Название | Der Pilsener Urknall |
---|---|
Автор произведения | Michael Rudolf |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895874 |
Nehmen Sie sich das zu Herzen. Und lassen Sie sich, bevor ich die Klappe halte, sagen: Dies hier ist kein Bierbuch. Es ist Literatur. Laurence Sterne winkt aus der Ewigkeit fröhlich herüber.
Jürgen Roth, Frankfurt am Main, im August 2012
HEUTE BACK’ ICH,
MORGEN BRAU’
ICH, ÜBERMORGEN
MACH’ ICH DER
KÖNIGIN EIN KIND
Braugeschichte in einer Beispielstadt
Von den Anfängen des Bierbrauens im heutigen Sudan, um 8 000 v.u.Z., bis weit in das Mittelalter war Brauen wie Backen obligatorische Frauenarbeit. Im Unterschied zum heutigen »Gebrauch« des Bieres sah man aber den elementaren Vorzug in der Nahrhaftigkeit des Getränks und in der Desinfektion des Wassers. Außerdem gab es keine günstigere und einträglichere Konservierungsmöglichkeit für Getreide. Der Ethanolgehalt im Promillebereich war nicht zuletzt Folge der allgemeinen Unkenntnis von den bei der Bierherstellung ablaufenden biochemischen Prozessen. Gemälzte Gerste und Weizen, sogar Roggen und Hafer vergoren spontan, die Absichten der Hefe waren noch nicht bekannt, gewürzt wurde mit verschiedensten Kräutern. Erst in unseren mittelalterlichen Städten entwickelten sich aus der familiären Bierproduktion zur ausschließlichen Eigenversorgung die urbanen Braukommunen oder -zünfte.
Bierbrauen wurde plötzlich Männersache, und damit ging der Ärger los. Männlicher Omnipotenzwahn, wohin man blickte: Heute back’ ich, morgen brau’ ich, übermorgen mach’ ich der Königin ein Kind! Jeder machte, was er wollte. Frühzeitig mußten sich daher die Brauergilden der Städte als Schutz gegen Verfälschungen und im Interesse der Qualitätssicherung eigene Brauordnungen geben, die ihre juristische Vollendung 1516 im sogenannten Reinheitsgebot erfahren sollten. Quellen verweisen auf eine erste Brauordnung unserer Beispielstadt im leider verschollenen Stadtbuch des Jahres 1381. Als älteste Brauordnung ist die von 1475 überliefert. Darin heißt es unter anderem, daß der Braumeister: »Zu brauen bedacht forthin 10 Scheffel gute tüchtige gerstenn schütten Vnd mältzen lassen solle, Vnd man das maltz fertig, Vnd es Zum einholen schroten wollte … Zu dem müller Vorfuhren, doselbst durch den darzu Verordent gemeß meßen … als denn solch maltz in das Brauhauß geantwortet. Da solch darzu Vorricht Braumeister eine pfanne weniger denn Zu einen grossen nehmen solt. Sonsten 12 1/2 Scheffel hiesig maß Malz und 12 Maaß Hopffen zum brauen Schütten. Der Braumeister einem indem er nicht mehr denn 16 Viertel bier gießen und hernach er solch gebraut bier Vmb fälligst die kanndel 4 pfenning Vorkauffen.« Die früheste Tranksteuerordnung ist 1451 vom Burggrafen erlassen worden und sie besagt, es »sol auch der Rath ein jeder Stadt, Marckte oder Flecken ein Anzahl Schenckmassen von Zien, Bley oder Kupffer in Vorrath machen lassen«, was erahnen läßt, welcher Spielraum für Betrügereien durch die Uneinheitlichkeit der Hohlmaße gegeben war.
Als nun die Frauen in Beispielstadt nicht mehr brauten, war wenigstens klar, wann gebraut werden durfte, nämlich vom 29. September bis zum 23. April, wer Bier brauen durfte, nämlich grund- und hausbesitzende Bürger der Beispielstadt – etwa fünfzig Bürger also, und wer es trinken mußte, nämlich außer den Städtern alle Dörfler der Landesherrschaft, die mit Hilfe einer Bannmeile zwangseingemeindet waren. Innerhalb von zwanzig Faßwürfen um die Stadtwälle war das Anlegen von Landbierfeuchtbiotopen ganz schön streng verboten. Das nämlich stuften die Städter umgehend als Beschaffungskriminalität ein. Ausnahmen mit viel Weh und Ach blieben die herrschaftlichen Burgen und die Klöster samt unverschämten Steuervergünstigungen. Dies legte das vom gleichen Burggrafen gegebene »Brau-, Bier- und Roßmarktprivilegium« von 1451 fest. Noch in der Stadtverfassung von 1572 heißt es: »Es soll keinen verstattet sein bei Verlust des eingelegten Bieres welches der Rat durch die Brauerschaft herauszulangen und aussaufen zu lassen das Recht haben soll, es hätte denn einer aus erheblichen Ursachen von einen allhier in der Stadt regierenden Herren darüber gnädige Erlaubnis.« 1259 waren dem Beispieldorf Stadtrechte zugeteilt worden, und es nannte sich fortan Beispielstadt. Schon zu dieser Zeit muß mindestens ein Brauhaus vorhanden gewesen sein. Später waren es immerhin zwei: ein städtisches an der Rückseite des Rathauses und ein herrschaftliches an der Stadtmauer. Die erste sichere Nachricht über ein Brauhaus datiert vom Jahr 1400, hier wird von einem Neubau gesprochen. Anzunehmen ist, daß sein frühester Vorläufer bereits vor 1300 bestanden haben muß. 1562 erfahren wir Näheres über das Inventar: »1 kupfferne braupfanne, 1 stell=bottig nebst stellkrug, 1 grosen Maischbottig, 1 hopfen=seihe, 1 Eiserne Pfannen Krücke, 1 Hopfen Rechen, 1 Schürhaken, 1 grosen Gehr=bottig, 1 grosen Küferstock, 5 kleine bottige, 2 halbe bottige, 2 Küferstiefel, 2 Trüchter, 2 Wannen, 2 Schöpfen, 2 Waßerkannen.« Die verschieden großen Lagerfässer befanden sich in Benutzung bei den jeweiligen Brauberechtigten.
Da diese meist selbst Landwirtschaft betrieben, schien die Bereitstellung von Gerste kein Problem zu sein. Die Vermälzung nahm man ursprünglich selbst vor. Nachdem 1510 ein städtisches Malzhaus gebaut worden war, konnte die Malzherstellung ebenfalls zentralisiert werden, was sich günstig auf die Qualitätsentwicklung auswirken sollte. Mit dem Hopfen tat man sich weitaus schwerer. Direkt gezüchteten Hopfen baute man um Beispielstadt nicht an; die Nachbarstadt hatte zwar einige Fluren für Hopfenanbau ausgewiesen, doch soll dieser Hopfen nach verschiedenen Zeugnissen äußerst mangelhaft gewesen sein. Auch wenn es keine Flurnamen im Weichbild von Beispielstadt gibt, die auf Hopfenanbau hindeuten, können die spärlichen Überreste wilden Hopfens in der Nähe des Stadtgrabens, die noch bis vor einigen Jahren dort wuchsen, als eventuelle Anhaltspunkte dafür gelten. Beträchtliche Mengen bezog man aus der Gegend um Saaz in Böhmen. Hefe kreierte das Brauhaus selbst, Wasser entnahm man dem Stadtbach und diversen Teichen vor den Stadtmauern, »weil kein bequemeres und dazu dienlicheres sich gefunden, unsere Vorfahren auch jederzeit gut und tüchtig Bier daraus gebrauet«. Eine genauere Festlegung zur Verfahrensweise der Bierherstellung in Beispielstadt ist leider nicht aktenkundig, da man es zum größten Teil dem Geschick des Braumeisters anheimstellte, wie das Bier geriet. Und der wiederum legte keinen gesteigerten Wert auf Publizität seiner Berufsgeheimnisse. Es wird das Dreimaischverfahren gewesen sein, welches sich nach und nach durchsetzte. Danach wird die Maische aus geschrotetem Malz und Wasser auf dreißig bis vierzig Grad erhitzt, ein Drittel davon separat gekocht, dann vermischt. Ergebnis: fünfzig bis zweiundfünfzig Grad. Meistens. Ideal zum Eiweißabbauen. Die Wiederholung ergibt sechzig bis fünfundsechzig Grad, und Malzstärke verwandelt sich in Maltose. Der dritte Schritt bringt es auf fünfundsiebzig Grad, und die Maltose wird in vergärbare Zucker aufgespaltet. Ab durchs Sieb, Hopfen dazu und kochen. Mindestens eine Stunde. Wieder durchs Sieb, abkühlen. Und erst bei acht bis zehn Grad die Hefe zugeben. Die Hauptgärung dauert bei Braunbieren vierundzwanzig Stunden, bei Lagerbieren bis zu acht Tage. Dieses Jungbier fließt dann in die Lagerfässer und reift beziehungsweise klärt sich unter Luftabschluß. Und zwar bei den Brauberechtigten jeweils im Keller.
Nicht so geheim war, was getrunken wurde: Das schon nach reichlich einer Woche schankfertige obergärige Braunbier, mit dessen Mindesthaltbarkeitsdatum um die Wette getrunken werden mußte. Ab 1600 setzte sich auch in Beispielstadt das untergärige Lagerbier durch mit naturgemäß längerer Reifezeit bis zu drei Monaten. Braunbier erreichte ein bis zwei Prozent Ethanol, Lagerbier schaffte je nach Rohstoffeinsatz und Braumeisterglück dreieinhalb bis vier Prozent. Die Siebrückstände (Treber) reichten hinterher immer noch locker für einen Dünnbiersud. Dieses Kofent reichte man als Armen- und Gesindebier. Jeder brauberechtigte Bürger schenkte sein Bräu auch selber aus, und zwar nach einer Anfang des Jahres ausgelosten Braureihenfolge – im Reiheschank. Ein grüner Zweig lotste die Durstigen herbei, und die von der Landesherrschaft oder von der Stadt bestellten Bierbeschauer überprüften gestreng die Einhaltung der Preise und die Qualität. Zudem war ein Teil des Bräus an den städtischen Ratskeller abzuliefern. Allerdings finden sich in den Ratsrechnungen Bestätigungen dafür, daß neben einheimischem auch fremdes Bier ausgeschenkt wurde.
Trotz der ständigen Aufsicht rissen mit der Zeit im Verfahren einige Nachlässigkeiten