Название | Ein Porträt meines Vaters |
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Автор произведения | George W Bush |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854454861 |
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DER NAME von Midland, Texas, rührte daher, dass die Stadt auf halbem Weg zwischen Fort Worth und El Paso auf der Texas-Pacific-Bahnstrecke lag. Wie Odessa vermittelte einem auch Midland das Gefühl, am Abgrund zu leben. Ich weiß noch, wie mein Vater in den Hinterhof unseres Hauses in Midland ging, um eine riesige Tarantel mit einem Besen zu vertreiben. Die haarige Kreatur legte einen Mordssatz hin, und Dad musste all sein Können als Baseballspieler aufwenden, um sie daran zu hindern, an ihm vorbei ins Haus zu huschen.
Obwohl Midland und Odessa einander in puncto Topografie nicht unähnlich waren, unterschieden sich die beiden Städte in Bezug auf ihre jeweilige Bevölkerung. Während die Leute in Odessa auf den Ölfeldern arbeiteten, waren die Einwohner von Midland in Büros angestellt. So wie Odessa war auch Midland eine Boomtown, und es war nicht einfach, dort eine Behausung zu finden. Für kurze Zeit lebten wir in einem Hotel und zogen danach in ein Haus mit knapp 80 Quadratmetern Wohnfläche, das sich am Stadtrand befand. Die Nachbarschaft hieß Easter Egg Row, weil der Bauunternehmer die Häuser in kräftigen Farben hatte anstreichen lassen, damit die Bewohner ihre Domizile auseinanderhalten konnten. Unser »Osterei« in East Maple, Hausnummer 405, war knallblau.
Auch das Midland der Neunzehnfünfzigerjahre beherbergte einen bunten Mix schillernder Charaktere. Es gab Leute, die am einen Tag noch pleite gewesen und nun plötzlich reich waren. Da gab es alte Rancher-Familien, die schon lange hier gelebt hatten, bevor Öl gefördert wurde. Dann lebten dort auch noch Texaner aus anderen Teilen des Bundesstaates, in erster Linie Absolventen der University of Texas und Texas A&M. Mein Vater gehörte zu einem kleinen Kontingent von Elitehochschul-Abgängern, die Angebote an der Ostküste in den Wind geschlagen hatten, damit sie ihre unternehmerischen Ambitionen im Ölgeschäft befriedigen konnten. Außerdem wohnten dort noch zahlreiche Fachleute, die für eine angemessene Infrastruktur rund um die Ölindustrie sorgten: Ärzte, Banker, Anwälte, Lehrer und Bauunternehmer, darunter auch ein netter Mann namens Harold Welch, dessen einzige Tochter, Laura Lane, ich Jahre später in der First Methodist Church von Midland heiraten würde.
Midland war ein von Wettbewerb geprägter Ort. Die in der Ölindustrie Beschäftigten gaben sich Mühe, ihre Nachbarn in Bezug auf Pacht- und Lizenzverträge abzuhängen. Die Ungewissheit, die die Branche prägte, hatte einen gleichmachenden Effekt. Jeder konnte es schaffen. Jedem konnte eine Fehlbohrung passieren. Trotz all der harten Arbeit und Wissenschaft, die in die Branche gesteckt wurden, hätten die Ölarbeiter dennoch alles für ein bisschen Glück gegeben. Trotzdem existierte in Midland aber auch eine Art Gemeinschaftssinn. Die Leute hielten in dieser unwirtlichen, abgeschiedenen Gegend zusammen.
Das Leben im westlichen Texas war simpel, so wie die Namen der Städte, die die hiesigen Straßen säumten: Big Lake (kein Wasser in Sicht), Big Spring (auch nicht viel mehr Wasser) oder Notrees (nicht ein einziger Baum). Meine Spielkameraden und ich verbrachten unsere Tage im Freien, wo wir Baseball oder Football spielten. An Freitagen im Herbst pilgerten die Leute in das Midland Memorial Stadium, um sich Spiele der Midland High Bulldogs anzuschauen. Einer meiner Lieblingsspieler war Wahoo McDaniel, der später für die Oklahoma Sooners und New York Jets spielte und außerdem noch als Wrestler in Erscheinung treten sollte. Am Sonntagvormittag gingen die meisten Leute in die Kirche. Rückblickend kann ich verstehen, warum Midland meinen Eltern so gefiel. Die Mischung aus Wetteifer und Gemeinschaft reflektierte die Erziehung, die mein Vater genossen hatte. Er hatte die Tugenden, die er zu Hause gelernt hatte, direkt mit sich in die texanische Wüste genommen.
Ein paar Monate nach unserer Ankunft in Midland erhielt mein Vater einen unerwarteten Brief von Tom McCance, einem hohen Tier bei Brown Brothers Harriman. Die Firma bekundete erneut ihr Interesse an Dad. Seine Kenntnisse der texanischen Ölbranche würden sich ihrer Meinung nach an der Wall Street bezahlt machen. Dieses Angebot wäre die perfekte Fluchtgelegenheit gewesen. Meine Eltern hätten sagen können, dass ihnen das Leben hier zwar zugesagt habe, sie viel gelernt hätten, nun aber wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren würden. Das war jedoch nicht, was sie taten. Mein Vater bedankte sich vielmehr bei Mr. McCance für sein großzügiges Angebot, lehnte es allerdings ab. Er hatte schließlich seinen Claim bereits im Westen von Texas abgesteckt.
EINIGE MEINER SCHÖNSTEN Erinnerungen an unsere Jahre in Midland betreffen die Zeit, die ich dort mit Dad verbrachte. Er war viel damit beschäftigt, sein Geschäft anzukurbeln und reiste unablässig. Außerdem engagierte er sich in der Gemeinde, unterrichtete etwa in der Sonntagsschule der First Presbyterian Church und begab sich im Namen von United Way und dem YMCA auf Spendensammelfahrten. Und dennoch war seine Abwesenheit für mich kaum spürbar. Es war ihm stets ein Anliegen, so viel Zeit wie nur möglich mit seinen Kindern zu verbringen. Wie mein Bruder Jeb es ausdrückte, war George H.W. Bush der Erfinder der »Quality Time«. Er kam von der Arbeit nach Hause, zog sich seinen Baseballhandschuh an und warf mir im Garten unseres Hauses in der West Ohio Avenue 1412, wohin wir im 1951 gezogen waren, Bälle zu. Dieses Haus trägt mittlerweile den Namen »George W. Bush Childhood Home« – obwohl ich mich schon sehr wundere, warum es nicht »George H.W. Bush-Haus, wo auch George W. Bush als Kind lebte« heißt.
An manchen Wochenenden nahm mich Dad mit auf die Taubenjagd, was für viele Leute in dieser texanischen Gegend eine Art Ritual darstellt. Ich trug dabei meine .410, die er mir zu Weihnachten geschenkt hatte, nachdem er überzeugt davon war, dass ich die Sicherheitslektionen verinnerlicht hatte. Wir scharten uns dann um ein Wasserloch inmitten der ausgedorrten Landschaft, bereiteten Burger auf einem tragbaren Grill zu und warteten bis zum Sonnenuntergang, in der Hoffnung, dass die Tauben zu uns fliegen würden, um ihren Durst zu stillen. Er nahm mich auch auf die Ölfelder mit, wo ich die Anlagen und Pumpen aus nächster Nähe sehen konnte. Diese Ausflüge entfachten bei mir das Interesse, das ich später in den Mittsiebzigern als unabhängig in der Ölindustrie Tätiger ausleben würde.
Unser Haus war ein geschäftiger Ort. Eines Tages brachte Dad einen jugoslawischen Ingenieur mit nach Hause, den er über das Ölgeschäft kennengelernt hatte. Er blieb eine Woche bei uns, und mein Vater führte ihn auf den Ölfeldern der Gegend herum. Während eines Sommers in Midland besuchte uns auch der jüngere Bruder meines Vaters, Bucky. Er war 14 Jahre jünger als Dad und in Begleitung seines College-Kumpels Fay Vincent – er sollte später Commissioner der Baseball Major League werden. Sie wohnten bei uns und betätigten sich gemeinsam auf den Ölförderanlagen.
Meine Eltern luden ständig ihre Nachbarn zu Gartengrillfesten oder Cocktails zu uns ein. Ich erinnere mich noch an ein Weihnachten, zu dem ich ein Horn geschenkt bekam. Offenbar blies ich das Ding ein paar Mal zu oft, denn letzten Endes nahm Dad es mir ab und machte es kaputt. Ein paar Tage später kaufte sich einer unserer Nachbarn das gleiche Horn, rief meinen Dad an – und blies lautstark in den Hörer. Ein anderes Mal war es wiederum mein Vater, der jemandem einen Streich spielte, nämlich seinem guten Freund Earle Craig, der ebenso wie er in Yale studiert hatte. Er war dafür bekannt, mit großer Freude in die Perlzwiebel zu beißen, die in seinem Martini schwamm. Eines Abends gab Dad ihm stattdessen ein Gummizwiebelchen in seinen Drink. Als der Earle of Craig (wie ihn manche nannten) schließlich dramatisch in die unechte Zwiebel biss, hatte das herzhaftes Gelächter innerhalb der Runde zur Folge (vermutlich hatten alle bereits ein paar Martinis intus). Earle wusste, dass das alles nicht so ernst gemeint war. Das Leben in Midland war jedenfalls erfreulich und sorgenfrei.
Ich weiß nicht mehr viel von unseren damaligen Gesprächen, aber es dürfte in der Regel um Sport und die Schule gegangen sein. Mein Vater war nicht der Typ, der einem Lektionen in Politik oder Philosophie erteilte. Er glaubte daran, dass er mit gutem Beispiel vorangehen müsse. Wenn ich eine Frage hatte, war er da, um sie zu beantworten. Er gab immer gute Ratschläge.
Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, ging ich mit ein paar Freunden in Midland in einen Gemischtwarenladen. Dort erspähte ich ein paar Spielzeugsoldaten aus Plastik, die sich in einem Glas auf einem der Regale befanden. Ich beschloss, sie in meine Hosentasche zu stopfen und spazierte, ohne für sie zu bezahlen, aus dem Geschäft. Später am selben Tag beobachtete mich mein Vater, wie ich vor dem Haus mit den erbeuteten Soldaten spielte.
»Hallo, mein Sohn«, sagte er. »Was tust du denn hier