Abschiednehmen. Hartmut Zwahr

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Название Abschiednehmen
Автор произведения Hartmut Zwahr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783867295611



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machte mit dem Einsortieren auf einmal nicht weiter.

      Du kommst nie drauf, was bei Mutter lag.

      Zeig her. Johannes sah es. Mutter war verschwiegen, sagte er. Vielleicht dachte sie, dass er eines Tages vor der Tür steht.

      Du meinst, der nach der Sägemühle gefragt hat?

      Jürgen setzte sich auf die Frisierkommode.

      Pass auf, der Spiegel kippt.

      Vielleicht gut, dass es so gekommen ist, sagte Jürgen, Mutter wollte nicht mehr.

      Ach, Mutter, du machst Sachen, sagte Johannes, und sie liegt nebenan.

      Jürgen kniete am Schrank. Grubes müssten längst da sein. Sie warteten.

      Der nach der Mühle gefragt hat, sagte Jürgen eine Weile später, hatte so ein großes Parteiabzeichen, an den kann ich mich gut erinnern, er war mit irgendwelchen Offiziersschülern unterwegs, wie die Russenpanzer rüber sind zu den Tschechen, der hatte solche Knopfaugen. Er hielt sich ein Nachthemd an. Soll ich das blaue rauslegen? Ich denke, das dünne blaue nehmen wir.

      Mag das Frau Grube entscheiden.

      Der, sagte Jürgen, der war das! Wer denn sonst? Wenn er nach der Valtenmühle gefragt hat.

      Sie lassen uns warten.

      Die haben nicht nur das.

      Wenn ich sagte, ich als Gemeindebote, sagte Jürgen, schimpfte der Bürgermeister, Sie sind Zusteller!

      Das ergab keinen Sinn. Mutter ist gestorben. Unabänderlich, alles. Er dachte schon, Grubes wären vor der Tür. Der mal nachgefragt hat, vielleicht wars der wirklich, Manfred, von der HJ der. Mutter hat das Ding beiseite getan, was richtig war, schon wegen der Schule.

      Du hörst gar nicht zu. Jürgen legte ein durchbrochenes Hemd mit Krägelchen hin. Da hat Frau Grube was zur Auswahl. Ich denke, die sollten das nicht finden, was er dir geschenkt hat. Jürgens Gesicht nahm einen Ausdruck von Erleuchtung an.

      Meinst du die Sozialstation?

      Unter den Nachthemden hätte niemand gesucht. So schlau war Mutter.

      Vielleicht wars der wirklich.

      Vielleicht.

      Es klopfte, das runde Gesicht von Frau Grube erschien. Unser aufrichtigstes Beileid zum Verlust Ihrer Mutter. Fester Händedruck, Schweigen, aber nicht lange. Ein schönes Alter hat die Mutter gehabt, nun hat sie Frieden. Herr Grube zog Papiere aus der Umhängetasche. Da Grubes stehn blieben, blieben sie auch stehen. Wir machen es, wie Sie vorschlagen. Er nahm in Mutters Schlafstube Platz, füllte den Vertrag aus. Erst geh ich zu ihr. Frau Grube nannte Mutter beim Zunamen. Ob die Hemden bereit lägen. Die sind gut, sie hatte die Nachthemden auf der Frisiertoilette entdeckt, er konnte so schnell gar nicht zufassen.

      Sie sah ihren Mann an. Zeigte was.

      Na, so was.

      Hatte ich auch, sagte Herr Grube.

      Lag im Wäscheschrank, mehr weiß ich nicht, sagte Jürgen.

      Sie legte die Hemden wieder hin. Damit das seine Ordnung hat. Ihre Mutter können wir nicht mehr fragen. Sie sind jünger als mein Mann, sagte sie zu Johannes, Sie waren zu jung dafür. Sie nahm ein Barchenthemd mit eingewebtem Muster.

      Aus Damast das gefiel Jürgen besser.

      Sollen die Kinder entscheiden. Sie hielt sich’s an.

      Das tät der Mutter gefallen. Jürgen wollte mit rübergehn.

      Wir machen das schon. Johannes brachte das angewärmte Wasser, Waschlappen, Seife, das Handtuch. Die Tür schloss sich. Grube füllte aus. Wie ich ihr die Wäsche brachte, saß sie noch im Sessel. Seine Stimme kam wie von weit. Dieses Abschiednehmen war endgültig.

      Die Bläser sollten zweihundert kosten. Dass die Firma die Bläser stellte, redete Johannes Grube aus. Der Sohn vom Bäcker sollte das Waldhorn blasen, solo, wie zu Vaters Begräbnis. Zu ihrem Fünfundachtzigsten hatte unterm Fenster der Posaunenchor geblasen: Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre. Bei Jojo und Marielouise ging das Fenster auf. Bloß Eichlers, die nichts zu tun haben wollen mit der Kirche, hatten ihrs schnell zugemacht.

      Beim Eichler werden die Lippen auch immer dünner. Wie sich die Mundwinkel senkten, seit sie dem Parteisekretär fristlos gekündigt hatten; gallebitter, ohne Hoffnung war er.

      Zum Schluss waren die Bläser die Treppen hochgestiegen, auf einen Schnaps. Ich ganz alleine mit den Männern, sagte Mutter. Nach dem Schnaps, den sich die Bläser nicht entgehen ließen, sollte sie sich noch ein Lied wünschen. Was habt Ihr denn zu bieten, Ihr Bläser? Ob sie nicht so ein Liedel hätten, was Schönes. Der Sohn vom Bäcker hatte Choräle vorgezählt. Ihr kommt nie drauf, was ich mir gewünscht hab, wie die abmarschiert sind, die drei Treppen runter, und ich ans Fenster gehumpelt mit meinen Stöcken. Die Gedanken si-ind frei, wer kann sie erraten? Wie schön ich singen konnte. Hatte die Hand bewegt, als dirigiere sie. Drum bleibt es da-a-bei: Die Geda-anken sind frei! Das kam vom Herzen, das Liedel. Wunderbar. Ich hab an euch gedacht, wie ihr an den Montagen marschiert seid. Die Gedanken sind frei, das spielten sie, bevor sie in ihre Autos stiegen. Welche fuhren noch Trabant, andre schon was Bessres, einer war aufs Fahrrad gestiegen.

      Grube meinte, der Bäcker käme nicht billiger. Ich muss an meine Männer denken, die Buden haben doch alle dicht gemacht. Also gut. Ohne die Bläser.

      Aus meiner Klasse sind die meisten in Vorruhe, der Arzt nicht, der Bäcker nicht, ich.

      Vergessen Sie den Töpper nicht, der Töpfer kauft die Lederfabrik, die Gerberei, die von Lehmann, vom VEB.

      Grube gab Johannes das Formular samt der Ledertasche, auf der es lag, zur Unterschrift, sie saßen auf dem Bettrand.

      Der? Die Lederfabrik? Hör ich zum ersten Mal, sagte Jürgen.

      Der vergrößert sich, der Töpper, ich gönn’s ihm ja. Die haben drei Söhne, Töpper, bloß der Jüngste nicht, bringts genauso, vielleicht noch besser. Das steckt bei denen so drinne, wenn du mit dem Scherbelzeug groß wirst. Die sind ihm manchmal böse, weil er den Einheimischen nichts abgelassen hat, als die Ware knapp war, aber ehrlich, wer hat das nicht gemacht? Staatsbewirtschaftet das meiste. Die sind von Berlin gekommen, haben im Auto geschlafen, gezeltet, bloß für ein Service, Kaffee, Tee, egal, wegen Wandtellern, geschwämmelten Vasen, Schüsseln, den kleinen Krügen. Bloß die Puppenstuben sterben aus. Wenn die um Achte früh aufmachten, Mittag war alles raus. Die Gerberei, denke ich, hat er für ne Mark gekriegt. Von der Treuhand. Als erstes haben sie den Speisesaal hergerichtet, in dem stehn die Trockenbretter. Zuerst muss das Tonzeug trocknen, dann wird bemalt, zum Schluss gebrannt.

      In meinem Beruf hört man viel, meinte Grube.

      Seine Frau erschien in der Tür. Ich hab vom Töpper erzählt. Da weiß ich noch was, sagte sie. Als der Lehmann die Fabrik baute, hat der einen Häusler nach dem andern aufgekauft, bloß zweie nicht, an die ist er nicht ran gekommen, nicht für gutes Geld, nicht für gute Worte. Das vom Töpper und vom Steinmetz, das lag auf der andern Seite vom Wasser, dazwischen die Wesenitz, die Grundstücke sind geblieben, die hat nicht mal der Sozialismus weggekriegt, da war der Töpper wichtig für den Export. Mit einem Gesicht, das zu ihrem traurigen Geschäft passte, ging sie wieder hinein.

      Grube setzte die Unterhaltung fort. Den Gerber Lehmann hat der Umsturz enteignet, der hat für die Wehrmacht produziert. Jetzt keeft der Töpper für ne Mark den VEB von der Treuhand. Ist die Welt nicht verrückt? Das Wasser war vom Gerbersalz fast schwarz. Seit die Gerberlake reinlief, kein Schwänzel Fisch, bis sie die SED rausgeschmissen und die Bude dicht gemacht haben. S’ Wasser wird wieder reene.

      Und die Maschinen?

      Grube verdrängte sein Lachen. Sind längst fort, über die Grenze. Die Polen haben die Gerberei ausgeräumt, die Maschinen abgebaut, in Polen wieder zusammengesetzt. Die arbeiten mit diesen Maschinen. Von der Gerberei einer hat das beaufsichtigt. Die werden uns Konkurrenz machen, warten Sie ab, das hat schon angefangen.

      Haben Sie einen Plastesack?

      Was