Anton der Taubenzüchter. Bernard Gotfryd

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Название Anton der Taubenzüchter
Автор произведения Bernard Gotfryd
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962026189



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mit seinem Namen und seiner Anschrift zu versehen, benutzte er einen schwarzen Füllfederhalter. Der sah genauso aus wie der meines Vaters, nur ohne irgendwelche Verzierung oder gar Initialen. „Wo kann man so ein Gerät bekommen?“ fragte ich ihn. „Solch einen Waterman,“ erwiderte er, „kann man nicht in irgendwelchen Läden finden, jedenfalls jetzt nicht mehr. Ich besitze diesen hier schon eine ganze Zeit. Aber wenn du an ihm interessiert bist, tausche ich ihn gern gegen ein Dutzend Rollen 35mm-Film.“

      In zwei Tagen würde er wiederkommen, um seine kopierten Pläne abzuholen. Wie sollte ich bis dahin an so viele Filmrollen kommen? An Film war überhaupt kaum zu kommen, vor allem nicht an 35mm.

      Am selben Nachmittag kam ein Stammkunde herein, Kurt, ein SS-Mann; er wollte seine Bilder abholen. Ich kannte Kurt gut genug, um ihn zu fragen, ob er mir womöglich Filmrollen besorgen könne. „Warum nicht?“ antwortete er, und am folgenden Tag überreichte er mir ein Dutzend Rollen Film, für die ich meinen ganzen Wochenlohn hergab.

      Als der Architekt wegen seiner Kopierarbeiten wiederkam, tauschten wir die Gegenstände. Er war ganz entzückt, das Filmmaterial zu erhalten, und ich war überwältigt, den Füller zu besitzen.

      Als nächstes galt es, die Goldprägung und die Initialen nachzuahmen. Ich ging wieder ins Ghetto, um Herrn Goldschlager aufzusuchen, und zeigte ihm das neuerworbene Stück. „Könnten Sie auf diesen Füller Initialen in Gold prägen?“ fragte ich. Ziemlich komisch besah er sich durch seine dicken Linsen erst den Füller, dann mich. „Das ist ein sehr hübscher Waterman,“ antwortete er. „Aber warum musst du ihn unbedingt verzieren lassen, das ist doch recht altmodisch. Warum nicht einfach Initialen zwischen den beiden Ringen? Ohne Verzierung würde er um so viel schicker aussehen.“ Da erklärte ich ihm, dass mein Vater einen verzierten Füller besaß, ihn aber verloren habe, und dass ich ihn zu seinem bevorstehenden Geburtstag mit einem identischen überraschen wolle. Aus dem Kopf versuchte ich, die Art der Verzierung zu skizzieren, aber Herr Goldschlager kannte das Muster. „Und wie ist es mit den Kosten?“ forschte ich nach. „Also, Gold würde natürlich sehr teuer, aber warum kannst du es nicht bei einer Messinglegierung belassen? Die sieht fast genauso aus wie Gold, ist dafür aber recht günstig. Dann bräuchten dich die Kosten nicht zu beunruhigen,“ sagte er.

      Ich entschied mich gegen die Verzierungen, weil ich sie mir überhaupt nicht leisten konnte. Mein Auftrag lautete: nur die Initialen. Über den Preis wurden wir uns einig und schüttelten uns die Hände. Außerdem versprach ich ihm Zigaretten, die ich gelegentlich von deutschen Soldaten erhielt, deren Filme ich pünktlich entwickelte. In ungefähr zwei Wochen werde er die Sache erledigt haben, sagte Herr Goldschlager, und ich überließ ihm das gute Stück und ging recht fröhlich nach Hause. Vaters Gesichtsausdruck konnte ich mir vorstellen, wenn ich ihm den Füller präsentierte. Doch was würde ich ihm sagen? Ein Geschenk? Eine Überraschung?

      Der Winter 1941/42 war streng, und die Lebensmittelknappheit wurde kritisch. An der russischen Front waren die Nazis siegreich. Zumindest druckten sie das in ihren Zeitungen. Zum Glück war das Fotostudio, in dem ich arbeitete, eine gute Quelle für Extrarationen und deutsche Zigaretten, die auf dem freien Markt unmöglich zu bekommen waren. Sogar Brot wurde schon rationiert. Bei Gelegenheit zwackte ich ein paar Zigaretten für Herrn Goldschlager ab, der immer bereit war, für eine Zigarette eine ganze Mahlzeit zu opfern.

      Kurz vor Ablauf der vereinbarten zwei Wochen hielt ich eines Abends auf meinem Heimweg von der Arbeit bei Herrn Goldschlager an. „Ich bin so froh, dass du kommst,“ sagte er, als ich hineinging. „Ich muss dir etwas erzählen. Bitte, setz dich. Es ist eine wahrhaft unglaubliche Geschichte, aber ich hoffe, du wirst sie mir glauben.“ Er zündete sich eine Zigarette an, nahm einen langen Zug, und fing an zu sprechen: „Gestern kam ein gewisser Heinz Gahr, der Gestapomann, um den Füller abzuholen, den du mir vor einiger Zeit zur Reparatur hereingebracht hast. Ich gab ihm das Gerät, er probierte es aus, und er schien zufrieden zu sein. Plötzlich bemerkte er deinen Füller auf der Werkbank, an dem ich gerade noch letzte Hand anlegen wollte, und fragte mich, was das denn für einer sei. Ich erklärte ihm, das sei der Füller eines anderen Kunden und wie mein Auftrag diesbezüglich laute, aber er besah sich ihn augenscheinlich interessiert weiter. Schließlich sagte er: ‚Nehmen wir an, ich würde Ihnen sagen, dass mir zufällig dieser viel besser gefällt als mein eigener und dass ich gerne tauschen würde. Erstaunlich, er trägt ja sogar meine Initialen. Ich hoffe, Sie bemerken, dass ich auch beide nehmen könnte, ohne Ihnen auch nur einen Pfennig zu zahlen, und dass Sie gar nichts dagegen machen könnten. Nicht wahr? Aber ich bin ein Ehrenmann. Ich will Sie für alle Arbeiten, die Sie ausgeführt haben, gern bezahlen, Sie geben meinen Füller Ihrem anderen Kunden, und ich erhalte den, an dem Sie gerade arbeiten.’ Und so musste ich natürlich einwilligen. Was hättest du an meiner Stelle getan? Die Gestapo gerufen?“ fragte Herr Goldschlager und seufzte tief.

      „Ich weiß, Sie hatten keine andere Wahl,“ antwortete ich.

      „Also brauchst du nur noch diesen Füller zu nehmen und schuldest mir nichts,“ sagte er, „denn der Gestapomann wird alles bezahlen, wenn er wiederkommt, um den anderen abzuholen. Zumindest hat er das gesagt. Und ich danke dir für all die Zigaretten. Die hielten mich wahrhaftig am Leben.“

      Ich bedankte mich bei ihm und versicherte, dass es mir angesichts der identischen Initialen eigentlich gleichgültig sei, welchen der beiden ich nun erhielte. Er sah reichlich verblüfft aus. „Daran hab ich noch gar nicht gedacht,“ sagte er, „aber das ist ja wirklich ein überraschendes Zusammentreffen...

      Wie dem auch sei, ich hoffe, deinem Vater gefällt der Füller,“ fügte er noch hinzu und schenkte mir dabei einen seltsamen Blick.

      Ich versprach ihm weitere Zigaretten, sobald ich welche hätte, und ging. Nie mehr rannte ich so schnell nach Hause wie an jenem Abend. Ich war völlig außer Atem. Ich konnte es nicht erwarten, den Gesichtsausdruck meines Vaters beim Anblick des Füllers zu sehen.

      Mein Vater wärmte sich gerade die Hände über dem ausgehenden Feuer im Herd, als ich den Füller hervorholte und ihm, ohne ein Wort zu sagen, überreichte. Sprachlos und mit einem ungläubigen Ausdruck sah er ihn an und blickte dann zu mir. Endlich fand er wieder Worte. „Aber..., aber wo hast du denn den her?“ fragte er. Er schraubte die obere Hälfte ab, und als er feststellte, dass Tinte im Tank war, zog er einen zerknitterten Papierschnipsel aus der Tasche und schrieb mehrere Male seinen Namen. Er war sichtlich bewegt.

      „Ich hoffe, du erzählst mir, wo und wie du ihn gefunden hast, nicht wahr?“ sagte er und sah mir direkt ins Gesicht.

      „Vater, es ist eine sehr verwickelte Geschichte,“ antwortete ich. „Ich wüsste nicht, wo ich beginnen sollte, und selbst wenn es mir gelänge, es dir zu erzählen, denke ich nicht, dass du mir glauben würdest.“

      „Es tut ja eigentlich auch nichts zur Sache, aber ich hätte nichts dagegen, wenn du es mir trotzdem erzählst.“

      „Vielleicht werde ich es einmal, aber nicht jetzt gleich,“ sagte ich, genauso bewegt wie mein Vater.

      „Danke dir, danke. Das ist mal wirklich etwas! Offen gestanden habe ich nicht erwartet, diesen Füller je wiederzusehen,“ sagte er und steckte ihn ein. „Von jetzt an werde ich ihn immer bei mir behalten. Kein Verstecken mehr in Schubladen...“ Und den Rest des Abends verbrachte er damit, den Füller immer wieder hervorzuholen, ihn genau zu untersuchen und ihn zurück in die Tasche gleiten zu lassen.

      Bald darauf fanden im Ghetto eine Reihe Deportationen statt, und Herr Goldschlager wurde mit vielen tausend anderen fortgeschafft. Meinen Vater verlegten sie ins Arbeitslager Szkolna, und so kam es, dass wir getrennt wurden.

      Viele Jahre später traf ich in New York einen Mann aus meiner Heimatstadt, der mir erzählte, dass er mit meinem Vater im Lager Szkolna war, und dass er Vater eines Tages dabei geholfen habe, seinen Füllfederhalter gegen einen Laib Brot zu tauschen.

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