte es und das Herz ging ihr auf.

      »Whiall chomain, ihr Lieben.« Als sie von der Veranda auf den Ackerboden trat, breitete sie die Hände aus und strich vorsichtig über die überreifen Ähren. »Zeigt mir den Weg.« Die Halme bogen sich beiseite, schufen ihr Gänge, ließen sie passieren. Aly lachte leise, als sie dem Pfad folgte, den das Feld ihr vorgab. Hin und wieder blieb sie stehen, um eine Pflanze zu untersuchen. Dann sah sie genauer hin, folgte dem Lichtfluss in Halm und Blättern mit den Fingern und lauschte auf das kaum hörbare Pochen im Herzen des Fruchtstands. Wo das Licht nur schwach glomm, spendete sie Mut und Zuversicht, bis der Funke wieder heller schien. An anderen Stellen waren die Ähren bereits jetzt reif zur Ernte. Dort wisperte sie etwas von Geduld und Zurückhaltung. »Eure Zeit wird kommen. Doch noch nicht jetzt, nicht jetzt. Allein werdet ihr verglühen.«

      Nach ungefähr einer Stunde hatte das Feld sie wieder zur Kate zurückgeführt. Zu jeder guten Ernte gehörte ein guter, starker Tee. Sie sang vor sich hin, lauter nun, denn Stille gehörte nur aufs Feld. Kater maunzte auf dem Ofen, gerade erwacht aus Mäuseträumen. Was sollte es heute sein? Zitronenverbene? Melisse? Engelskraut? Rosmarin? »Ach, Kater, ich kann mich nicht entscheiden!« Sie ließ den Dutt Dutt sein und raufte sich herzhaft die Haare. Kater interessierte sich nicht wirklich für die Kräuter, wusste aber, dass er nicht eher etwas zu fressen bekommen würde, als die Teefrage geklärt war, also sprang er auf das Trockenregal und warf ein paar Bündel auf den Tisch. »Johanniskraut, Baldrian und Mohn?« Sie sah Kater verblüfft an. »Willst du mich einschläfern? Na egal, was soll’s, es wird schon seine Richtigkeit haben.« Sie kicherte, als die Kräuter im Wasser landeten, und hackte Katers Fleisch klein.

      Die Frau auf der Liege sah glücklich aus. Entspannt, friedlich. Er fragte sich, warum sie eigentlich hier im Schlafzentrum war. Sie wirkte so gesund, so normal. Für gewöhnlich waren die Probanden älter und schnarchten in der Regel fürchterlich. Fürchterlicher waren allerdings die Momente der Stille. Schlafapnoe ist für den Zuschauer schlimmer als für den Patienten, dachte er bei sich. Aber wer so viele Atemaussetzer gehört hatte wie er, der nimmt sie nicht mehr auf der persönlichen Ebene wahr, der erschrickt nicht mehr, dem ist es egal. Aussetzer – Alarm-Knopf drücken – weiterlesen. Eigentlich waren die Menschen, die jenseits der Glasscheibe schliefen, gesichtslos für ihn. Eigentlich sah er nicht mehr hin. Denn eigentlich gab es nichts Spannenderes als die Bücher, die er in den langen Nächten verschlang, bis die Buchstaben zu tanzen begannen und ihm die Augen schwer wurden.

      Heute allerdings lag da eine Frau, die im Schlaf lächelte. Und die dabei nicht im mindestens schnarchte. Und zudem blau leuchtete.

      Er rieb sich die Augen. Blau-Leuchten, pah. Irgendetwas musste mit den Leuchtmitteln nicht stimmen, ein Nachglühen der Halogenlampen vielleicht? Er sah genauer hin. Nein, das Leuchten ging vom Bett, von ihr aus, nicht von der Decke. Wenn es real wäre, dachte er, müsste man es auch auf den Monitoren sehen. Wenn es real ist, dann bin ich nicht verrückt. Er kontrollierte die optische Überwachung. Dort war nichts zu sehen, kein Schimmern, kein Leuchten, kein Glühen. »Du spinnst«, stellte er entschieden fest. »Da ist nichts.« Für einen Moment lauschte er seinen eigenen Worten, die in der Luft vibrierten. Dann waren sie fort und er widmete sich wieder seinem Buch.

      Als der Wecker den nächsten turnusmäßigen Gerätecheck – alle zwei Stunden EEG, EKG, Monitore, Optik – anpiepste, stellte er fest, dass er nichts von dem wahrgenommen hatte, was er in der Zwischenzeit gelesen hatte. Hatte er überhaupt gelesen? Oder hatte er nur abgewartet, um das Leuchten wieder zu sehen?

      Er sah durch die Glasscheibe zu der Frau hinüber. Kein Leuchten. Alles in Ordnung.

      Oder nicht? Sie lächelte noch