Fahrt und Fessel. Gustav Stratil-Sauer

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Название Fahrt und Fessel
Автор произведения Gustav Stratil-Sauer
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783942153201



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Firma ein »Ica«-Apparat und Kinamo, und wenige Tage darauf schenkten mir die Agfawerke eine reiche Sendung an Films und Platten. So war ich mit deutschem Material von bester Qualität ausgerüstet, und immer wieder auf der Reise habe ich Freude an den guten Aufnahmen gehabt, die sich mit diesen Apparaten unter den meist ungünstigen Verhältnissen erzielen ließen.

      Wieder Tage des vergeblichen Wartens. Endlich zwischen Absagen nochmals ein Lichtblick: die Firma Schietrumpf-Iena schickte vorzügliche Maßstäbe, Rollbänder und Nivellierapparate als Muster, die ich zugleich für meine geographischen Arbeiten benutzen durfte, und die Lambrechtwerke in Göttingen überließen mir wertvolle meteorologische Instrumente, mit denen ich bis Afghanistan gearbeitet habe. Dann kam noch das Wertobjekt meiner Sammlung, ein Theodolit, den mir die Sartoriuswerke in Konsignation gaben, und dann wurde es still, beängstigend still. Ich war es müde geworden, neue Briefe nutzlos hinauszuschicken. Noch einmal hatte ich eine Freude, als mir eine Firma, die sich von der Vertretung ihrer Artikel nichts versprechen konnte, zwanzig Mark als unverbindliche Beihilfe schickte; doch dann war endgültig Schluß.

      Die Mittel, die ich bisher bekommen und die ich eventuell anhand meiner Muster noch verdienen konnte, reichten bei weitem noch nicht zu einer drei Jahre währenden Asienreise. Neue Versuche bei Kaufleuten zu machen, wagte ich nicht mehr. Von den erschöpften wissenschaftlichen Fonds war erst recht kein Geld zu erwarten. Ich mußte also trotz des verheißungsvollen ersten Anfanges die Vorbereitungen liegen lassen und von meiner Reise absehen.

      Aber ich wollte nicht. Es mußte ein neuer Weg gefunden werden!

      Kurz entschlossen machte ich eine Rundfrage bei den Zeitungen. Wieder legte ich meine Pläne ausführlich dar und bot mich an, Berichterstattungen zu übernehmen. Diesmal setzte wirklich ein wahrer Platzregen von Zuschriften ein. Leider kamen die ersten nicht von den Zeitungen selbst, sondern von ihrem Publikum, das durch Pressenotizen auf meine Pläne aufmerksam gemacht worden war. Einzelne Briefe enthielten Warnungen, andere gute Ratschläge, die meisten der Schreiber aber boten sich mir zur Begleitung an. Da waren Soldaten, Stenotypistinnen, Photographen, Künstler, abgebaute Beamte, Bardamen, Gepäckträger, selbst ein Nachtwächter mit »bissigem, aber gut abgerichtetem Hund«, sie alle baten darum, an der dreijährigen Forschungsreise teilnehmen zu dürfen. Freilich dachte ich nicht daran, die Bittsteller mitzunehmen; denn dann hätte ich einen Kreuzzug ausrüsten müssen. Ich wußte auch, daß bei den meisten leichtfertige Abenteuerlust das entscheidende Motiv zum Angebot gebildet hatte; doch zu oft nur mußte ich hinter diesen Worten spüren, aus welch drückender Raum- und Atemnot heraus da deutsche Jugend nach Weite für Auge und Seele schrie.

      Von den Zeitungen aber erhielt ich Absagen. Jedes Blatt hatte seine eigenen Berichterstatter im Ausland, und oft waren es Männer, deren rühmlichst bekannte Namen mein redliches Wollen nicht aufwiegen konnte. Es mußte also wieder ein neuer Weg gefunden werden!

      Aber ich wußte keinen mehr. Das stete Auf und Ab, das ewige Erwecken und Begraben von Hoffnungen hatten mich mutlos und müde gemacht. Traurig blätterte ich am Abend die Absagen durch, die jetzt schon Mappen füllten. Wie kannte ich all diese Tonarten, die kühl ablehnenden, die väterlich warnenden, die höflich bedauernden! Aber da war eine kleine Zeitung, die schrieb, daß das Angebot natürlich sofort annehmbar wäre, wenn die Reise dem Zeitungspublikum durch irgendeine Sensation schmackhaft gemacht würde, die den Zeittendenzen deutlich entspräche. Freilich, auf Sensationen war unsere Zeit gut eingespielt; allein was waren denn diese Tendenzen? Tanz, Radio, Sportmeisterschaften, was sollte mir das alles? Doch halt! Konnte ich nicht auf meiner Reise irgendeinen neuen Rekord aufstellen? Ich hatte bisher zwar gern Sport getrieben, doch ohne je daran zu denken, mich in begeisterter Hingabe um Preise und Meisterschaften zu bewerben. Gleichviel, jetzt war mir jedes Mittel recht. Wenn die sportliche Begeisterung Massen bisher kaum geübter Menschen ergreifen und zu wahren Leistungen bringen konnte, so würde auch ich einen Rekord schaffen; denn mich trug ja das Bewußtsein, durch dieses Mittel ein noch höheres Ziel zu erreichen: ich würde forschen und wissenschaftlich arbeiten können!

      Und so faßte ich den Entschluß, meine Reise mit einer Rekordfahrt zu verbinden. Ich wollte an eine deutsche Motorradfabrik mit der Bitte herantreten, daß sie mir eine Maschine für eine Reklamefahrt durch Vorderasien überlassen sollte. Ich informierte mich, ob sich die geplante Route überhaupt mit einem Kraftrad bewältigen ließe, und ich kam zu dem Ergebnis, daß der Plan zwar schwer, mit Ausdauer und Energie aber wirklich durchführbar wäre.

      Ich wandte mich also an die Wandererwerke in Chemnitz, deren Maschine mir am geeignetsten erschien, und legte einen Vertragsentwurf vor, worin ich mich verpflichtete, in bestimmten Zeitabschnitten die Route nach Afghanistan zurückzulegen, wogegen mir ein Motorrad und Fahrprämien gestellt werden sollten.

      Fast ohne noch daran geglaubt zu haben, erhielt ich eine Zusage. Am meisten bewunderte ich an meinen Helfern das eine, was ich schon an jenem Tage deutlich fühlte und auch heute noch weiß: daß sie nämlich auf meine Pläne eingingen ohne jeglichen Glauben an die Durchführbarkeit, lediglich aus Anerkennung meines guten Willens und hohen Zieles. Dieser Glaube erhöhte ihren Einsatz ja um ein Vielfaches. Jedes andere Werk wäre wie sie davon überzeugt gewesen, daß mein Versuch scheitern müßte, und hätte sich eben darum gehütet, unnütz ein so großes Opfer zu bringen.

      Welch ein Glück es war, daß gerade die Wandererwerke auf mein Gesuch eingingen, das habe ich freilich erst später in seiner vollen Größe ermessen können: vielleicht hätte ich nach Abweisung von dieser Seite noch ein anderes Motorrad bekommen können, unerschütterlich überzeugt bin ich jedoch heute noch davon, daß mein Versuch mit jedem anderen Rad unweigerlich gescheitert wäre. Das Wandererrad erwies sich während der Fahrt einerseits als leicht genug; jedes schwerere hätte ich nach irgendeinem der vielen tausend Stürze bestimmt nicht wieder aufrichten können. Andrerseits war es stark genug; jedes leichtere hätte die vielen steilen Pässe nicht bewältigen können. Und dann eben war das Wandererrad eine Qualitätsmaschine, die sich den ungeheuren Anforderungen jener Reise so weit gewachsen zeigte, daß sie selbst nach meinem schlimmsten Sturz bis zehn Meter unterhalb der Straße verbogen, aber nicht zerbrochen heraufgeholt werden konnte.

      In der Rekordfahrt »mit dem Motorrad nach Afghanistan« hatte ich nun die gewünschte Attraktion für die Zeitungen. Wieder also schickte ich meine Rundschreiben an die deutsche Presse, und diesmal bekam ich wirklich Aufträge. Wenn es auch nur sechs Blätter waren, die mich als Berichterstatter verpflichteten, so ließ sich dabei doch mit fleißiger Arbeit etwas verdienen. So war ich wieder ein gut Stück vorwärtsgekommen.

      Auch den Handelskammern legte ich meine Bitte um einen Auftrag als Berichterstatter vor, bekam jedoch nur von zweien eine Zusage: die von Leipzig unterstützte mich tatkräftig, und die von Essen gab mir Aufträge.

      Unterdessen neigte sich der Sommer zum Ende, und ich sah ein, daß ich nun keine Zeit mehr mit nutzlosen Geldgesuchen zu verlieren hatte. So rüstete ich zur Abfahrt. Einen Reisebegleiter, den ich als Helfer bei geographischen Arbeiten und als Dolmetscher in der Türkei brauchte, hatte ich bald in einem bulgarischen Studenten an der Universität Leipzig gefunden: Anastas Beschkow erklärte sich bereit, sich mir in Bulgarien anzuschließen und mit mir durch die Türkei bis zur russischen Grenze zu reisen. Und auch in dieser Wahl hat mich mein Glück nicht verlassen; denn Beschkow erwies sich mir auf der strapazenreichen Fahrt als uneigennütziger und stets gleich hilfsbereiter Kamerad.

      Während ich nun auf die Visa sämtlicher in der Route vorgesehenen Staaten vom Auswärtigen Amt, auf die Empfehlungen von Österreich und Ungarn und auf die Erlaubnis der türkischen und afghanischen Regierungen, in ihrem Lande arbeiten zu dürfen, wartete, nützte ich die Zeit, um noch das Rad einzufahren und mich in der Werkstatt zum Mechaniker auszubilden. In letzter Stunde noch äußerten die Wandererwerke: sie könnten mir die Maschine für eine solche Fahrt nur anvertrauen, wenn ich mit Seitenwagen führe. Sollte nun zuletzt alles wieder zusammenbrechen? Doch noch einmal hatte ich Glück, denn die Dessauer Anfawerke stellten mir einen guten Seitenwagen, den ich mir gleichfalls durch die Fahrt verdienen sollte.

      Dann bot sich meiner durch die notwendigen Anschaffungen schon wieder arg schmal gewordenen Börse eine letzte Sanierungsmöglichkeit: die Leipziger Herbstmesse setzte ein.

      Wenn ich heute die Reihen dichtgedrängter Meßstände sehe, denke ich jedesmal