Der Pilsener Urknall. Michael Rudolf

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Название Der Pilsener Urknall
Автор произведения Michael Rudolf
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783941895874



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SCHLUCKAKT

      Tiefe Weisheit und das Wissen um das Wesen der Dinge wohnen der Tatsache inne, daß der menschliche Körper Flüssigkeit aufnehmen muß. Noch mehr dieser lobenden Attribute kommen dem Umstand zu, daß die Flüssigkeiten nach einer subjektiven Eignungsprüfung geschluckt werden und nicht einfach, der Schwerkraft gehorchend, den Innereien und damit ihrer Absorption entgegenplumpsen. Segensreich ist zudem die kulturhistorisch determinierte Übereinkunft, daß etwas Gutes auch gut schmeckt. Ein frisches Kölsch, zum Beispiel. Oder ein Alt. Oder erst ein frisches Alt und dann ein Kölsch.

      Für den Schluckakt brauchen wir erstens etwas zu schlucken und zweitens etwas, wo hinein geschluckt werden soll. Das Bier und der Magen wären jeweils ein solches Etwas. Die Einleitung des Bieres erfolgt den Trinkgewohnheiten gemäß über die Mundhöhle. Der feuchte Fleischdom stellt eine schöne funktionelle Einheit dar, worunter wir uns das muntere Zusammenspiel seiner Wände, von Zunge, Speicheldrüsen und Gebiß vorzustellen haben. Die Form der die Mundhöhle umschließenden Wange wird vom Wangenfettpfropf bestimmt. Er verhindert das Einziehen der Wange beim Saugen des Bieres. Der weiche Gaumen ermöglicht den für den Schluckakt erforderlichen zeitweiligen Abschluß des Nasenteils vom Schlund. In der Mitte darüber baumelt das lustige Gaumenzäpfchen, welches das zur Abdichtung angelegte Gaumensegel unterstützt. Bei schlimmem Bier (Warsteiner) bewirken hilfreiche Nerven eine vorübergehende Funktionsuntüchtigkeit dieses Gaumensegels, wodurch die Flüssigkeit leicht wieder über die Nase abfließen kann.

      Während des Bieraufenthaltes in unserer Mundhöhle erfüllt die Zunge mehrere Aufgaben, ihre Sensibilität dient der Kontrolle im Sinn der körperlichen Einfuhrbestimmungen. Dazu hat unser Schöpfer die Zungenoberfläche in mehrere praktische Distrikte unterteilt: vorne für Export und Märzen, zentral für Bock und Doppelbock, halb hinten und an den Seiten für Dunkles und Alt und ganz, ganz hinten für Pilsener und Kölsch. Die Daten unserer Geschmacksorgane werden zur Zentrale weitergeleitet, bestätigt oder gegebenenfalls verworfen. Die Speicheldrüsen treten auf den Plan, sekretieren wie Bolle und machen das Schluckgut gleit- respektive schluckfähig.

      Das Bier passiert den Schlund, wo sich Speise- und Luftweg kreuzen. Letzterer möchte dicht bleiben, wenn es vorbeirauscht, denn unsere Lunge darf nicht der Ort sein, an dem sich Schönheit und Kraft des Biergetränks zur Zufriedenheit des Restorganismus entfalten können. Die Speiseröhre ist ein muskulöser Schlauch und mit zirka 12,4 Zentimetern die kürzeste Verbindung zwischen Mundhöhle und Magendarmtrakt. Mundbodenund Schlundmuskeln übernehmen jetzt den Job und spritzen das Bier durch diese Röhre, quasi volles Rohr, in den Magen. Lediglich nach dem letzten Schluck läßt die Speiseröhre wie zur Kontrolle eine Kontraktionswelle von oben nach unten laufen.

      Im Rumpfdarm, das ist vielleicht noch wichtig, warten abwehrbereite Bindegewebe. Was also die Geschmacksknospen übersehen haben, wird hier gesammelt und antiperistaltisch retourniert. In unserem Magen und Darm passiert dann alles Weitere. Soviel zum Schluckakt.

      DAS SCHLUCKGUT

      Export ist ein untergäriges, helles Vollbier, war noch bis weit in die siebziger Jahre hinein das bevorzugte Biergetränk des Exportweltmeisters BRD und wurde nur zögerlich vom Pilsener abgelöst. Es sollte weniger gehopft sein und ein robuster malzbetontes, aber lieber nicht ganz so breites Aromenspektrum vorweisen, denn das bleibt dem Märzen vorbehalten. Unter fünf Prozent Ethanol geht da nix. Der etwas schwächere bayerische Bruder wäre dann das Helle. Das Pilsener hat sich seit seinem Urknall in vielem gewandelt. Charakteristisch ist und wird ewig bleiben: hell, untergärig, schlank und spritzig muß es sein und kräftig gehopft, mit knapp um fünf Prozent Ethanol. Seine abgedunkelte Ausführung heißt Schwarzbier. Der Bock wäre das untergärige Starkbier, gebraut aus Gerstenmalz und mit sechs bis acht Prozent Ethanol aufgewertet. Seine Farbe variiert von hell-bernsteinfarben über schnitzelbraun, rostrot bis richtig dunkel-schwarzbraun. Der Geschmack richtet sich nach dem verwendeten Malz. Es gibt malzig-süßen, leptosom gehopften, aber auch regelrecht knisplig-bitteren Bock. Sinn und Zweck dieses Starkbiergetränkes fußen auf seinem Saisoncharakter, denn ursprünglich war es das Bier der kälteren Jahreszeit. Und dann gibt es noch den Maibock, den Blauen, und den Doppelbock, den bayerischen Bock2. Das obergärige Altbier ist mit einem größeren und auch großzügigeren Herkunfts- und Verbreitungsgebiet als das Kölsch ausgestattet. Altbier, weil obergärige, also ältere und ursprünglichere Gärung. Wie beim Kölsch gibt es stammwürze- und ethanolmäßig kaum Ausreißer aus dem Vollbiersektor. Wir merken uns die knappe Zwölf und die knappe Fünf. Die Verwendung diverser Malzsorten macht das Alt nicht nur dunkler als das Kölsch, sondern auch voller und kräftiger im Geschmack. Und die Altbierhauptstadt ist Düsseldorf. Also bitte jetzt nicht extra deswegen nach Köln fahren. Das Kölsch wird nach Buchstabe und Gesetz eines eigenen R(h)einheitsgebotes gebraut. Aufgrund dieser ominösen Kölschkonvention (1986) dürfen nur vierundzwanzig Brauereien innerhalb der Kölner Bannmeile (inklusive einiger streng umsorgter Ausnahmen) ein Kölsch brauen. Die sensorische Konkordanz schöpft von Märzen bis Pilsener sämtliche Mittel aus. Kölsch hat auf alle Fälle knappe Fünfkommanull Prozent Ethanol und eine hellgelbe Farbe zu haben, es ist oft gut gehopft, und manchmal darf auch Weizenmalz mit hinzu.

      Weizenbier heißt die obergärige, am besten hefetrübe, bayerische Spezialität mit Nachgärung in der Flasche. Da kommen vermehrt fruchtige Aromata zum Zug. Stammwürze und »Allohol« ähnlich dem Export oder Märzen. Selbstverständlich muß es auch Exportweizen, Weizenbock und Weizendoppelbock geben. Lambics gären und reifen bis zu drei Jahre. Gerstenmalz und Rohweizen bedienen sich wilder Hefen zur spontanen (Ober-)Gärung und sind selten stärker als fünfprozentig. Gerne werden sie in Faro und Früchtebiere verwandelt oder zum Gueuze verschnitten. Prima. Ales sind obergärige Biere. Bewegen sich zwischen drei und elf Prozent Ethanolvolumen. Kolorit daher auch von hellgelb bis dunkelbraun und umgekehrt. Die obergärige Hefe steht beim Ale für fruchtigere, fülligere Malzvariationen, naturgemäß mit einer angenehmen Säure korrespondierend. Wahre Ales, »Real Ales«, haben in Flasche oder Faß bei elf bis dreizehn Grad Celsius nachzureifen (bottle/cask conditioning), verweisen somit auf ihre prinzipielle Verwandtschaft mit den hiesigen Weizenbieren, werden knapp unter Zimmertemperatur serviert und getrunken, ohne Kohlendioxid gezapft und stellen in der Schaumbildung Bescheidenheit zur Schau. Die Fachwelt unterscheidet Brown Ale, India Pale Ale (ursprünglich für die Kolonialtruppen eingebraut, reifte auf See im Schiffsrumpf), Mild Ale (das ethanolarme Mittagsbier), Pale Ale, Barley Wine (schwer, malzig, »Gerstenwein«), Old Ale, Bitter Ale (welches seinen trockenen Anflug dem Hopfenstopfen verdankt), Cream Ale (USA, leicht goldfarben, zuweilen mit Lager verschnitten) und Ginger Ale. Die Scottish Ales, tendenziell hoch malzakzentuiert und dunkel, hören auf Light, Strong, Export und Heavy. Stout ist ein obergäriger, röstmalzorientierter Dunkelbiertyp. Kann in Hochform sehr auf Kakao oder Kaffee machen. Alkoholismus wie beim Ale. Auch hier wieder ausgeklügelte Säure. Soll ab Ende des 17. Jahrhunderts der Braunschweiger Mumme nachempfunden worden sein. Im wesentlichen kennen sollten wir Sweet Stout (England), Dry Stout (Irland) und Imperial Stout – das einst aus London stammende und in Kontinentaleuropa zum Starkbier mutierte Porter galt ursprünglich als leichtere Variation des Stout.

       ABSORPTION

      Hier geht es unmißverständlich zur Sache, meine Damen und Herren. Das geistig aufgeladene Schluckgut hat auf die beschriebene Weise seinen Weg ins Körperinnere des Trinkers gefunden. Nun gilt es, die palliative Kraft und Würde des inhärenten Ethanols zu entfalten. Für die Kraft sind die zwanzig Prozent zuständig, die im Magen absorbiert werden, für die Würde die restlichen achtzig Prozent, die im Dünndarm in Aktion treten. Penibel werden die Ethanolteilchen abgezählt, um Unregelmäßigkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die von der Mundschleimhaut absorbierten Mengen sind statistisch zu vernachlässigen; darauf haben sich die zuständigen Stellen im Absorptionsapparat vertraglich geeinigt.

      Die Anflutungsphase mit Bierethanol dient dem großartigen Zweck, die Hämoglobinteilchen als Shuttle zu allen gefragten Schauplätzen der Ethanolverwertung zu nutzen. Denn es ist zwar bekannt, daß die ständig unter Erwartungsdruck stehende Leber unverzüglich mit dem Abbau des Ethanols beginnen möchte, doch, sind wir ehrlich, was soll das jetzt schon? Reden wir von Schauplätzen, meinen wir in erster Linie das Gehirn – der Mittelpunkt des Biertrinkers. Und hier treffen wir auf ein bisher ungelöstes Rätsel: Obwohl das Bierethanol wasserlöslich