Название | Das Kreuz mit dem C |
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Автор произведения | Martin Lohmann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766641021 |
Deutschland – ein säkularisiertes und religionsfreies Land? Kann die Union also getrost weniger C zulassen, weniger christlich sein als einst, weil ja ohnehin das C im Volk verdunstet? Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung wartet diesbezüglich mit Überraschungen auf. Dort kommt man – etwa im Januar 2009 – nach sorgfältigen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Deutschland ein religiöses Land ist. Sic! Denn die meisten Deutschen gehören einer Religionsgemeinschaft an. Und die soziale Infrastruktur ist vor allem von christlichen Institutionen, Angeboten und Einrichtungen geprägt. Schulen, Krankenhäuser, Senioreneinrichtungen, Kindergärten – die meisten sind in kirchlicher Trägerschaft. Präsent ist das C auch durch Vereine und Verbände, durch Kinder- und Jugendgruppen und zahlreiche Aktivitäten, nicht zuletzt von Menschen im Ehrenamt. Gewiss: In Oberbayern ist das eher und häufiger zu erfahren als in Berlin oder Cottbus. Aber insgesamt lässt sich feststellen, dass das C im Leben der Deutschen erkennbar vorhanden ist. Mal mehr, mal weniger profiliert.
Es gibt Unterschiede. So gelten im Osten des Landes nicht mehr als durchschnittlich rund 30 Prozent als religiös, im Westen sind es knapp 80 Prozent. Insgesamt glauben etwas weniger als zwei Drittel an die Existenz eines göttlichen Wesens, 70 Prozent betrachten sich irgendwie als religiös, ein Viertel davon sogar als sehr religiös. Für 15 Millionen Menschen in Deutschland spielt also die Religion eine lebensprägende Rolle. Bemerkenswert ist hier, dass von den rund dreieinhalb Millionen Muslime in Deutschland 90 Prozent religiös sind, davon die Hälfte sogar hochreligiös. Offenbar gibt es hier eine stärkere Bindung an das, was vergleichbar bei den Christen an Bindungskraft verloren hat. Die hohe Religiosität, die man allgemein beobachtet, mündet jedenfalls nicht automatisch in einer bleibenden oder gar wachsenden Kirchlichkeit. Im Gegenteil. Das C scheint seine konkrete Verbindlichkeit ein wenig zu verlieren. Jedenfalls im Blick auf die Kirchen, mit denen weithin das C verbunden wird. Zwar sind die Katholiken in Deutschland heute konfessionell gesehen eine Mehrheit von 25,7 Millionen. Doch es gibt nach wie vor hohe Austrittszahlen, und wenn die Prognosen mancher Experten stimmen, dann wird der Mitgliederschwund in den kommenden fünfzehn Jahren weitere fünfzehn oder gar mehr Prozent betragen. Religion ja, Kirche eher nein – so sieht es vielfach aus.
Deutschland ist anders
Man muss eben auch diese Realität im Blick haben, wenn man über das Kreuz mit dem C nachdenkt und eine Antwort auf die Frage nach der Christlichkeit der Union sucht. Es ist eben nicht so simpel, wie viele meinen. Auch Peter Ramsauer, der CSU-Landesgruppenchef in Berlin, weiß das. Und plädiert – wie viele andere auch – für Fairness. Das eine stimmt eben genauso wenig wie das andere, meint er: Die klagende Behauptung aus konservativen Kirchenkreisen, dass christliche Überzeugungen keine Rolle mehr in Deutschland spielten – wie auch zumeist aus derselben Ecke die selbst definierte Berechtigung, der Union den Anspruch zum Führen des C in einer säkularisierten Gesellschaft abzusprechen. Beides sei Unsinn. Beides sei falsch. Enttäuschten Traditionalisten fehle gelegentlich ebenso wie vielen Kritikern das Gespür dafür, wie lebendig christliche Überzeugungen nach wie vor in Deutschland seien, wenngleich sich auch vieles heute anders ausdrücke. Den Wandel müssten Politiker nicht nur sehen, sondern auch berücksichtigen.
Zu diesem Wandel gehört auch eine Erkenntnis, die der CDU-Mann Hermann Kues im Jahr 2008 in einer theologischen Fachzeitschrift formulierte. Bestimmte Selbstverständlichkeiten seien verloren gegangen, denn die Union werde nicht mehr wie früher trotz ihres ökumenischen Charakters vor allem als Partei katholischer Christen verstanden. Der Katholik Kues sieht – auf einen möglichen Katholischen Arbeitskreis in der Union angesprochen – gleichwohl hier keinen wirklichen Bedarf und meint, ein solcher Kreis müsse ja erst einmal bestimmen, was denn das Katholische ausmacht. Das sei gar nicht so leicht – liest man, und wundert sich, wo doch eine solche Bestimmung im evangelischen Bereich trotz der dort gegebenen Vielfalt und Unterschiedlichkeit offenbar vor vielen Jahrzehnten kein wirkliches Problem gewesen zu sein scheint. Der Befragte wiegelt lieber ab und lenkt in eine Ecke. Wenn es sich bei einem solchen Arbeitskreis lediglich um ein Bündnis derer handeln würde, die traurig darüber sind, dass bestimmte Traditionen nicht mehr funktionieren, dann wäre eine solche Plattform nicht zukunftsfähig. Aber nach einer solch engstirnigen Gruppierung war der Bundestagsabgeordnete und Staatssekretär gar nicht gefragt worden. Erstaunlich, dass da offenbar eine regelrechte Angst subkutan vorhanden ist! Denn viele keineswegs engstirnige und rückwärtsgewandte Katholiken wüssten schon gerne, wo denn ihre durchaus weltoffene Stimme in der Union von heute und morgen eine Stimme haben könnte.
Gespräche wie die mit Hermann Kues sind symptomatisch. Sie zeigen einerseits ein Ringen mit dem C, andererseits eine gewisse Unsicherheit, Profilträgern des C eine wirkliche Chance zu geben. Es gibt in der Union so etwas wie die Furcht vor dem C. Es gibt so etwas wie die Angst vor dem Verlust der eigenen uneingeschränkten Deutungshoheit. Es ist und klingt vor allem richtig, wenn C-Politiker fordern, man solle das C nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen, weil das niemanden wirklich überzeuge. Es ist ja ebenfalls richtig, dass früher selbstverständliche Verbindungsund Karrierelinien von der konfessionell gebundenen Jugend bis hin in die Verantwortungsebene der Union heute weggebrochen sind. Und es ist nicht zu bestreiten, dass die einst funktionierende Partnerschaft zwischen der Soziallehre der Kirche und der Union Macken bekommen hat.
Feierliche Beschwörung des C
Vieles ist schwieriger, komplexer und pluraler geworden. Das Dominikanerkloster Walberberg bei Bonn gibt es nicht mehr. Die enge Beziehung in den Kinderjahren der Republik von hier aus nach Bonn und umgekehrt ist Geschichte. Was einmal mit kirchlicher Unterstützung etwa 1957 im Blick auf die dynamische Rente entstehen konnte, kann heute weder vom Verfahren noch von der Sache so einfach kopiert werden. Und wenn C-Politiker heute mit kritischem Unterton anmerken, dass die Soziallehre sich auch viel zu wenig mit alltagstauglichen Überlegungen beschäftige, wenn sie von ihr fordern, sie müsste Überlegungen dazu anstellen, wie der Sozialstaat künftig aussehen könnte – vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Individualismus, Staat und Gesellschaft, dann, ja dann schieben sie den Schwarzen Peter allzu einfach von sich weg und suchen Schuld für ein gestörtes Verhältnis dort, wo diese Schuld sicher nicht ursächlich anzusiedeln ist.
Ich will zitieren, was Hermann Kues in der Herder-Korrespondenz im Herbst 2008 zum C sagte, weil es deutlich macht, wie sehr dies ein Thema ist – oder auch nicht. Auf die Frage, ob sich die CDU nicht gerne grundsätzlich mit der Herausforderung des C im Parteinamen befasse und eher dieses Erbstück als gegeben hinnehme, lautet die Antwort: „Die CDU ist auch immer eine sehr pragmatische Partei gewesen, die Dinge konkret umgesetzt hat. Aus dem christlichen Menschenbild lassen sich bestimmte soziale Verpflichtungen ableiten, gleichzeitig auch die Berufung des Menschen zur Freiheit. Das muss sich beides in praktischer Politik niederschlagen. Wenn die CDU etwa nicht sozial sensibel ist, verliert sie schnell Wahlen. (...) Hinter jeder politischen Entscheidung steckt ja letztlich ein bestimmtes Bild vom Menschen und der Gesellschaft. (...) Das C ist schließlich der Markenkern der Union. Solange sie mit dem C im Namen operiert, muss sie es auch immer wieder deuten, an die praktische Politik rückkoppeln und es begründen. (...) Die CDU würde ohne das C ihre Identität verlieren.“
Große Worte eines engagierten Politikers und eines überzeugten Christen. Bloß: Könnte vieles von diesem Bekenntnis – mit Ausnahme der Markierung des Markenkerns – nicht auch von einem engagierten Politiker manch anderer Parteien ebenso überzeugend gesagt werden? Viele fragen doch nicht nur theoretisch, wo denn der Unterschied der C-Parteien in der pragmatischen Politik zu anderen ist. Und was bitte macht denn die Identität der Union aus, die sie verlieren könnte, wenn es das edle Erbstück nicht mehr gäbe? Freiheit, Menschenbild, Verantwortung, soziale Gerechtigkeit, Werte, Demokratie – sind das heute (noch) exklusive Bestandteile des Profils einer C-Partei? Wo ist denn wirklich der Unterschied zur FDP oder zur SPD? Letztere operiert auch gerne mit dem Begriff des christlichen Menschenbildes. Wo ist zum Beispiel der identitätsstiftende Unterschied in der Stammzelldebatte erkennbar geworden? Wo wird er sichtbar in der Frage der Spätabtreibungen? Wo in der Debatte über Patientenverfügungen? Wo war er denn bei der Neuregelung