Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf. Dolf Hermannstädter

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Название Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf
Автор произведения Dolf Hermannstädter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870271



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machen, dann ist irgendwann mal zuviel da, ich glaub aber dieses Problem wird eh nicht auftreten. Trotzdem wäre es zu überlegen mal was Neues zu starten, eben nicht den üblichen Vertrieb, Tape-Sampler, etc., lasst euch doch mal was einfallen. Ach ja, wenn ihr meint dass ihr jetzt schon durch den Kauf des Heftes meinen Lebensunterhalt zahlt liegt ihr falsch – ich hab die Sache nur mal angesprochen, davon, dass ich/wir es jetzt so machen war kein Wort, mal sehen wie es weitergeht. Jetzt noch was, ich werde sehr wahrscheinlich ab ca. Mitte November für vorerst zwei Monate nach Kalifornien gehen, sollte es nicht klappen erübrigt sich das hier. Wenn ich weg bin kann ich logischerweise keine Post usw. machen, also, ich bin praktisch für ne kleine Zeit außer Betrieb (wenns ganz dringend ist bin ich über die MRR- Adresse zu erreichen). Aber ich komme wieder zurück und dann gehts volle Kanne weiter! Jetzt möchte ich zum Abschluß zwei berühmte Männer zitieren, das eine ist von Mykel Board: »It is just that the consumers pay in money, the producers in time and effort. Thats the deal.« Das andere ist von Goethe: »Andere verschlafen ihren Rausch, meiner steht auf dem Papier.« Wir sehen uns – MACHT WEITER!!

      Trust #4 – Januar 1987

      Ich glaube an Kapitalismus – hat mir neulich jemand gesagt, allerdings mit dem Anhang – wenn niemand damit ausgebeutet wird. Nun, außer einer langen Unterhaltung hab ich da noch … Kapitalismus in der Form wie er jetzt besteht, ist schlecht, da gibts keine Zweifel. Die einen, die etwas fixer sind, haben alles und die anderen haben nichts und werden von den Kapitalisten ausgebeutet. Das nix gut. Nehmen wir also mal an, Kapitalismus ohne Ausbeutung, d.h. für mich, dass jeder versucht möglichst viel Geld zu verdienen und darauf achtet, dass er niemanden ausbeutet. Klingt nicht schlecht, jeder hat Geld und kann es auch ausgeben, z.B. fürs Kino, für Essen, wenn es langweilig ist einkaufen gehen, STOP, aus Langweile einkaufen?? Ja, die Amis machen das, und mein Freund meinte dazu – ist doch ok, du gibst dein Geld für Gigs aus, die eben für shopping. Ja es stimmt schon, beides wird zur Unterhaltung gemacht, aber aus Langeweile einkaufen?? Versteh ich das als Europäer nicht oder ists nicht richtig? Es ist nicht richtig, für mich auf jeden Fall nicht, denn das ist unnötiges Konsumieren, wenn man nichts braucht und einfach aus Entertainment irgendwas kauft, ist das so als ob man auf nen Gig geht und überhaupt kein Interesse an den Bands und Leuten hat, reines konsumieren eben (Jetzt würde mein Freund wieder sagen, was ist denn schlecht an Konsum … aber lassen wir das, würde wohl doch zu weit führen). Nun bin ich zwar etwas vom Thema weg, aber ich kann ja hier wieder weiter machen. Die Frage ist ja, braucht der Mensch überhaupt soviel Geld und wenn ja, wieviel denn mindestens oder höchstens. Da ja jeder verschiedene Ansprüche stellt dürfte die Frage nicht so einfach zu beantworten sein, vielleicht so, dass es jedem gut geht? Aber dem einen gehts halt erst gut wenn er ein paar Mille verdient … & diese Anhäufung von Kapital wird dann praktisch immer auf Kosten anderer gemacht. Was mich wieder zu dem Schluss kommen lässt, nicht der Kapitalismus ist das Übel, sondern der Mensch, der gierig und machtgeil ist. Wäre er das nicht, würde alles viel einfacher sein, aber … Zu dem Schluss, dass der Mensch die Wurzel allen Übels ist, komm ich zwar meistens, aber was solls, ist nun mal die Wahrheit.

      Trust #5 – März 1987

      Neulich ist mir mal wieder was durch den Kopf geschossen, wie immer eine sehr komplexe Idee, mal sehen was draus wird. Das ganze dreht sich um das Wörtchen TOLERANZ bzw. INTOLERANZ. Wo ist da die Frage nach was wohl richtiger ist, werden sich wahrscheinlich einige Fragen, ist ja klar, Toleranz ist das was wir brauchen. Intolerant sind nur die Spießer und ähnliches Gesocks. Wollen doch mal sehen was das Wörterbuch zu dem Wort sagt, shit, ich hab ja gar kein Wörterbuch – also werde ich es mal aus meiner Erinnerung versuchen. Toleranz bedeutet, dass man andere Ideen/Lebewesen/Lebensformen, eben alles, was von der eigenen Einstellung abweicht, duldet (so seh ich es wenigstens). Dulden heißt aber noch lange nicht, dass man das Anderssein auch für gut befindet, man duldet es eben nur. Auch wenn man machmal lieber etwas dagegen machen oder sagen würde; da man ja aber nicht intolerant sein will, hält man eben den Mund und ist tolerant. Also ist es ja gar nicht tolerant, wenn sich innerlich alles dagegen strebt und man nur äußerlich tolerant ist, oder? Nun, man ist eben zur Außenwelt tolerant, hat eben doch noch seine kleine Intoleranz in sich. Sicherlich gibts auch die Toleranz, die nicht nur äußerlich, sondern innerlich ist. Das heißt also, man ist völlig tolerant und schert sich einen Dreck drum ob jemand seine Pomm Fritz mit der Gabel oder mit den Fingern ist. Das also erstmal zur Toleranz, jetzt weiter zur Intoleranz. Intolerant bedeutet, dass man andere Ideen/Lebewesen/Lebensformen, eben Dinge, die von der eigenen Einstellung abweichen, nicht duldet. Nicht dulden heißt in dem Fall also, es wird etwas dagegen unternommen, verbal oder sonstwie. Das heißt also, diese Leute sind zu ihrer Außenwelt intolerant und sind auch innerlich intolerant (natürlich gibts auch einige Fälle wo es vorkommt, dass man gewisse Dinge innerlich toleriert und sich der Umwelt gegenüber intolerant äußert, da eine Furcht besteht seine wahre Toleranz zu zeigen, das soll aber diesmal nicht mein Thema sein), weil sie sich eben um verschiedene Dinge kümmern. Nun sind wir an dem wichtigen Punkt angelangt. Wenn intolerante Leute sagen, was ihnen nicht passt oder sich drum kümmern, etwas zu ändern, während die toleranten alles dulden, weil es ihnen gleichgültig ist – dann stellt sich doch wohl die Frage, was besser ist. Ich weiß, so pauschal kann man das nicht sagen, da es ja ein großer Unterschied ist ob jemand duldet, wie eine andere Person isst, oder ob geduldet wird, wenn jemand unterdrückt wird. Ebenso besteht wohl zweifelsohne ein gewaltiger Unterschied, ob jemand gegen eine andere Person etwas unternimmt, weil ihm dessen Haarfarbe nicht passt oder weil er Frauen vergewaltigt. Für mich besteht da auf jedenfall einer. Was will ich jetzt mit diesen Überlegungen sagen, nicht das Toleranz in Zukunft automatisch mit Gleichgültigkeit gleichzusetzen ist (obwohl es irgendwo doch richtig ist) oder Intoleranz automatisch bedeutet, dass man sich um Dinge kümmert. Für mich haben nach all diesen Überlegungen die beiden Wörter Toleranz und Intoleranz einen ganz anderen Wert und ich werde in Zukunft sorgsamer damit umgehen. In diesem Fall bin ich nämlich intolerant und es ist mir nicht gleichgültig wie ich diese Wörter verwende, ich bin also intolerant, toleriere aber, wenn du dir keine Gedanken über das Geschriebene hier machst, das zeigt nämlich nur wie tolerant du bist, soll ich jetzt etwa sagen: Sei intolerant???

      Jetzt noch was anderes, wie die meisten von euch ja mitbekommen haben war ich für zweieinhalb Monate in den USA. Ich wollt eigentlich wieder ein TRIPZINE machen, was mir allerding etwas schwerfallen dürfte, da ich fast die ganze Zeit in San Francisco war, also nicht besonders viel rumgetrippt bin. Das heißt also, das ganze dürfte mehr so tagebuchmässig ausfallen. Da ich ja niemanden langweilen will, frag ich also jetzt einfach ob Leute da sind, die über meinen Aufenthalt dort drüben (bzw. hier) lesen wollen was ich gemacht und erlebt hab, was für Leute und Konzerte ich gesehen hab usw. Ich kann für nichts garantieren, weiß aber, dass bei Interesse das ganze Ding von der Aufmachung her so ausfallen wird, wie das letzte Tripzine, wird allerding so ca. zwanzig A4-Seiten haben. Also bei Interesse bitte eine kurze Postkarte schreiben, wenn genügend Leute Bock drauf haben werd ich das Ding fertigstellen und drucken und dann zu einem billigen Preis unter die Leute bringen. Ich würds ganz gern machen.

      Trust #6 – Mai 1987

      Anfang des Jahres war ich mir schon ziemlich sicher, dass dieses Jahr ›Wechsel‹ bringen wird. Ich mein jetzt nicht große Veränderungen im Sinne von Revolution oder so, sondern einfach irgendwelche Veränderungen in der Szene (die gabs früher und wird es auch weiterhin geben – logo – aber trotzdem). In den letzten drei, vier Monaten ist mir bei Gesprächen aufgefallen, dass sich viele Leute Gedanken über dieselben Themen machen und sich mit denselben Problemen beschäftigen, die auch mir so im Kopf rumschwirren … Es ist zwar schon irgendwie gut, wenn man seit Jahren aktiv ist (Band, Zine, Gigs, Vertrieb, Touren, usw.), aber auf der anderen Seite, was hat sich denn schon groß geändert? Nicht sehr viel, und deshalb denken viele Leute darüber nach, ohne auf eine vernünftige Lösung oder den Grund für dieses Ausbleiben zu kommen. Der Grund, warum ich hier von »Wechseljahr« spreche ist, dass eben einige Leute erkannt haben, dass es auf die Dauer nicht befriedigt, ›nur‹ in einer Band zu spielen oder ›nur‹ Gigs zu veranstalten und dadurch alles gut wird, sondern die Leute anfangen zu denken und gut draufkommen. Ich bin schon überzeugt, dass es sich jetzt zeigen wird, ob – vor allem ›alte‹ Leute – frustriert und desillusioniert von der Szene abspringen, oder ob alle auch in Zukunft genügend Energie haben alles durchzuziehen, um die Sache aufrechterhaltend voranzubringen.