Название | Das Kreuz mit dem C |
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Автор произведения | Martin Lohmann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766641021 |
Und was ist mit dem C? Es wird gerne verschwiegen oder – wenn überhaupt – eher unverbindlich einmal erwähnt. Weil das aber letztlich nicht geht, weil das C stets eine Verbindlichkeit mit sich bringt, wird es für viele buchstäblich zu einem Kreuz, das nicht mehr zu passen scheint. Den einen tut es weh, den anderen ist es nicht nahe genug an den Kirchen dran. Die einen nehmen es als wohlklingende Floskel, andere verlangen nach klarer und längst überfälliger Profilierung.
Doch seien wir ehrlich. Denn auch diese Forderungen und Fragen sind im Jahr des 60. Geburtstages des Grundgesetzes alles andere als neu. Bereits zum 25. Geburtstag der deutschen Verfassung sah der Nestor der Katholischen Soziallehre und Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning beide „Unionsparteien vor der Wertfrage“. Seine Erkenntnisse und Forderungen in der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ von 1974 haben auch 2009 nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil. Beide Parteien, die CDU und die CSU, hätten von Anfang an das C in besonderer Weise vor die Wertfrage gestellt – und sich selbst einen hohen Anspruch gegeben. Mehr noch: Sie stellen an sich selbst einen „ebenso strengen Anspruch und unterwerfen sich der Messung an ebendiesem Maßstab“. Es stehe außer Zweifel, dass „man weit über die Kreise hinaus, von denen die Gründung der CDU und CSU ausging oder die sich diesen Parteien zuwandten, aufgrund der gemachten Erfahrungen entschlossen war, den in Weimar unternommenen Versuch eines wertneutralen Staates nicht zu wiederholen“, sondern den Bau der neuen Gesellschaftsordnung auf einem „Consensus über vorgegebene Werte“ zu gründen.
Ohne C keine Identität
60 Jahre und kein bisschen greise – so könnte man der 1949 in Bonn verabschiedeten deutschen Verfassung zurufen. Es liegt auf der Hand, im Zusammenhang mit unserem Thema einen Blick darauf zu werfen, wie sehr dieses Grundgesetz mit dem C verbunden ist, und auch, wie viel Segen aus diesem C möglich war und möglich sein wird. Die Präambel beginnt mit der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ und ist wahrlich mehr als nur ein nettes Vorwort. Schon gar nicht ein unverbindliches. Es ist zumindest, wie einmal formuliert wurde, ein Vorsatz. Es ist eine Grundentscheidung, ein Schlüssel zur Gültigkeit des Vorgegebenen, ein – um das christliche Identifikationsmerkmal des Kreuzes zu bemühen – unersetzbares Pluszeichen der gesamten Gesellschaftsordnung, von der manche richtig sagen, sie sei die freieste und menschengerechteste der Welt. Der in Bonn lebende Karlsruher Verfassungsrichter Udo di Fabio sieht in dieser Präambel gar die „tiefe kulturelle Verknüpfung von Christentum und Rechtskultur des Verfassungsstaates“ und hält eine „Entkoppelung von Politik und Christentum, von Staat und Kirche“ für undenkbar.
Das C, sprich der christliche Gott, spielt übrigens in einigen Landesverfassungen ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle. Von „Ehrfurcht vor Gott“ und „Gottesfurcht“ ist etwa in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Rede. „Gott“, „Gewissen“ und „Achtung der Würde des Menschen“ werden eigens in der Bayerischen Verfassung betont. Völlig verstaubt kann also das C und alles, was mit ihm verbunden ist, auch heute nicht sein. Horst Köhler hat – um nur ein Beispiel zu nennen – bei seiner Eidesleistung den angebotenen Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ 2004 ausdrücklich in seiner Antrittsrede als Bundespräsident hervorgehoben. Er verstand seinen Amtseid als „Verpflichtung, zur Erneuerung Deutschlands beizutragen“. Als persönlichen Kompass nannte er dabei sein „christliches Menschenbild und das Bewusstsein, dass menschliches Tun am Ende immer vorläufiges Tun ist“.
Es ist kein Zufall, dass die vielen Väter und die wenigen Mütter des Grundgesetzes an den Anfang der deutschen Freiheitsordnung eine Verpflichtung gestellt haben, die – zum Schutze der Demokratie – dem demokratischen Zugriff entzogen ist und entzogen bleiben wird. Auch dieser § 1 hat etwas mit dem C zu tun. Dort heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das kann man nur verstehen, wenn man die Menschenwürde als etwas Vorgegebenes begreift, also etwas, das nicht geschaffen werden kann, sondern nur respektiert werden muss. Nach christlichem Verständnis ist jeder Mensch – ob reich oder arm, gesund oder krank, angesehen oder nicht, klein oder groß, geboren oder noch nicht, gläubig oder ungläubig, schwarz oder weiß, jung oder alt – ein Abbild Gottes und von ihm erschaffen. Oder, wie es Papst Benedikt XVI. in seiner Antrittspredigt im April 2005 formulierte: „Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“ Und deshalb heißt es ohne Ausnahme und ohne Wenn und Aber: Die Würde „des Menschen“ ist unantastbar. Punkt. Nein, eigentlich: Drei Ausrufezeichen!
Fundament, kein Fundamentalismus
Warum das wichtig ist? Wichtig gerade für unser Thema? Weil sich genau an diesen Fragen beziehungsweise deren aktueller Konkretisierung und dem mit dem C im Parteinamen verbundenen Anspruch vielfach jene Diskussion entzündet, die nach der Christlichkeit der Unionsparteien fragen lässt. Wer sich dieser Diskussion aber stellt, sollte – bei aller Kritik an den C-Parteien – sich zunächst einmal vor Augen führen, dass die mit dem besonderen Anspruch gegründeten Parteien niemals vorhatten oder hätten vorhaben können, gleichsam politische Kirchen zu sein oder zu werden. Weder war geplant, kirchliches, also katholisches und evangelisches Gedankengut eins zu eins in die Politik zu übersetzen, noch war und kann geplant sein, losgelöst von kirchlichen Überzeugungen eine Art Kirchenersatz auf politischer Bühne zu sein. Es gibt also letztlich so etwas wie eine abgefederte Unabhängigkeit der Abhängigkeiten. Was zu den keineswegs nur von C-Politikern definierten Grunderkenntnissen des deutschen Staates und seiner Fundamente gehört, ist von Politikern erklärt worden. Im Parlamentarischen Rat saßen politisch Interessierte und Politiker, nicht aber Moraltheologen oder Dogmatiker. In ihrer christlichen Freiheit oder – um Martin Luther zu bemühen – in der Freiheit eines Christenmenschen legten sie das Fundament für die gesellschaftliche Ordnung wie auch das Fundament für die Parteien.
Dieses Fundament ist aber weder eine Einladung zum toleranzfreien Fundamentalismus noch eine von jeder Vorgabe freie losgelöste Neudefinition dessen, was das C bedeutet. Hinzu kommt auch dies, worauf nicht nur Oswald von Nell-Breuning hinwies: Den Gründern, die „ihre Partei als christlich bezeichneten und das C in deren Namen aufnahmen, war es zweifellos darum zu tun, im Gegensatz zum integralistisch überbetonten Konfessionalismus den interkonfessionellen Charakter ihrer Gründungen herauszustellen; insofern brachte das C mehr das Negative, die Absage an die konfessionelle Trennung, zum Ausdruck als ein positives Bekenntnis zu christlichen Normen und Werten, die man ganz selbstverständlich als verbindlich ansah und annahm, sodass es eines eigenen Hinweises darauf nicht bedurfte.“
Diese Selbstverständlichkeit ist offenbar weithin verdunstet. Heute erscheint es daher schwieriger als früher zu sein, beurteilen zu wollen, was gut und böse, was richtig und falsch nach christlichem Glauben ist. Christliche Sittenordnung – das ist ein nicht mehr verstandener Begriff. Vergessen werden darf übrigens nicht, dass die in der Präambel des Grundgesetzes definierte Verantwortung vor Gott und den Menschen nicht ausdrücklich als ausschließlich christlich gemeint war und ist. Diese Verantwortung schließt alle Gottgläubigen ein, jedenfalls alle, die sich dem alttestamentlichen Gott verpflichtet wissen. Das sind Juden, Christen und Muslime. Letztlich sind es alle, die davon überzeugt sind, dass die Menschenwürde unantastbar sein und bleiben muss und es unverletzliche wie unveräußerbare Rechte geben muss. Der Staat kann nur als humaner funktionieren, wenn er die Natur des Menschen und seiner ihm vorgegebenen Rechte und Pflichten berücksichtigt, sie also nicht der Beliebigkeit anheimstellt. Wo aber sind die Grenzen? Wie weit geht die Freiheit eines Christenmenschen? Wie christlich darf, wie christlich kann und wie christlich müssen die Unionsparteien