Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Название Briefe über den Yoga
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783963870583



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      Ich glaube nicht, dass zwischen einem System spirituellen und okkulten Wissens und einem anderen wechselseitige Verbindungen immer hergestellt werden können. Alle befassen sich zwar mit dem gleichen Stoff, doch gibt es Unterschiede des Standpunktes, Unterschiede der Auffassung, es gibt Verschiedenheiten, was die mentale Vorstellung dessen anbelangt, was erkannt und erfahren wird, und es gibt grundverschiedene pragmatische Ziele und unterschiedliche Wege, die abgesteckt und gebahnt sind und denen man folgt; die Systeme unterscheiden sich, jedes schafft sich sein eigenes Schema, seine eigene Technik.

      Im alten indischen System gibt es nur ein trinitarisches Höchstes, Sachchidananda. Sprichst du aber von der oberen Hemisphäre als der höchsten, dann sind es drei Ebenen, die Sat-Ebene, die Chit-Ebene, die Ananda-Ebene. Das Supramental könnte man als vierte hinzufügen, da es sich auf die drei anderen gründet und zur oberen Hemisphäre gehört. Die indischen Systeme unterscheiden nicht zwischen zwei grundverschiedenen Mächten und Ebenen des Bewusstseins, nämlich derjenigen, die wir das Obermental nennen, und der anderen, dem wahren Supramental oder der Göttlichen Gnosis. Das ist der Grund ihres Irrtums bezüglich der Maya (die Macht des Obermentals oder vidya-avidya) und warum sie diese für die höchste schöpferische Macht ansahen. Indem sie derart bei etwas Halt machten, was nur ein halbes Licht war, verloren sie das Geheimnis der Umwandlung; Vaishnava- und Tantra-Yoga suchten zwar tastend danach, um es wiederzufinden, und befanden sich manchmal am Rande des Erfolgs. Für die übrigen Systeme hingegen war dieser Irrtum – das jedenfalls ist meine Meinung – der Hemmschuh für alle Versuche, die dynamische göttliche Wahrheit zu entdecken; ich kenne kein System, das nicht glaubte, sobald sich der Glanz des Obermentals herabsenkte, dass dies die wahre Erleuchtung, die Gnosis sei; das Ergebnis war, dass sie dort entweder Halt machten und nicht weiterkamen oder aber zu der Schlussfolgerung gelangten, dass auch dieser Glanz nur Maya oder lila sei und dass es allein Eines zu tun galt, nämlich darüber hinaus in das unbewegliche, untätige Schweigen des Höchsten zu gelangen.

      Vielleicht sind mit dem Höchsten vielmehr die drei Fundamente der gegenwärtigen Schöpfung gemeint. Im indischen Denksystem sind es Ishvara, Shakti und Jiva oder auch Sachchidananda, Maya, Jiva. In unserem System, das über die gegenwärtige Manifestation hinauszugelangen versucht, könnten jene sehr wohl als gegeben angenommen und vom Standpunkt der Bewusstseinsebenen aus betrachtet werden; die drei obersten, also Ananda (mit Sat und Cit, die darauf beruhen), sowie das Supramental und Obermental wären in diesem Fall die drei Höchsten. Das Obermental befindet sich auf dem Gipfel der niederen Hemisphäre, und du musst hindurch und über das Obermental hinaus, wenn du das Supramental erreichen willst; über dem Supramental und jenseits davon befinden sich die Welten von Sachchidananda.

      Du sprichst von der Kluft unterhalb des Obermentals. Doch ist dort wirklich eine Kluft vorhanden -, gibt es irgendeine andere Kluft als menschliche Unbewusstheit? In der Reihenfolge der Bewusstseinsebenen oder -stufen gibt es nirgendwo eine wirkliche Kluft, es sind immer Verbindungsstufen vorhanden, und man kann Schritt für Schritt aufsteigen. Zwischen dem Obermental und dem menschlichen Mental gibt es eine Anzahl von immer lichtvolleren Abstufungen; da diese dem menschlichen Mental jedoch überbewusst sind (außer einer oder zwei der untersten, mit denen es direkte Kontakte hat), neigt es dazu, sie als eine Art höheres Unbewusstes zu betrachten. Daher spricht eine der Upanishaden von dem Ishvara-Bewusstsein als susupti, tiefer Schlaf, da der Mensch meist nur im Samadhi Zustand darin eintreten kann, solange er nicht versucht, sein Wachbewusstsein in einen höheren Zustand zu verwandeln.

      Tatsächlich gibt es zwei Systeme, die im Aufbau des Wesens und seiner Teile gleichzeitig wirken: das eine ist konzentrisch, eine Folge von Ringen oder Hüllen mit der Seele im Zentrum; das andere ist vertikal, ein Aufsteigen und Herabkommen ähnlich einer Treppenflucht, eine Folge übereinanderliegender Ebenen mit dem Supramental-Obermental als zentralem Punkt des Übergangs jenseits des Menschlichen in das Göttliche. Für diesen Übergang, wenn er gleichzeitig eine Umwandlung bewirken soll, gibt es nur einen Weg, einen Pfad. Zuerst muss eine Wende nach innen erfolgen, ein Nach-innen-Gehen, um das innerste seelische Wesen aufzufinden, um es hervortreten zu lassen, wobei zur gleichen Zeit das innere Mental, das innere Vital und die inneren physischen Teile der Natur enthüllt werden. Das nächste ist ein Emporsteigen, eine Folge von nach oben gerichteten Verwandlungen, und eine Wende nach unten, um die niederen Teile umzuformen. Nachdem man die innere Wandlung vollzogen hat, wird die gesamte niedere Natur durchseelt und für die göttliche Veränderung bereitgemacht. Indem man aufsteigt, überschreitet man das menschliche Mental, und auf jeder Stufe des Aufstiegs findet eine Wandlung in ein neues Bewusstsein statt; dieses neue Bewusstsein durchdringt die Gesamtheit der menschlichen Natur. Indem wir uns derart über den Verstand erheben, vom erleuchteten höheren Mental bis zum intuitiven Bewusstsein, beginnen wir, die Dinge nicht mehr von der intellektuellen Ebene her zu betrachten oder mit Hilfe des Intellektes als Instrument, sondern von einer größeren, intuitiven Höhe und mit Hilfe eines von der Intuition geprägten Willens, Fühlens, Empfindens. Sinnes und physischen Kontaktes. Während man derart von der Intuition zu einer größeren Obermental-Höhe fortschreitet, findet eine erneute Verwandlung statt, und wir betrachten und erfahren die Dinge über das Obermental-Bewusstsein und über ein Mental, ein Herz, ein Vital und einen Körper, die vom Denken des Obermentals durchdrungen sind – von seinem Sehnen, Wollen, Fühlen und Empfinden, von seinem Spiel der Kräfte, von seiner Berührung. Die letzte Verwandlung jedoch ist die supramentale, denn ist man einmal dort angelangt, ist einmal die menschliche Natur supramentalisiert, dann befinden wir uns jenseits der Unwissenheit, und eine Wandlung des Bewusstseins ist nicht länger erforderlich, obwohl ein weiteres göttliches Fortschreiten, ja sogar eine unendliche Entwicklung noch möglich ist.

      *

      Es gibt eine Welt der Unwissenheit, es gibt auch Welten der Wahrheit. Schöpfung hat keinen Anfang und kein Ende. Nur von einer bestimmten Schöpfung kann man sagen, sie habe einen Anfang und ein Ende.

      *

      Du darfst nicht vergessen, dass es Spiegelungen von Höheren Welten auf den niederen Ebenen gibt, die leicht als das Höchste für dieses Stadium der Evolution erfahren werden können. Der höchste Sachchidananda ist keine Welt, er ist überkosmisch. Die Welt des Sat (Satyaloka) ist die höchste der Stufenfolge, die mit diesem Universum verbunden ist.

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      Dies ist die ursprüngliche Tapaloka, die Welt der bewussten Kraft, deren Prinzip Chit und deren Macht Tapas ist, doch gibt es auch andere Tapas-Welten auf anderen, darunterliegenden Ebenen. Es gibt eine solche auf der mentalen, eine weitere auf der vitalen Ebene. Von einer dieser Tapas-Welten muss das Wesen, das du sahst, gekommen sein.

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      Es gibt eine vitale Ebene (in sich bestehend) über dem stofflichen, sichtbaren Universum; es gibt eine mentale Ebene (in sich bestehend) über der vitalen und stofflichen Ebene. Diese drei zusammen – das Mental, das Vital und das Physische – werden das dreifache Universum der niederen Hemisphäre genannt. Sie wurden im Erdbewusstsein durch die Evolution geformt, doch bestanden sie vor der Evolution für sich über dem Erdbewusstsein und über der stofflichen Ebene, zu der die Erde gehört.

      *

      Wenn wir die Abstufung der Welten oder Ebenen als Ganzes betrachten, erkennen wir sie als eine große, zusammenhängende, komplexe Bewegung; die höheren wirken auf die niederen ein, die niederen reagieren auf die höheren und entwickeln und manifestieren in sich, innerhalb ihrer eigenen Gegebenheiten etwas, das der höheren Macht und deren Wirken entspricht. So entfaltete die stoffliche Welt, indem sie einem Druck der vitalen Ebene nachgab, das Leben und später das Mental, indem sie einem Druck der mentalen Ebene folgte. Nun versucht sie, das Supramental zu entfalten, einem Druck der supramentalen Ebene gehorchend. Dies heißt im einzelnen, dass bestimmte Kräfte, Bewegungen, Mächte und Wesenheiten einer höheren Welt in eine niedere eindringen können, um dort angemessene und korrespondierende Formen zu schaffen, die sie mit dem stofflichen Bereich verbinden und dort ihr Wirken gleichsam nachbilden oder übertragen. Und alles, was hier erschaffen wurde, besitzt feinstoffliche Hüllen oder Formen, die es stützen und erhalten und die es mit den von oben wirkenden Kräften verbinden. Der Mensch zum Beispiel besitzt neben seinem grobstofflichen physischen Körper feinstofflichere Hüllen oder Körper, durch welche er im Verborgenen in direkter Verbindung mit überstofflichen Bewusstseinsebenen