Название | Abschiednehmen |
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Автор произведения | Hartmut Zwahr |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867295611 |
Na, gute Nacht. Kein Licht machen, sagte Mutter, als Dunkelheit ihr Elend einhüllte. Der gute Junge ist inzwischen auch fort, damit er was hat von Pfingsten, sie meinte den Enkel. Zum Abschied drückte er sie. Weinte auf der Treppe und war still zum Bahnhof gegangen, der Student, der große Junge. Du weißt, dass er sich bewaffnet hat, hatte Mutter gesagt, er wusste das von Jürgen, dem Postler, auf den er wartete. Überall lauert Gewalt. Wer mich aufklatschen will, den steche ich ab, soll er gesagt haben. Wo der Hass nur herkommt, hat Mutter gefragt? Den Russen, als sie abzogen, wollte er eine Makarow abkaufen, aber zu kriegen war keine mehr. Geh zum Pfingstkonzert, mein Junge, und wenn du heimkommst, essen wir. Ich möchte, dass du mit draußen bist, wo die Musik spielt, musst denken, dass ich auch draußen bin, die sagen sonst, die Edith, das war vielleicht eine Suse. Sie redete wie über jemanden, den es schon nicht mehr gibt, bis sie aus langem Schweigen, aus dem sie plötzlich auftauchte, sagte: S’ ganze Mädel is k. o. Geh schon. Da lebte Mutter noch.
Eichlers machen vielleicht Mittag. Bei ihnen verging jetzt ein Tag wie der andre. Wie werde ichs dem Ronny sagen, wenn er unten steht und sein Fahrrad putzt. Vielleicht wird’s ihm Frau Eichler sagen, dass Mutter gestorben ist. Ich kann nicht an den Tod denken, schiebe das weg, denke an alles und jedes, ich warte, dass Jürgen kommt.
Ronnys Fahrrad war zu hören. Dass Frau Eichler übers Schwimmenlernen redete, kam ihm in den Sinn, wegen Ronny, sie frisch frisiert. Fährst wohl schwimmen nach Schmölln? Marielouise hatte sich dazu gestellt, ein Katzenjunges auf dem Arm, und Frau Eichler sagte, bei mir führte der Bademeister die Angel, ich hing am Schwimmgurt. Ich wäre in meiner Klasse der einzige gewesen, der schwimmen konnte, als Stadtmensch, sagte ich ihr. Die wenigen Badegelegenheiten. Anscheinend konnte Marielouise nicht schwimmen. Sie erinnerte sich an den Jungen, der im Hardtteich ertrunken ist, da war ich in der ersten Klasse. Hängen geblieben ist der. Nein, Herzschlag, ist erhitzt reingesprungen, statt sich abzukühlen, sagte Frau Eichler, sind dem Fußball nachgerannt.
Haben Sie auch im Steinbruch gebadet, wie die Frau – mir fällt der Name nicht ein? Die stieg die Holzleiter runter und glitt seufzend ins Wasser. Ich weiß, wer das ist, sagte Marielouise, dort baden, war gefährlich, und Waffen lagen auch drin. Das ganze Valtental steckte im Busche, fragen Sie meinen Mann, der kann Ihnen das genau erzählen, sagte Frau Eichler. Das war, als die Russen die Putzscher Brücken gesprengt ham. Nicht die Russen, Marielouise, die Wehrmacht, widersprach Eichler, der sich dazu gestellt hatte. Wer behauptet so was? Sie etwa? Unsre waren das, sagte er gallig. Marielouise räumte ein, sie hätte das aus der Zeitung. Ich dacht schon, Sie hätten den Quatsch erzählt. Der Russe stand am alten Steinbruch, die Brücken hat er nicht gesprengt.
Die Polen waren am Steinbruch.
Streiten Sie nicht, der Russe, hatte Eichler Johannes abgefertigt. Wer weiß da drüber überhaupt noch was? Weiß der Ronny was davon? Das weeßt nich mal du, sagte Eichler mit strengem Blick auf Marielouise. Zuerst kam Schörner. Sie wissen vielleicht, wer das war. Der kam mit seiner Blase zurück, und mein Bruder hatte das Kabel abgezwickt. Erschossen hätten die uns wegen bissel Klingeldraht. Eine Neunzigjährige haben die Leute auf dem Tafelwagen in den Busch gefahren, die Hühner gleich mit, erzählte Frau Eichler. Der Raffel war nich dabei. Der Name sagt Ihnen doch was? Gestapo, sagte Johannes. Sicherheitsdienst, korrigierte Eichler, den hatte ich als Lehrer, und mit einer kusshandähnlichen Bewegung: Moalen kunnte der, bei dem hoatten wir Zeichnen. Die Tochter war mal da, nach der Wende, die kriegten das Haus zurückübertragen. Wenn Rafeld einschlief, taten wir den wecken. Raffel moalte seine Frau nackch. Strümpe stoppen kunnt se nich. Der hatte Listen, sagte Eichler, die droff standen, die hätten sie abgeholt.
Marielouise, die gepünktelte Schürze über den Schenkeln, amüsierte sich, wie die Katze am Band nach Faltern haschte. Katzen sind Jäger, meinte Eichler. Nehmse den Hocker! Sie müssen ni stehn. Die Erinnerung, einmal angestoßen, rollte wie eine Kugel. Schölzel Emil, kanntn Se den? Der war SA, handelte mit Blumen. Mit Kunstblumen, ergänzte Frau Eichler und sah zu, wie Marielouise am Band die Katze heranholte. Die vielen Autos heute! Manchmal, an der Straße, ließ er mich strammstehn. So: Eichler sprang auf, legte die Hand an die schwarzlila Freizeithose. Weil’ch nich grissen wullt, bin’ch nüber auf die andre Seite. Am Tag droff schoss der Rafeld auf mich zu. Kannst nicht grüßen!? Ritsch, ratsch, hoatt’ch zwee Fautzen drinne sitzen.
Der Lehrer hat sich in Uniform in der Kirche trauen lassen. Du verwechselst das, Louise, Mendrock hat sich in Uniform trauen lassen, der später Betriebsleiter war. Der Sohn, widersprach Marielouise. Ich weiß das von ihr, sie zeigte mit der Hand nach oben zu Jojo. Herr Poike lief auch in Uniform rum. Der war bei der Wehrmacht, der hat den Volkssturm verabschiedet, sagte Eichler, er wird zweiundneunzig, und jetzt ist ihm die Frau gestorben, sagte sie. Nicht in SA-Uniform? Ist geklärt, Marielouise.
Sie kamen wieder aufs Schwimmen zu sprechen. Die Schwimmhalle hat »Fortschritt« gebaut, das Fortschritt-Werk, die bauten Mähdrescher. Die Halle ist noch zu unsrer Zeit eingeweiht worden, aber Marielouise, die das Thema aufgebracht hatte, hörte schon nicht mehr zu, weil unter dem grünen Schleier, mit dem die Erdbeeren abgedeckt waren, die gelbe Katze saß. Eichler guckte weg, als Marielouise den Hintern heraussteckte. Sie gingen ja alle in Strumpfhosen. Marielouise gab Leine. Die erwürgt sich sonst noch, die Katze. Eichler brachte das Russengespräch wieder in Gang. Polen waren das, sagte Johannes. Eichler, Russen. Woher wollen Sie wissen, dass auf dem Lämmerberg Polen waren? Und haben geschossen, am Steinhübel hoatten se de weiße Foahne bissel zu zeitch nausgehangn. Dann eben der Russe, hatte Johannes gesagt und war zur Mutter hochgegangen.
Er wartete auf die Heimbürgin und auf den Bruder. Die Reibereien mit Eichler sind unnütz. Ob ich im Haus Bescheid sagen gehe? Wenn das schwarze Auto vorm Haus steht, wird Zeit genug sein, sich auf den Tod einzustellen.
Jürgen ist gekommen. Du brauchst dich nicht fürchten.
Sie saßen in der Küche, redeten über Mutter, weil das von der Traurigkeit ablenkte. Ronny war unten, ich hab nichts gesagt.
Ronny erfährts zeitig genug.
Wenn Grube das Sterbegeld hat, nimmt er alles in die Hand, den Vertrag bringt er mit.
Die Grubes sind in Ordnung, mir hat sie das Wäschepaket für Mutter immer gegeben, wenn ich vom Zug kam und die Wäscherei geschlossen war.
Mutter war in letzter Zeit ziemlich durcheinander, sagte Jürgen, bei mir war Besuch, sagte sie, noch gar nicht lange her, die Frieda kennst du, und Fritz, ihren Bruder, da warst du Kind, den kannst du nicht kennen. Einer aus der Schule hat den Lehrer erschossen. Wie sie das sagte, hat sie die Hand auf den Mund gelegt. Er lebt angeblich drüben, und jetzt besucht er mich, hat sie noch gesagt.
Kann sein, Mutter war verwirrt, wie neulich, als sie sagte: Jetzt geh mer rein, es wird was kühler. Ich will Ruhe haben, ach, was will ich noch auf der Welt, das war Pfingsten.
Der hat den Lehrer erschossen? Jürgen sagte es leise. Das hat sie nicht bloß so hingesagt. Mutter wollte was loswerden. Schlaf ein bissel, hab ich zu ihr gesagt, und wie sie in meiner Hand das Wischtuch sieht, sagt sie: Immer gleich aufwaschen, wegstellen, das Wischtuch zusammenfalten.
Vielleicht gibt’s wirklich was, was wir nicht wissen.
Die Ella, die bei uns wohnte, hat mal was angedeutet, gegenüber Vater. Da wird viel erzählt, und Mutter war verschwiegen.
Mit der Zeit macht alles Platz für andres, sagte Johannes. Grubes könnten schon da sein.
Wir sollen zwei Hemden rauslegen, keine gestopften, was Schönes, hatte Grubes Frau dazwischen geredet, wie ich von Bautzen aus anrief.
Sie gingen in die Schlafstube. Findest du dich zurecht?
Jürgen nahm Hemden aus dem Wäscheschrank und legte sie auf die Frisierkommode. Der eine Seitenflügel hatte diesen dicken Sprung, man sah sich zerteilt, seit die Russen eingerückt waren. Winterhemden, sagte er, dünne müssen auch da sein.
Die dünnen lagen für