Название | Das Erbe von Samara und New York |
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Автор произведения | Erik Eriksson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944369099 |
Zurück über das Meer
Sie liefen Schlittschuh auf einem der kleinen Seen im Central Park. Hedvig ging an den Sonntagen zusammen mit Mrs. Grahams beiden jüngsten Kindern, der sechsjährigen Charlotta und der neunjährigen Jane, dorthin. Die Kinder hatten einen Schlittschuhlehrer, Peter Shildtman; er bot Hedvig an, ihr kostenlos Schlittschuhe zu leihen und mit ihr zu üben. Peter war der Sohn eines eingewanderten Österreichers. Er fuhr mit Hedvig auf der Eisbahn herum, hielt dabei ihre Hand. Das war erlaubt, sie brauchte eine Stütze. Die andere Hand hatte Peter um Hedvigs Taille gelegt. Sie fand, dass das unnötig sei. Aber sie lernte Schlittschuhlaufen; sie vermied möglichst Peters Hilfe, lief lieber mit den Mädchen. Sie waren alle drei Anfänger, machten dieselben Fehler und freuten sich über dieselben Fortschritte. Carl jedoch zog es vor, die paar Male, die ihm seine Arbeit erlaubte mitzukommen, nur zuzuschauen.
Carl war zweiter Butler, er servierte manchmal, wenn die Familie keine Gäste hatte, aber meist reinigte er Abflussrohre, holte Kohle aus dem Keller, putzte die schwer erreichbaren Scheiben oben in den zum Park hinausgehenden großen Panoramafenstern. Carl war der Mann für alles, er war erfinderisch und schnell, wartete nicht erst auf Anweisungen, sondern ergriff selbst die Initiative. Mrs. Graham erkannte schnell, dass Carl tüchtig war. Sie erhöhte seinen Lohn auf sieben Dollar die Woche. Dazu hatte er Wohnung und Essen. Carl sparte, er hatte ein Bankkonto eröffnet.
Auch Hedvig hatte ein wenig Geld gespart. Sie verdiente die erste Zeit über nur drei Dollar in der Woche, aber sie hatte einen freien Tag und freie Abende. Nach einiger Zeit bot ihr Mrs. Graham sechs Dollar an, wenn sie eine Vollzeitbeschäftigung akzeptieren würde. Das bedeutete allerdings Arbeit bis abends spät. Dann sollte Hedvig auch mit den kleinen Mädchen Schulaufgaben machen, mit ihnen spazieren gehen, ihre nächste Vertraute sein, wenn Mrs. Graham nicht zuhause war, was mehrmals im Monat vorkam. Sie begleitete ihren Mann gelegentlich auf seinen Geschäftsreisen. Mr. Graham besaß große Aktienanteile an Banken und Schiffswerften. Er saß in Vorständen, er reiste zu Sitzungen nach Boston und nach Washington, manchmal auch nach Chicago und Detroit. Mrs. Graham fuhr mit. Es war nicht unbedingt üblich, dass Frauen ihre Männer begleiteten. Es kam vor, dass jemand sie für die Sekretärin des Bankiers hielt. Sie war zweiunddreißig Jahre alt, rothaarig, sehr schön. Sie war Sekretärin gewesen, als sie Mr. William Graham kennengelernt hatte.
Hedvig hatte keine Zeit mehr für die Bücher, die sie gerne gelesen hätte. Stattdessen lernte sie alles über die Geschichte und Geographie Amerikas, über Algebra und Gleichungen. Sie wurde die Nachhilfelehrerin der Kinder.
Die Familie Graham besaß eine Sommervilla auf Long Island, nahe am Meer bei Westhampton Beach. Auch der lange Strand unterhalb der weißen Villa gehörte zu dem Besitz. Dort befand sich ein Bootshaus mit einer Brücke, die gut fünfzig Meter in das flache Wasser hineinragte.
Im Sommer 1896 verbrachte Hedvig zusammen mit Mrs. Graham und den Mädchen einen Monat in der Villa Doonbeg, die nach dem irischen Geburtsort von Mrs. Grahams Mutter benannt worden war. Hedvig hatte noch nie einen so schönen Strand gesehen, weißen Sand, flaches Wasser, Sonnenstühle und milden Sonnenschein. Die Mädchen zeigten ihr, wie man Sandburgen baute. Sie fertigten kleine amerikanische Fähnchen an, die sie auf die Türme der Burgen steckten. Hedvig bastelte eine schwedische Fahne. Sie konnte nicht richtig erklären, warum sich dieses vielfarbige Viereck in der oberen Ecke der Fahne befinden sollte.
»Das ist wie bei euren Sternen, wir haben auch eine Union, obwohl wir nur zwei Mitglieder sind.«
»Ihr könntet ja dann wohl auch zwei Sterne haben«, fand Charlotta.
Sie spielte an diesem Tag unten an der Wasserkante. Jane konnte schon schwimmen, sie war ein Stück hinausgewatet, jetzt machte sie einige Schwimmzüge, dort, wo die Wellen anschlugen.
Aber es war ein ruhiger Tag, die Wellen waren klein, es bestand keine Gefahr, Jane konnte im Wasser bleiben, wenn Hedvig sie im Auge behielt.
Das kleinere Mädchen, Charlotta, begann zu frieren. Hedvig holte ein Frottierhandtuch, trocknete sie ab, kniete sich in den Sand und wickelte das Mädchen in das große Handtuch.
Da hörte sie Mrs. Graham rufen, sie war zu den Bäumen oben vor dem Haus gegangen, jetzt kam sie zurück, sie lief.
»Wo ist Jane?«, rief sie.
Hedvig stand auf und blickte auf das Wasser hinaus. Jane war nicht zu sehen.
Charlotta rief den Namen ihrer Schwester. Hedvig lief ein paar Meter ins Wasser hinein, hob mit einer Hand den Rock hoch, ging noch ein bisschen weiter hinein und merkte, dass sie bis an die Oberschenkel nass wurde. Sie blieb stehen und rief wieder und wieder Janes Namen. Da erblickte sie das Mädchen etwas weiter draußen. Sie schwamm nicht, ihr Haar lag auf dem Wasser, einer der Arme bewegte sich etwas.
Hedvig lief zu Jane hin. Das Wasser reichte ihr jetzt bis zur Taille, eine Welle schlug ihr ins Gesicht, sie verlor den Halt, fiel zur Seite, fühlte jedoch den sandigen Boden, fand ihr Gleichgewicht wieder, ging weiter auf Jane zu.
Jetzt hatte sie sie fast erreicht, sie konnte den Arm des Mädchens packen. Hedvig wandte sich um, zog Jane mit sich, fiel wieder hin, bekam Wasser in den Mund, ließ jedoch nicht los.
Auch Mrs. Graham war ins Wasser gelaufen. Sie erreichte Hedvig und ergriff Janes andere Hand. Gemeinsam zogen sie das Mädchen an Land.
Hedvig hustete, kniete neben Jane nieder, die bewegungslos auf dem Boden lag. Da hob das Mädchen langsam eine Hand gegen das Gesicht, begann ebenfalls zu husten. Die Mutter hob den Kopf des Mädchens leicht an, strich ihr das nasse Haar aus der Stirn.
Jane hustete das Wasser aus, der Schleim rann ihr aus dem Mund. Die Hustenanfälle wurden schwächer, sie begann zu weinen; ihre kleine Schwester, die daneben gestanden hatte, kam näher und umarmte sie, begann ebenfalls zu weinen, die Mutter wiederholte immer wieder den Namen ihrer Tochter.
Hedvig hatte sich etwas abseits hingesetzt. Sie war immer noch außer Atem, das Wasser tropfte ihr aus den Haaren. Sie fühlte sich steif und kalt, jedoch kam das nicht von den nassen Kleidern, sondern von der schrecklichen, eiskalten Einsicht: Es war ihre Schuld. Jane war fast ertrunken, sie hatte nicht auf sie aufgepasst. Das Mädchen hätte jetzt tot sein können.
Vom Land her wehte ein schwacher Wind, eine leichte warme Brise. Im Westen über dem Festland hatten sich weiße Wolken aufgetürmt. Es war einer der schönsten Tage des Sommers. Aber der Hauch des Todes hatte Hedvig gestreift.
Da erhob sich Mrs. Graham. Sie ging zu Hedvig hinüber, kniete sich neben sie, ergriff ihre Hand.
»Danke, liebe Hedvig«, sagte sie mit schwacher Stimme. Hedvig verstand nicht. Sie hob den Blick nicht vom Boden auf, wollte Mrs. Graham nicht ansehen.
»Du hast meine Tochter gerettet«, sagte Mrs. Graham.
Hedvig begriff nicht, sie sah immer noch weg. Jetzt kam auch Charlotta zu ihr hin und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Da hob Hedvig den Kopf und sah das kleine Mädchen an, das sie ängstlich anlächelte.
In diesem Herbst erhielt Hedvig vier freie Tage. Mrs. Graham fand, dass sie Zeit für Einkäufe brauchte, wie sie sagte. Sie schenkte Hedvig zehn Dollar.
Hedvig sparte dieses Geld. Sie hatte Carl das Darlehen schon zurückgezahlt, die hundert Dollar, die er ihr für die Fahrkarte geliehen hatte. Sie hatte das Geld in mehreren Raten zurückgezahlt. Jetzt hatte sie wieder etwas gespart. Zusammen mit den zehn Dollars verfügte sie im November über insgesamt sechzig Dollar.
Im Frühjahr darauf hatte sie schon fünfundachtzig Dollar auf der Bank. Sie hatte sich nach dem Zinssatz erkundigt und hatte die Central National Bank gewählt. Nicht weil Mr. Graham im Vorstand saß, sondern weil sie dort die besten Zinsen bekam.
Die Idee, Büroangestellte zu werden, hatte Hedvig aufgegeben. Vielleicht hätte sie es in einer kleineren Stadt schaffen können, aber in New York waren die Anforderungen hoch und die Konkurrenz groß. Vielleicht könnte sie studieren, ihre Sprach- und Geschichtskenntnisse verbessern, mit der Zeit Lehrerin werden.
Ab und an dachte sie auch an eigene Kinder. Vielleicht lag das