Der Kessel der Götter. Jan Fries

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Название Der Kessel der Götter
Автор произведения Jan Fries
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783944180328



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Dich bekannt machen: Brixtia, *Nerto und *Nemetos.

      Brixtia oder Brictia bedeutet Magie. Eine spätere Version davon finden wir in dem altirischen „bricht”, Zauberformel, Zauberspruch oder Zauber. Brixtia kann sich auf eine große Anzahl verschiedener Aktivitäten beziehen. Viele haben mit Sprache, Klängen und Poesie zu tun. Bei den Kelten finden wir Zauber, Anrufungen, Gebete, beissende Satiren, Flüche und sich bewahrheitende Prophezeiungen. Die Leute liebten Segenssprüche, Schutzformeln, Rätsel und das Erzählen von Geschichten. Crowley definierte Magie als „die Kunst und Wissenschaft, Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen herbeizuführen”. Zu diesem Zweck muss der Wille konzentriert und auf irgendeine Art und Weise ausgedrückt werden. Wir müssen zu Bildern und Symbolen greifen, wenn wir unseren Willen kommunizieren möchten. Der Magier teilt seinen Willen mit, und diesen kann man auf viele unterschiedliche Arten ausdrücken. Die keltischen Magier und Zauberer verwendeten meistens Worte für Brixtia, aber wenn wir genauer hinschauen, gibt es da einiges zu entdecken. Ein Wort ist ein Stimulans für die Imagination, und Imagination, insbesondere, wenn sie geschult und inspiriert ist, ist die wichtigste Quelle aller Magie. Da gibt es beispielsweise die Sprache der Gestik. Tänzer (gelegentlich unbekleidet) und Ritualteilnehmer tauchen in der vorrömischen, keltischen Kunst auf, und maskierte oder halbmenschliche Gestalten, oft mit tierischen Attributen versehen, sind häufig auf keltischen Münzen abgebildet. Lieder und Musik spielten eine Rolle im Ritual, in Kulten und Zeremonien; stell´ Dir Rasseln vor, scheppernde Metallteile, Panflöten, Bronzetrompeten und einfache Harfen. Sakrale Architektur ist eine weitere Sprache. Die Symbolik von Kultplätzen in freier Natur und, noch stärker, die Bildersprache und Symbolik, die ein nicht weg zu denkender Bestandteil von Tempelanlagen, Hügeln, Gräben, Pfeilern, Opfergruben, Brunnen, Prozessionsstraßen und Viereckschanzen ist. Dann gibt es da noch die Sprache des Opfers und der Opfergaben. Die prähistorischen Kelten gingen sehr systematisch damit um, was sie wie opferten. Das gleiche gilt für Begräbnisriten, die dem Verstorbenen sicheres Geleit in die Anderswelt geben und die Gemeinschaft vor der Wiederkehr der „gefährlichen Toten” schützen sollten. Und es gibt die Sprache der symbolischen Handlungen. Einen Talisman segnen, das Abbild eines Feindes erdolchen, eine Botschaft an die Götter der Unterwelt vergraben, eine Pflanze unter Beachtung besonderer Riten ernten, eine Prozession über die Felder unternehmen… all das sind die Wörter einer Sprache.

      *Nerto bedeutet Macht und Stärke. Das Wort hängt zusammen mit *narito, magisch gestärkt, und geht zurück auf das indo-europäische *ner, was soviel wie kreative Kraft oder magische Energie bedeutet. Nerto ist die Kraft, Energie oder Macht, die dafür sorgt, dass ein Ritual funktioniert. Diese Kraft macht sich auf vielen Ebenen bemerkbar. Auf der physischen Ebene äussert sie sich als Lebensenergie, Vitalität und Freude. Sie erfüllt und belebt besondere Orte, die entweder natürlich entstanden sind oder von Menschen geschaffen wurden und zu Ritualen einladen, wie beispielsweise die Felsen und Anhöhen, die die Kelten der Hallstattzeit für Opfer unter freiem Himmel bevorzugten, oder die Löcher, Gruben, Brunnen und Opferschächte, die in der La Tène-Zeit bevorzugt wurden. Heilige Orte, Tempelbauten, Bilder, Symbole und so weiter haben den Zweck, Nerto zu verstärken. Das gleiche gilt für Kostüme, Masken, rituelle Werkzeuge und sakrale Objekte. Nerto erfüllt Brixtia mit Leben, Nerto nährt die Götter, Nerto verbindet uns mit allen Lebewesen. Wenn man mit den Göttern kommuniziert, sorgt eine gewisse Menge an Nerto dafür, dass der Kontakt klar bleibt und die Visionen fliessen. In alten Zeiten wurde das durch das Opfern von Tieren, Lebensmitteln, Getränken, Wertsachen und gelegentlich Menschen erreicht. Opfer wecken Emotionen, und Emotionen sind es, die Götter und Geister benötigten, um sich zu manifestieren. Heute haben sich andere Verfahren als zweckmäßiger herausgestellt. In Ritualen kann Nerto durch leidenschaftliches Tanzen, wilde Musik, lange Gebete, Sprechgesang, rhythmisches Atmen, Schütteln und Schwanken, Erschöpfung, intensive Lust und jede beliebige andere Aktivität, die starke Emotionen, ein luzides Bewusstsein, Freude, Entzücken und Ekstase bewirkt, erreicht werden. Diese Kräfte werden durch den Einsatz der Vorstellungskraft kanalisiert und mit dem Glauben fokussiert. Nerto kann auch durch den Einsatz weniger angenehmer Gefühle aufgebracht werden, wie zum Beispiel Furcht, Schrecken und Ekel, oder auch durch Hunger, Verlangen und Entbehrungen. Beachte, dass unterschiedliche Formen der Beschwörung unterschiedliche Arten von Nerto produzieren. Im Ritual und in der Magie ist es wichtig, dass die emotionale Energie dem Wesen des Geistes, der Kraft oder der Gottheit entspricht, die gerufen wird. Wenn man eine Liebesgottheit anruft, ist dazu ein völlig anderer Bewusstseinszustand erforderlich als der zur Anrufung von Kriegsgöttern. Führt man das Ritual allein durch, braucht man dazu Vorstellungskraft, Identifikationsvermögen und Schauspieltalent. In einer Gemeinschaft können Masken, Kostüme und symbolische Handlungen nützlich sein, wenn man Emotionen stimulieren will.

      Wenn Nerto und Brixtia kombiniert werden, führt das zu einem starken Ritual, das der Anderswelt eine Botschaft übermittelt. Wer empfängt diese Botschaft? Wer vollzieht den Wandel? Wer antwortet auf den Ruf und sorgt dafür, dass der Zauber sich verwirklicht?

      *Nemetos bedeutet heilig und bezieht sich auf jede Erfahrung oder jedes Bewusstsein vom Göttlichen.

      Nantosuelta

      Bevor wir das Heilige weiter erforschen, möchtest Du vielleicht kurz überlegen, was Dir heilig ist. Woran erkennst Du das Heilige, das Geweihte, das Transzendentale? Wann spürst Du die Eigenschaften des Göttlichen? Wann hast Du zuletzt eine spirituelle Erfahrung gemacht? Hatte es mit einer Gottheit, einem Ort, einer bestimmten Umgebung, einem Zeitpunkt oder einer Jahreszeit zu tun, waren andere Personen oder Lebewesen daran beteiligt? Gibt es Orte, Jahreszeiten, Tage oder Zeitpunkte, die Dir heilig sind? Soweit wir wissen, manifestierte sich für die Kelten die Eigenschaft des Heiligen in heiligen Hainen, oder zumindest überlieferten es die römischen Autoren so. Abgesehen von dem Dichter Lukan, dem wir noch später begegnen werden, machten sie sich nicht die Mühe, festzuhalten, wie ein derartiger Hain aussah und wie man ihn von der restlichen Landschaft unterscheiden kann. Auch die Archäologie hat da nur wenige Einsichten zu bieten, weil Haine kaum Spuren hinterlassen, es sei denn, es befand sich ein kleiner Schrein oder ein Gebäude darin, oder eine Barriere, die den heiligen Raum von der Alltagswelt abgrenzte. Das war gelegentlich der Fall, insbesondere im Gallien der mittleren und späten La Tène-Zeit. Die Anbetungsformen in früheren Zeiten sind schwieriger zu erforschen. Die eigentliche Frage ist aber nicht, wie keltische Haine nun wirklich aussahen. Viel interessanter ist es, herauszufinden, wie sie für Dich aussehen.

      Wie würdest Du Dir einen heiligen Hain vorstellen? Träum mal ein bisschen. Setz Dich hin, atme ein paar Mal tief durch, komm zur Ruhe, entspann Dich, schließ die Augen und stell Dir vor, wie Dein Hain aussehen müsste. Befände sich der Ort im Gebirge, in den Hügeln, im Tal oder in der Ebene? Gibt es Wasser in der Nähe – eine Quelle, einen Fluss, See oder Sumpf? Wie sieht es innerhalb des Hains aus? Gibt es Steine, Felsbrocken oder eine Höhle? Uralte Bäume, wucherndes Gebüsch, Dickicht, überdachte Räume, offene Orte? Ist der Hain in irgendeiner Weise kultiviert? Kannst Du Trophäen, Opfergaben, Statuen aus Holz oder Stein sehen? Gibt es Pfade? Was ist mit heiligen Pflanzen oder Tieren?

      Wenn Du Dir Dein Nemeton vorstellst, kannst Du allerhand entdecken. Nemeton ist ein gallisches Wort, das von *nemetos, „heilig” herstammt. Für die zahlreichen keltischen Stämme konnte Nemeton eine Reihe verschiedenster Dinge bedeuten. Manche waren heilige Haine, andere Versammlungsorte, komplett mit Sakralbauten und Tempeln und so weiter. Eines im Zentrum der Türkei hiess Drunemeton, was soviel wie „heiliger Eichenhain” bedeuten könnte. Aber nicht alle Nemetons waren Eichenhaine. Es gibt Hinweise darauf, dass viele verschiedene Arten von Bäumen von dem einen oder anderen keltischen Stamm in Ehren gehalten wurden. Lukan überliefert uns einen packenden Bericht über einen heiligen Hain in einiger Entfernung von Massilia (Marseilles), den Cäsar abholzen liess, um das Holz bei einer Belagerung zu verwenden. Der Hain, reimte Lukan, war ein düsterer, schattiger Ort, wo beängstigende Stille herrschte und weder Vögel sangen noch Tiere herumstreiften. Hier standen mit Blut beschmierte Stämme und hoben sich schwarz vom Himmel ab. Im gleißenden Mittagslicht, und in finsterster Mitternacht, den beiden gefährlichen Tageszeiten der Antike, streifte die Gottheit des Hains angeblich dort herum, und weder Gläubige noch Priester wagten sich zu dieser Zeit an den Ort.

      Keine