Название | Der Pilsener Urknall |
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Автор произведения | Michael Rudolf |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895874 |
Die Biere dieser »guten, alten Zeit« – es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont – unterschieden sich drastisch von unserem heutigen Geschmacksempfinden. Die kaum mögliche Steuerbarkeit des Brauprozesses hatte oft bewußtseinseinengende »Getränke« zur Folge, die nur zögerlich an die Pforte der Genießbarkeit klopften. Immer wieder finden wir Beschwerden, daß das Bier verbrannt schmeckte, wenn nämlich beim Maischen und beim Kochen nicht sorgfältig genug umgerührt worden war. Zu anderen Gelegenheiten schmeckte es nach Rauch, da man zum Heizen mangels ordentlichen Brennholzes Stroh oder zu viel grünes Holz verwendet hatte. Der ungenügende Eiweißabbau konnte spielend leicht zu Trübungen führen; erschöpfte Hefen und ungünstige Kellerbedingungen beim Gären, mangelnde Sauberkeit der Fässer und, und, und ließen das Bier oft genug sauer werden. Allesamt keine Fitnessdrinks. Übrigens brach auch die Hälfte aller Beispielstädter Stadtbrände im Brauhaus aus.
Und wie überall, wo Männer am Tun sind, gab es jede Menge grotesken Ärger. 1692 klagten die Brauer gegen einen Schönfärber, der etwas oberhalb des Brauhauses am Stadtbach ansässig war und seine Abwässer einleitete, wovon »das Brauwasser schwarz, roth, blau, grün und allerhand Farben bekömbt, dass jedermann, der es nur ansiehet, ein Grauen davor hat«. Der Landesfürst beschied ihnen, daß es »unerwiesen bleibt, daß die ausgegossene Farbe mit Gefahr verknüpft« sei. Kann auch gut sein, daß der Schönfärber angeschwärzt wurde, weil er sein Bier heimlich von einem nahen Rittergut und nicht aus Beispielstadt bezog. Zwei Jahre später sehen die Beispielstädter nicht ein, warum ausgerechnet der hiesige Pfaffe freies Braurecht plus Tranksteuerbefreiung genießen muß, 1712 schmettern sie eine Klage der vor den Stadtmauern an der Teichgasse lebenden Handwerker ab, die monieren, daß »sie ein Bier zu trinken bekämen, durch dass sie beinahe um ihre Gesundheit gebracht würden, während die Bauren auf den Dörffern die Keller voll hätten«. Eindeutige Antwort der Brauberechtigten: »Die dummen Teichgäßler brauchten überhaupt kein Bier zu haben.« Basta! Aus Rache verklappen die Teichgäßler ihren Biomüll in die Brauteiche. So kann es gehen.
Mit Einführung der Gewerbefreiheit nach der Französischen Revolution wird endlich alles gut. Na, zumindest vieles. Zollschranken, Bannmeilen und ekliger Bierzwang fallen – die Einnahmen aus dem Braugewerbe spielen für die Beispielstädter nur noch eine marginale Rolle. Die Brauereien werden Teil einer aus allen Nähten platzenden kapitalistischen Industrie. Mit dem immer verzweigter werdenden Verkehrswegenetz wuchs auch der Bedarf an Gaststätten, Herbergen und Hotels, die durch die Braukommunen nicht mehr ausreichend mit Bier versorgt werden konnten. 1880 sieden 19 000 Brauereien im Deutschen Reich. Zwei davon in Beispielstadt. Das Handelsregister führt einen Fabrikanten, einen Weber und einen Kaufmann, welche die Ehre haben, »anzuzeigen, daß sie vom 1. September 1872 unter der Firma Beispielstädter Vereinsbrauerei eine offene Handelsgesellschaft mit dem Domizil in Beispielstadt zu dem Zwecke errichtet haben, auf den vom Wirtshaus ›Zur Grünen Linde‹ getrennten Grundstücken auf gemeinsame Rechnung und Gefahr eine Brauerei zu errichten und den Betrieb der Brauerei daselbst auszuüben«. Drei Jahre später erfolgte die Gründung der konkurrierenden Feldschlößchenbrauerei.
Kein Wunder: 1818 erfand man die Heißluftdarre für das Malz, das machte immer hellere Biere möglich. 1842 sorgte der Pilsener Urknall mit seiner divinatorischen Veredlung der untergärigen Brauweise für einen weltweiten Siegeszug des Pilseners, 1843 erblickte das Saccharometer das Licht der Sudhauslampen. 1860 nahm man in Hannover die erste Eiskühlanlage in Betrieb; ihr folgten 1867 die erste Flaschenabfüllung großen Stils, 1870 die für Hygiene und Haltbarkeit bahnbrechenden Entdeckungen Louis Pasteurs und 1877 die durch Carl von Linde entwickelte und mit Ammoniak betriebene Kühlmaschine. 1880 stellte Emil Christian Hansen seine Reinzuchthefen einer breiten Öffentlichkeit vor. Die Bierverfertigung war nicht länger mehr vom Wetterbericht abhängig. 1878 reüssierte Lorenz Enzinger mit seinem Filtrationsapparat, und endlich konnte man klarer abfüllen und sehen. Zum Beispiel den Ausschank. Überhaupt nicht einzusehen hingegen ist, warum keine Frauen unter den Inventoren waren. Isobarometrie mit Druckluft/Kohlendioxid bei Abfüllung und Faßausschank setzten als Schaum- und Frischegaranten dem Bier das Sahnehäubchen auf. In den beiden Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts nutzte man die Gärbottiche der Beispielstädter Brauereien ersatzweise zur Sauerkrautmanufaktur, und das wenige Bier, das sich die Leute leisten konnten, geriet zunehmend dünner. Abgesehen davon, brauen beide Brauereien bis heute munter gegen die Übel dieser Welt und bilden auch nicht zu knapp Mädchen für den Brauerberuf aus. Voilà!
Ordnung hilft Brauhaus halten.
DER VOLLKOMMENE
BIERBRAUER
Dr. Heinrich Knaust ermittelt
Dr. Heinrich Knaust wurde 1521 oder 1524 in Hamburg geboren und starb nach 1577 in Erfurt. Ein bewegtes Leben soll er geführt haben. Ausgedehnte Reisen führten ihn durch ganz deutschsprachig Mittel- und Nordeuropa. Das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon (Band IV) schreibt seiner Autorschaft stolze zweiundsiebzig Titel zu. Unterweisende Publikationen wie Hüt dich für Auffborgen und Schulden (1567) und Fewrzeug Gerichtlicher Hendel und Ordnung (1558) füllten seine Honorarkasse ebenso wie die erbauliche Klag-Rede vom Glauben eines frommen Pfarrherrns (1544) oder die warnende Epistel Gegen und wider die Spitzbuben (1571). Aber der mythisch besetzte Außendienstmitarbeiter und Vater der »Kritischen Biertheorie« verschriftete auch seine Biertestergebnisse. Sie erschienen unendliche 267 Jahre vor dem Pilsener Urknall unter dem tentakeligen Titel: Fünff Bücher von der Göttlichen vnd der Edlen Gabe, der philosophischen hochthewren vnd wunderbaren Kunst, Bier zu brawen. Auch von Namen der vornempsten Biere in gantz Teudschlanden vnd von derer Naturen, Temperamenten, Qualiteten Art vnd Eigenschafft, Gesundheit vnd vngesundheit, Sie sein Weitzen= oder Gersten=, Weisse oder Rotte Biere, Gewürtzet oder vngewützet. Auffs newe vbersehen vnd in viel wege vber vörige edition gemehrt vnd gebessert. Durch Herrn Heinrich Knausten, beider Rechten Doctor. Getr. zu Erffurdt durch Georgium Bawman 1575.
Seine beiden Doktorhüte mag er hochwahrscheinlich auf dem Trödelmarkt erstanden haben, und die Neider reden ihm nach, er sei stets hochverschuldet und äußerst geltungssüchtig gewesen. Die bereits gut zweihundert Jahre später edierte, teils rabiat abbreviierte, teils gehörig durcheinandergebrachte Taschenbuchausgabe mit dem nicht mehr so unübersichtlichen Titel Der vollkommene Bierbrauer. Oder kurzer Unterricht alle Arten Biere zu brauen, wie auch verdorbene Biere wieder gut zu machen, auch alle Arten von Kräuter=Bieren. Nebst einem Anhang von Methsieden. Frankfurt und Leipzig, zu haben bey Carl Wendlern, 1784, erlebte Dr. Knaust leider nicht mehr. Wie auch?
Auf viel Unwesentliches beschränkt, beginnt das erste Kapitel seines Longsellers mit Ursprung und Geschichte, das zweite Kapitel überblickt die allgemein übliche Rohstoffsituation. Kapitel drei begutachtet die technologischen Seiten der Bierbereitung. Kapitel vier befaßt sich mit dem Unterschied des Bieres. Im fünften Kapitel ist einiges zu den gebräuchlichsten Kräuterbieren zu erfahren. Das sechste Kapitel taxiert die wichtigsten deutschen Biere seiner Zeit. Kapitel sieben behandelt die Mängel des Bieres und zahlreiche Gegenmaßnahmen, während das achte Kapitel sich, welchem Juckreiz auch immer folgend, ausführlich dem Metsieden widmet. Metsieden, hm.
Nach Dr. Knausts und seiner Vorbilder These sollen ehedem »Osiris und seine Schwester, die Isis, in Welsch- und Deutschland gewesen« sein, »die das Bierbrauen erfunden haben … sonderlich die Isis, die zur Zeit Herculis Alemanni heraus in Schwabenland kommen … und alle ihre Künste liberaliter communiciret habe«. Ingesamt, wie Dr. Knausts Ausführungen komfortabel