Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf. Dolf Hermannstädter

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Название Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf
Автор произведения Dolf Hermannstädter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870271



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Freundschaften, Liebe, wild sein, Spaß haben, lachen, Erkennt-nisse gewinnen, was neues sehen, aus Fehlern lernen, »gut und richtig leben so weit es geht«. Haben nicht CRASS schon Ende der 70iger Jahre gesagt: Don´t fight People, fight the System? Müsste ich jetzt nachschauen, aber könnte passen. Wie wollen wir eine neue Welt schaffen, wenn wir genau so schwarz-weiß (nur umgekehrt) wie der Mainstream denken und handeln? All cops are bastards? All parents suck? »Think about it«, würde Dolf wohl sagen und »fuck Mainstream-Gedankengut«, sei es »bei ihnen« oder »im Punk«.

      Weist Dolf nicht genügend in seinen Kolumnen darauf hin, dass man sich permanent vor Augen halten muss, dass ein System, was auf dem Grundmechanismus der Warenproduktion »Profit ist wichtig, der Sinn der mit dem Profit erzielten Produkte oder Dienstleistungen ist zweitrangig« basiert, eine endlose Masse von Idiotismus produziert, die Menschen dumm macht bzw. sie nicht befähigt, das zu durchschauen? Natürlich. Dolf wäre allerdings nicht Dolf, wenn er selber nicht auch sehen würde, dass er es wahrscheinlich nicht genug gemacht hat. Was hat sich schon groß verändert seit der ersten Kolumne von 1986? Was in der Antike als die höchste Beschäftigung des Menschen galt, als seine größte Befähigung und als Lebenszweck, Malerei, Theater, Musik, Literatur, ist seit Beginn der kapitalistischen Industriegesellschaft im späten 19.Jahrhundert zu einem der niedersten Bereiche des Menschen degradiert worden, ganz nach der Profitmaxime »Wenn es Geld bringt, radikal ausschlachten, wenn es kein Geld bringt, weg damit«. Das Mittel Geld als Äquivalent für den Warentausch, als Tauschmittel – hat sich zum Zweck verselbstständigt und wir fragen uns nach dem Sinn des Ganzen. Denn trotz des andauernden Beharrens auf Rationalität und Effizienz bleibt einem nur festzustellen, dass dieses System eindeutig durch Irrationalität gekennzeichnet ist. Der Mensch hat es geschafft, atomare Waffen zu entwickeln, die die ganze Menschheit auslöschen können, geschaffen im Interesse einer wahnwitzigen Kriegsindustrie, dabei könnte es doch alles so einfach sein: Durch die andauernde technische Vereinfachung, durch die permanenten technischen Revolutionen könnte es doch möglich sein, den alten Menschheitstraum »Nie wieder Lohnarbeit« zu verwirklichen und wir alle könnten uns auf das echte Leben konzentrierten und nicht wie Hamster im Laufrad der Lohnarbeitsspirale durch das Leben hetzten, immer zu viel zum Sterben, aber zu wenig, um gut zu leben! Aber nein: Es werden Waren produziert, die Profit, aber keinen Sinn bringen und an der Stelle, an der sie Sinn bringen könnten, gibt es jedoch keinen Profit: Oder glaubst du, wenn reiche Nationen wie USA oder Japan von einer ähnlichen Krankheit wie AIDS betroffen wären, dass die Entwicklung eines besseren Impfstoffes ähnlich lang dauern würde wie in afrikanischen Ländern? »Think about it«.

      Dieses Buch soll im besten Falle alle, die es lesen, dazu auffordern, ihr Leben kritisch zu überdenken und es bei Feststellen des Nichtgefallens zu ändern, es soll im besten Falle alle auffordern, sich dafür einzusetzen, den Politikern, die Sonntags immer so gerne von dem wichtigen »bürgerschaftlichen Engagement« sabbeln und dann Montags ihre Unterschrift unter die Räumung bzw. Mietvertragsauflösung eines weiteren unkommerziellen Wohn-, Lebens- und Kulturprojektes setzen, einen Mittelfinger zu zeigen und sich mit anderen zusammenzuschließen, unkommerzielle Netzwerke zu bilden, ihren eigenen Weg zu gehen, aber zusammen mit anderen.

      In diesem Sinne: »Walk together, rock together!«

      Jan Röhlk, Juli 2007

      Ich traf Dolf auf FUGAZIs erster Europatour 1988. Wir wurden fürs TRUST interviewt und schafften es aufs Titelbild. Zu sehen war ein Foto, auf dem ich bei einer unserer allerersten Shows in die Luft sprang. Der Sprung taugte für ein gutes Foto, war aber auch eine unangenehme und schmerzvolle Erfahrung. Ich denke, das trifft auch auf vieles beim Machen eines Fanzines zu. Um zu schreiben, braucht man eine bestimmte Dreistigkeit und Unverschämtheit, zwei Qualitäten von denen ich glaube, dass Dolf sie im Überfluß hat. Ich bin mir sicher, hätte ich die Geduld, meine rudimentären Deutschkentnisse zu benutzen, um seine Kolumnen über die Jahre zu übersetzen, wahrscheinlich hätte ich ein paar seiner pointierten Meinungen abtörnend gefunden. Wie es so ist, hatte ich nicht die Geduld (oder Fähigkeit) rauszubekommen, über was er sich auf den Seiten vom TRUST so ausgelassen hat. Aber unsere lange Freundschaft hat ihm reichlich Gelegenheit gegeben, mir mitzuteilen, was ich da so verpasst habe. Für mich ist einer der zentralen Lehrsätze von Punk zu meinen, was man sagt. Und ob du nun mit Dolfs verschiedenen Ansichten einverstanden bist oder nicht, ich denke, wir sind uns alle einig, dass er ein »straight-up punk« ist.

      Ian MacKaye

      Ian interviewt Dolf

      Ian: Wenn ich ein Buch voll mit jemandes Kolumnen lese, würde ich gern mehr über die Person erfahren wollen, die sie geschrieben hat. Ich hätte gern den Kontext, aus dem diese Ansichten kommen. Lass uns also damit anfangen: Du bist Augsburger, richtig?

      Dolf: Ich bin in Augsburg geboren und aufgewachsen.

      I: Hast du Musik gehört vor Punk-Rock?

      D: Als ich elf oder zwölf war, hab ich Radio gehört, die Disco Hits oder was auch immer gerade angesagte Musik war, aber ich war viel zu jung, um nach einem bestimmten Genre zu suchen. Das waren meist englischsprachige Songs, das machte es interessant, aber ich hatte noch keinen entwickelten Geschmack für Musik. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Schallplattenkauf in einem echten Plattenladen, ich kaufte mir DEEP PURPLEs »Live in Japan«. Danach noch zwanzig oder dreißig weitere Platten.

      I: War das alles Hard-Rock-Zeugs?

      D: BLACK SABBATH, SAXON, ein wenig QUEEN, ein bisschen PINK FLOYD …

      I: SCORPIONS?

      D: Nein, nicht die SCORPIONS, aber MEAT LOAF, MANFRED MANN’S EARTH BAND. Du weißt schon, man braucht Scheiben, bei denen man durchdrehen kann, und welche …

      I: Aber keine SCORPIONS? Haben die dir nichts bedeutet?

      D: Ich hatte nichts von den SCORPIONS.

      I: Aber sie sind Deutsche!

      D: Ich weiß, aber irgendwie … Warte mal, ach ja, ich hab eine Doppel-LP von ihnen, die Live-Scheibe ›Tokyo Tapes‹.

      I: Was hast du als junger Teenager gemacht?

      D: Ich denke, zu der Zeit haben wir ziemlich viel Alk aus Läden geklaut und uns besoffen, haben im Wald Soldaten gespielt, Bäume gefällt und kleine Lager gebaut.

      I: War Mitch (TRUST-Mitgründer) damals dein Freund?

      D: Nein, damals noch nicht. Kaum jemanden aus der Zeit hab ich noch auf dem Schirm.

      I: Keiner von ihnen wurde also Punk?

      D: Nein. Als ich mit Punk anfing, hab ich fast all meine alten Freunde verloren.

      I: Das war in den späten Siebzigern?

      D: Das erste Mal, als ich Punk-Rock hörte, war 1979, aber zu der Zeit hat er mir nicht gefallen.

      I: Wer hat ihn dir vorgespielt?

      D: Unser Musiklehrer an der Schule hat uns aufgetragen, Scheiben mitzubringen, die wir mögen, und ich hab den Rocky-Horror-Picture-Show-Soundtrack mitgebracht. Ich war angenervt, weil er nicht aufgelegt wurde, dafür wurden diese dummen SEX PISTOLS gespielt. Wie auch immer, das hab ich mir bald danach anders überlegt.

      I: Ich glaube, ich hatte ein ähnliches Erlebnis. Ich mochte Punk-Rock nicht, als ich ihn zum ersten Mal hörte, aber der Sound wollte mich nicht in Ruhe lassen. Ich musste weiter forschen.

      D: Genau, ich hab natürlich von diesem Punk-Rock-Ding aus der Bravo erfahren, dem deutschen Teenmagazin, wo über so Sachen berichtet wird wie: »Du wirst vom Zungenkuss nicht schwanger«. Sie brachten Fotos von einigen Londoner Punks mit ihren nietenbesetzten Jacken. Zu ungefähr der gleichen Zeit sah ich ein paar Punks, die so aussahen, in Augsburg. Das hat mich alles schwer beeindruckt.

      I: Kanntest du die Leute?

      D: Nein, aber ich dachte mir, das müssen ganz schön mutige Spinner sein, wenn sie so rumlaufen. Dann gab es da einen Typen, den ich von der Schule kannte, der wurde immer mehr zum Punk, also hab ich mir mal einen Schwung Schallplatten von ihm ausgeliehen, und es fing an, mir zu gefallen. Das war so in den frühen Achtzigern. Ungefähr zu der Zeit ging ich in denselben Plattenladen, in dem ich die