Название | Der Pilsener Urknall |
---|---|
Автор произведения | Michael Rudolf |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895874 |
Bier ist des Deutschen liebstes Getränk – nach dem Kaffee und dem Mineralwasser. Nicht zu Unrecht. Schließlich schmeckt gutes Bier vorzüglich, und in Maßen genossen wirkt es zudem äußerst bekömmlich. Bier ist außerdem eine ideale Konservierungsform für die wertvollsten Getreidebestandteile, die noch dazu in gelöster, also leichter resorbierbarer Form zur Verfügung stehen. Da wären Kohlehydrate, Ballaststoffe, organische Säuren, ein Riesenkatalog an essentiellen und einige nicht-essentielle Aminosäuren. Über dreißig Mineralstoffe und Spurenelemente. Man denke: Mit einem Liter Bier stillt der Erwachsene in etwa fünfundsechzig Prozent seines Tageshungers auf Vitamin B3, dreiunddreißig Prozent auf Vitamin B6 und zwanzig Prozent auf Vitamin B2. Hinzu kommen kleinere Mengen an Vitamin A, D, E und H. Weiterhin wichtig die Mineralstoffe: Seine Magnesiumration deckt der Mensch zu fünfundvierzig Prozent, seinen Kaliumbedarf zu zwanzig Prozent. Natrium, Calcium, Zink, Eisen, Fluor und Phosphorsäure nicht zu vergessen. Außerdem unterstützt Bier die Kochsalzausscheidung und kann bei Nierenbeschwerden hilfreich zur Hand gehen. All dies bildet die petrifizierte Grundlage dafür, daß Wissenschaftler gesunden Personen gerne eine tägliche Ration von 0,5 Liter (Frauen) bis 0,75 Liter (Männer) Bier verordnet sähen. Rein prophylaktisch. »Risikoarme maximale Trinkmenge« nennen sie das. Schwindelfrei nach Paracelsus: Laßt eure Nahrungsmittel Heilmittel und eure Heilmittel Nahrungsmittel sein.
Für das Erschmecken dieses Heilmittels hat sich der Körper etwas Besonderes einfallen lassen und die Zunge fein säuberlich in Zonen aufgeteilt: Die Zungenspitze ist für den süßen Geschmack zuständig, also für Export, Märzen, Bock und die malzigen Aspekte der jeweils anderen Sorten. Die Flanken nehmen sauren und salzigen Geschmack wahr, die Charakteristika der Weizenbiere, Altbiere und Rauchbiere. Und ganz hinten rezipiert die Zunge die goldwerten Bitterstoffe. Eine sonnenklare Domäne des Pilseners und des Kölsch, im allgemeinen zuständig auch für den Nachtrunk aller Vorgenann ten.
Grundvoraussetzung für diesen sensorischen Segen ist ein singuläres Kompositum aus Malz, Hopfen, Wasser und Hefe. Kaum vorstellbar, wieviel Unterschiedliches, Interessantes und partiell Unnachahmliches aus dem unscheinbaren Rohstoffquartett gezaubert werden kann.
Trotzdem ist der bundesdeutsche Bier-pro-Kopf-Verbrauch unverändert im freien Fall, und die Brauereien haben nichts Besseres zu tun, als zu stänkern. Schuld sind immer die anderen: wahlweise die Überalterung der Bevölkerung, die notorisch mißratene Jugend oder das Wetter. Dieser höchst gefährlichen Mischung aus Ignoranz und Selbstüberschätzung bin ich als »Bier-Papst« (dpa), »Biergegenpapst« (BILD), »Bierscharfrichter« (tz München) und »kritischer Bierfreund« (Michael Rudolf) im »Pilsener Urknall« auf der Spur. Ich trinke den ältesten Bierverkostern hinterher und unternehme Ausflüge in die mitteleuropäische Lebensmittelgeschichte. Diese Ausflüge führen zwangsläufig in die Abgeschiedenheit belgischer Klosterbrauereien, wo das brautechnische Mittelalter am segensreichen Werk zu beobachten ist. Und diese Ausflüge führen zum Ort des Pilsener Urknalls, von wo aus die Verbreitung des modernen Bieruniversums 1842 ihren Anfang nahm.
Mit diesem Basiswissen ausgerüstet, reise ich zu den Gestirnen der heutigen Bierwelt. Mühelos ist das Bayerische Reinheitsgebot entzaubert, Münchens längst überholter Status als Bierhauptstadt dokumentiert und die hilflose Bierwerbung ausgelacht. Ich berichte von meinen TV-Erlebnissen und von meinen Abenteuern als Ghostwriter für einen Brauereichef.
Das ist aber nur zum Anwärmen. Ich möchte vor allem zeigen, wo Schönes, Richtiges und Wichtiges lauert und wovon nicht nur passionierte Bierfreunde wissen sollten: Das Schwarzbier, die reaktivierte Gose, unser geliebtes Weizenbier, die Kreuzberger Hanfbrauer, die ihr Getränk nicht Bier nennen dürfen, aber trotzdem Biersteuer entrichten müssen, werden über den grünen Klee gelobt. Die heiligen Zentren des Vollbierparadieses in der Fränkischen Schweiz werden inspiziert und Ehrenurkunden für die letzten Kommunbrauereien der Oberpfalz stenographiert.
Kurz gesagt: »Der Pilsener Urknall« steckt die Reiserouten auf der Landkarte für einen freundlichen und verständigen Biertourismus ab.
VORWORT
zur Neuauflage
Es gibt Glück
Ich habe mich noch nie so lange davor gedrückt, einen Text zu schreiben. Dieses Vorwort verspreche ich den Verlegern seit mindestens zwei Jahren. Seither kam immer wieder was dazwischen, ein Hörbuch, ein Buch, was weiß ich, und wenn ich mal Zeit hatte, schlich ich in Gedanken um den Pilsener Urknall herum, unfähig, einen solchen zu fassen. Die Langmut der Herren Verleger, ich möchte sie preisen, und ich tue es hiermit.
Zwei Gründe gibt es für meine Saumseligkeit, die mir nicht angenehm ist. Der erste Grund: Je mehr Zeit seit Michl Rudolfs Suizid im Februar 2007 verstreicht, desto weniger kann ich mich, so scheint mir, in Momenten, in denen ich an ihn denke, damit abfinden, sofern man sich jemals damit abfinden kann. Daß man es muß, weiß ich, aber es fällt mir schwer, und dann verdränge ich. (Das ist übrigens auch der Grund dafür, warum die überarbeitete Neuauflage der Hundert besten Biere der Welt nicht minder lange auf sich warten läßt.)
Der zweite Grund: Dieser schmale Band, Der Pilsener Urknall, ist in seiner Bescheidenheit derart sprudelnd schön, überbordend formenreich, zart und taktvoll, verspielt und sprachversiert, dort aber, wo es not tut, derart überzeugend zubeißend und abgrätschend, daß mir einfach, einleitend, hinweisend, nichts halbwegs Ebenbürtiges einfällt. Und: Ich weiß, unter welchen psychischen und physischen Qualen Michl den Urknall fertiggestellt hat (sein Dank an den »Buch-Rettungsdienst« spricht zu den damals Eingeweihten) – auch das irgendwie ein Grund, der nunmehr dritte, für die endlose Verschiebung der Wiederveröffentlichung dieses seit der schmählichen Abwicklung des Verlages Reclam Leipzig vergriffenen Buches »voller Liebe« (ein Amazon-Rezensent im März 2010, der einzige).
Für »einen freundlichen und verständigen Biertourismus« plädiert Michl Rudolf. Daß wir nie zusammen nach Belgien gereist sind, bedauere ich noch immer. Machen Sie’s wenigstens. Auch die »heiligen Zentren des Vollbierparadieses in der Fränkischen Schweiz« mögen Sie mit Ihrer Anwesenheit nicht verschonen. München hingegen meiden Sie zumindest während der Wiesn-Zeit bitte konsequent: »Nirgendwo hat man in Braudingen einen größeren Rand als in Bayern. Doch unbemerkt von den meisten Trinkern hat die neue deutsche Geschmacksnivellierungswelle selbst die einstige Hauptstadt der Bierbewegung erfaßt und zur Diaspora degradiert. Weil der eigene Rand je größer, desto höher wird, als daß man überhaupt noch über ihn zu blicken vermöchte. Nirgendwo offenbart sich die Münchner Nichtigkeitsanmaßung deutlicher als in den alljährlichen Oktoberfestbieren.«
Bevor Sie das nächste Mal zum Getränkemarkt fahren, lernen Sie folgendes auswendig: »Die Hopfenzählwerke laufen immer rasanter rückwärts, und die Werbetexte auf ihren Bekennerschreiben können Sie sich in einer ruhigen Minute von einem Rudel sozialdemokratischer Kabarettisten (›Hallöle erst mal!‹) übersetzen lassen, bis Ihnen die Bierlachen im Hals steckenbleiben. Die Premiumphilosophen haben die Bierwelt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu schonen.«
Die Welt zu verschonen – mit PR-Gequatsche, Drecksgebräu, Wichtigkeitsgeblähe: Bierkritik, gebrauchswertorientierte, war für Michl Sprach- und Weltkritik. Um Hermann L. Gremliza leicht abgewandelt zu zitieren: »Es gibt kein richtiges Leben in Premiumflaschen.« Und keins in einem Meer von Wortstümpfen: »Wer nicht einmal die Zeit hat, das Wort Pilsener korrekt auszuschreiben, statt dessen auf Pilsner verfällt oder, schlimmer noch, Pils, ist ohnehin nicht satisfaktionsfähig. Niemals!«
Und doch gibt es Glück – etwa beim richtigen Schwarzbier: »Die Farbe sollte an Schwarze Johannisbeere oder schattige Morellen erinnern, mit kastanienbräunlichen Reflexen, der Geruch heiter bis molkig, aber nie sauer, im Geschmack gefälliger als ein Guinness, metallisch-mild mit deutlichen Hopfennoten und mit schüchternen Kaffee- und Kakaoeinspielungen. Gekrönt das Ganze von einem moccasahnefarbenen Schaumwattepfropf.