Fahrt und Fessel. Gustav Stratil-Sauer

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Название Fahrt und Fessel
Автор произведения Gustav Stratil-Sauer
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783942153201



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angelegten Dörfern zu regellosen, von Ruinen durchfressenen Siedlungen; von der Zentrierung der Straßen in Ring und Domplatz zum Gewühle enger Basargassen; von der Frau zum Weib, vom Wien der süßen Mädels zu den Ländern ohne Liebe; vom Individualismus des Willensmenschen zum Formalismus des beschaulichen Muselmanen, vom kategorischen Imperativ zum Kismet.

      In diesen Bogen von Übergängen nun legt sich die Donau als eine Sehne, die in der Spannung zwischen beiden Gegenpolen schwingt. Wie längs ihrer gleitenden Wasser das deutsche Motiv abklingt und das asiatische anschwillt, gleicht sie einer großen Symphonie, durch die Cäsuren der Landschaftsscheiden in vier Sätze geteilt. Lebendig in Individualität bringt der erste das deutsche Eingangsthema rein bis Wien; lang ausgesponnen, jedoch wechselnd im Tempo, folgt das Moderato durch Ungarn, wo das zweite Thema schon leise in der Unterstimme anklingt; zum Maestoso von ungeheurer Wucht schwillt der dritte Satz, der Durchbruch durch das Banatergebirge, während der letzte, in dem sich das Gegenthema sieghaft durchsetzt, in stillem Andante verklingt. Von den großen Komplexen, den Akkorden der Städte und den Kadenzen der Landschaften spielt jede Erscheinung, selbst bis zur geringsten, in dieser Symphonie mit, sinngemäß den jeweiligen Grad der Abwandlung wiedergebend. So spiegelt sich dies Spiel im Auge der Frau, das sich mehr und mehr verdunkelt, vom lachend klaren der Wienerin über das flirtende der Ungarin, das kühl interessierte der Serbin und das melancholische der Bulgarin bis zum fremd blickenden der bulgarischen Türkin, das dich nur selten streift, gleichgültig und fern wie ein Stern, der hinter Wolken verschwindet; und so spürt man die Wandlung noch in der Süße der Speisen, die immer aufdringlicher, und im Dufte der Zigaretten, der immer milder wird.

      Die zwischengelagerten Nationen schwingen mit im Spiele von Thema und Gegenthema, ohne jedoch an der schicksalhaften Durchführung mehr ändern zu können als Tonart und Klangfarbe; denn auch sie werden beherrscht vom wechselseitigen Bedingtsein des deutschen und des orientalischen Wesens. Nur die Donau selbst ist stark genug, um die gegebenen Themen nach eigenem Gepräge zu formen, indem sie durch ihre Stromgewalt die Symphonie steigert vom Pol zum Gegenpol hin. Sie läßt ihr Stromland mit sich wachsen, indem sie im Schwarzwald Dörfer und gotische Kleinstädte nährt, später aber Geschlechter, Nationen und endlich Staaten zu ihren Seiten trägt. Zu Anfang Schauplatz örtlicher Geschichte, wird sie später geschichtlicher Ort, um endlich selbst Geschichte zu formen. Und im gleichen Sinne wandelt sie auch die Reihe ihrer Städte ab vom mühelos strombeherrschenden Passau über Budapest, das als letzter Einheitsorganismus die Ufer umspannen kann, über die ersten ungarischen Doppelstädte, die sich von beiden Seiten die Hand über den Strom reichen, und über die anderen, deren Streben nach Vereinigung die wachsenden Wasser zunichte machen, bis zur rumänischen Großstadt, die sich brückenlos mit nur einem Ufer neben den mächtigen Fluten bescheiden muß. So steigert der Strom mit seiner wachsenden Macht den Ausdruck der Formen, die er beherrscht, wie in Mahomets Gesang.

      Und diese ganze Symphonie, durch den Kampf der Gegenthemen gegeben und durch den Eigenwillen der Donau variiert, ruht nicht in starrem Sein, die fließende Zeit durchpulst sie in stetem Werden. So wie sie heute erklingt, ist die Symphonie das Werk einer vielhundertjährigen Geschichte, die jedoch den gesamten Weg des Werdens so klar in die Fassung der Gegenwart aufgenommen hat, daß all die einstmals führenden Stimmen noch heute im Rauschen des Stromes nachhallen. Vor tausend Jahren noch lag die Scheide zwischen den beiden Themen weit mehr westlich, vor dem neugegründeten Bistum Passau. Von hier aus ließen kluge Bischöfe, wie Artmann und Piligrim, den deutschen Gedanken mit den gleitenden Wassern nach Osten ziehen, bis Passau seine Mission als deutsche Grenzmark an Melk und dann an Wien abtreten mußte. Von Osten brandete es längs der Donau heran: Hunnen, Avaren, Magyaren und Türken, das ganze für das Mittelalter so schreckhafte Asien, dessen Wellen sich mählich immer eher am Widerstande Deutschlands brechen mußten; denn von hier antwortete man diesen Stürmen, immer kühner und weiter vordringend, mit den Nibelungen, Karl, Otto und Prinz Eugen. So floß das Blut deutscher Kämpfer die Donau hinab, und deutsche Kolonisten zogen ihm nach bis dorthin, wo sich die Wellen des rückflutenden Orients zu stauen begannen. Steht die Moschee in Wien als letztes Wahrzeichen des Orients nach Westen zu noch einsam in fremder Umgebung, so hat Belgrad schon ein eigenes Türkenviertel, und Ada Kale, die Donauinsel bei Orsova, trägt die erste rein türkische Siedlung. In Lom und Rustschuk berühren die orientalischen Züge nicht mehr fremd, selbstverständlich reihen sie sich hier in das Stadtbild ein. Und in der Dobrudscha, wo die ersten mündungslosen Flüsse an innerasiatische Ströme gemahnen, die in sonndurchglühten Wüsten versiegen, herrscht oft reinster Orient, und er würde durchweg herrschen, wenn nicht fremde Nordsüdströmungen und die Einflüsse eines besuchten Meeres auf das Küstenland das Bild verwischten.

      So klingt durch Raum und Zeit das deutsch-asiatische Gegenspiel in der Donausymphonie ab. In seinem Schatten mußte lange das Leben der zwischengelagerten Nationen verkümmern, der Bulgaren, Rumänen, Serben, Kroaten und selbst der Magyaren, die doch durch die Lage ihres Raumes zur zentralen Donaunation bestimmt waren. Vermochten sie lange Jahrhunderte hindurch nichts, als dem großen Kampfe der Fremden die spezifische Farbe ihres Landes zu geben, so hat nunmehr die Gegenwart mit ihrem scharfen Abbröckeln des Orients und ihrer Angleichung des deutschen Stiles an eine internationale Maschinenkultur den gebundenen Eigenwillen all dieser Nationen befreit. Doch zu lange waren die Donauländer nur Schauplatz fremder Geschichte, um jetzt plötzlich den kulturellen Aufschwung ganz aus eigener Kraft leisten zu können. Um die verlorenen Jahrhunderte nachzuholen, arbeiten sie jetzt so fieberhaft, daß ihre neue Kultur nicht in natürlich entfaltetem Eigenstil erblühen kann, sondern fremde Blüten im Treibhaus ausreifen lassen muß. Da sie keine Zeit finden, auf organische Stilentwicklung zu warten, übernehmen sie nach alter Gewohnheit, was ihnen längs der Donau zuströmt: ist es heute auch nicht mehr der typisch deutsche, so ist es doch der konventionell europäische Gedanke; kann er auch das Eigenwesen der Länder nicht rein ausdrücken, so läßt er sich doch durch leicht nationale Assimilation individuell kleiden. Im rücksichtslosen Eifer jungen Nationalbewußtseins und kulturellen Wollens werden nun ganze Städte, die vor kaum fünfzig Jahren erst von den Türken verlassen wurden, niedergerissen, damit sie als Ausdruck modernen europäischen Lebens völlig neu erstehen können. Weil aber selbst die Welle moderner Baugedanken Zeit braucht, um die Donau hinabzufluten, geschieht es, daß Städte des Ostens ihre Modernisierung noch mit Stilen durchführen, die wir schon als historisch empfinden: Rustschuk baut heute im Stil der Gründerzeit.

      So rauscht es hinauf und hinab an der Donau, diesem Strome, den wir so selten nur verstanden, weil er uns zu weit von Europa wegfließt, und weil wir vergaßen, daß er uns den einzigen natürlichen Weg nach dem grenzenlosen Osten weist.

      Nach meiner Gesundung nahm ich vom Kahlenberg aus Abschied von Wien und ließ mir dort als Weihopfer für meine vergangenen Studentenjahre ein Gulasch, einen G’spritzten und ein Salzstangl bringen, jenen herrlichen Dreiklang, der mich damals am Monatsersten stets voll umrauscht hatte, um dann in arithmetischer Reihe abzuklingen und am Monatsletzten im dünnen Einklang des Salzstangls zu enden. Blitzend in der Mittagssonne, zogen drüben die Wasser des Flusses vorbei, den der Wiener so gern als seine schöne blaue Donau preist. Ein wenig Übertreibung, vielleicht auch ein leiser Wunsch, das Schicksal zu korrigieren, liegt übrigens in diesen Weisen vom Donauwien; denn nur der Donaukanal gehört der Stadt wirklich. Kann man doch jahrelang in Wien leben, ohne die Donau zu sehen. Was in der Welt mit all seiner Anmut und Musik als das echte Wien empfunden wird, liegt im Schatten der Donau und nicht in ihrem Lichte wie Budapest; denn dies alte Wien mußte sich furchtsam am Hochufer neben der Donau halten, da es die wildernde Gewalt der Wasser noch nicht zu zähmen vermochte. Das moderne Wien aber, das den Strom mit den Hilfsmitteln unserer Technik zu bändigen und in sich einzubeziehen verstand, ist in seinem Stile des Maschinenzeitalters eine typisch europäische Fabrik und Hafenstadt. Dem Wien, das wir lieben, ist es wesensfremd.

      Ein letzter Gruß zum Stefansdom hinüber, und weiter fuhr ich nach Osten zu, von der Donau ab ins Burgenland und zum Neusiedler See. Auf schmalem Palisadenweg ging ich zwischen Binsen weit über die Ufer hinaus, bis sich endlich die Wasserfläche vor mir breitete. Als dünner Saum verschwammen drüben die Hügel von Ruszt, auf denen jetzt der rote Wein der Ernte entgegenglühen mußte. Es war die heimelnde Zeit zwischen Dämmerung und Nacht; noch glänzte der reglose Spiegel in lichtem Schimmer, doch immer weiter und tiefer schon huschten die Schatten aus dem Rohre in den See hinein. Geheimnisvoll erwachte leises Flüstern im Schilf, während ein