Das brennende Meer. Erik Eriksson

Читать онлайн.
Название Das brennende Meer
Автор произведения Erik Eriksson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895539



Скачать книгу

rückwärts zur Tür hin, drehte sich um, lief über den Hofplatz und machte nicht eher Halt, als bis sie die Haustür erreicht hatte.

      Den Rest des Tages versuchte sie, ihm auszuweichen.

      Abends gab es gebratenen Salzhering und Roggenbrot, Johanna und ihr Bruder tranken Milch, die Älteren tranken Wasser, die Brüder ihrer Mutter einige Schnäpse, und sogar die Großmutter nippte etwas am Branntwein. Johanna spürte wieder den ekelhaften Geruch, den Filip, der ihr gegenübersaß, verbreitete. Der Tisch war schmal und lang, und sie waren nur einen guten Meter voneinander getrennt. Er sah sie an, glotzte, und obwohl sie den Blick auf den Tisch geheftet hatte, wusste sie, wie seine dunkelbraunen, schadhaften Zähne aussahen, wenn er damit die Essensreste einsaugte, diesem Geräusch konnte sie nicht entgehen, auch wenn sie nicht hinsah.

      Ruben saß auf derselben Seite des Tisches wie Johanna. Der Platz rechts am Kopfende war leer, das war Vaters Platz. Johanna blickte mehrere Male zum Platz des Vaters hin, und Filip beobachtete sie dabei.

      »Er kommt nicht mehr«, sagte er.

      »Das weißt du doch nicht.«

      Johannas Antwort kam schnell, sie sprach mit lauter, scharfer Stimme, betonte jedes Wort.

      »Einbildung«, murmelte Filip.

      Mehr wurde diesmal nicht gesagt. Johanna fühlte einen Hass in sich aufsteigen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Sie blickte hinunter auf ihren Teller und wusste, dass Filip grinste. Alle saßen stumm da. Nach einer Weile brach Ruben das Schweigen.

      »Wir werden eines der Ferkel schon jetzt schlachten«, sagte er.

      Johanna warf einen verstohlenen Blick auf Lars. Sie wusste, dass ihr kleiner Bruder das Schlachten nicht mochte. Im letzten Jahr hatte er sich gedrückt, aber das hatte nur Johanna bemerkt, er war noch so klein gewesen, dass niemand seine Hilfe verlangt hatte. Jetzt sah Johanna, dass Lars dem Gespräch am Tisch nicht weiter zuhören wollte, er sank ein wenig in sich zusammen, wand sich so, als ob er aufstehen und gehen wollte, aber das hätte sich nicht geschickt.

      Vielleicht hatten die Onkel auch Lars‘ abweisenden Ausdruck bemerkt. Das war provozierend, der Junge sollte natürlich wie alle anderen bei der Arbeit helfen. Er war noch ein Kind, aber etwas konnte er doch schon tun, und er durfte am Tisch keine Grimassen ziehen, wenn die Erwachsenen über die notwendigen Verrichtungen auf dem Hof sprachen, die Alltagsarbeiten, die Essen auf den Tisch brachten.

      »Es wird Zeit, dass Lars mithilft«, sagte Filip. »Er kann sich um das Blut kümmern. Dafür braucht man nur eine sichere Hand, das ist nicht schwer.«

      »Ja, gut«, sagte Ruben. »Morgen Vormittag geht es los, nicht wahr, Lars?«

      Er blickte Lars an, der nicht antwortete, sondern niedergeschlagen und etwas verwirrt aussah.

      »Antworte deinem Onkel«, sagte Maria.

      »Morgen Vormittag«, wiederholte Ruben.

      Der Morgen war grau und diesig, aber es war windstill, so wie es oft im November ist, wenn der Nebel vom Meer kam.

      Johanna war diesmal nicht als Erste aufgestanden. Als sie hinausging, sah sie, dass Lars schon draußen auf dem Hofplatz war. Er kniete dort und war mit irgendetwas beschäftigt; als Johanna kam, hörte er auf, erhob sich und verschwand im Haus.

      Sie warteten, bis es hell wurde, gaben dem Pferd Heu, reparierten Geräte, Johanna melkte die beiden Kühe, sie frühstückten. Dann gingen die beiden Brüder ihrer Mutter zusammen mit Lars hinunter zum Schweinepferch. Der Junge bat, eine andere Arbeit verrichten zu dürfen, aber niemand hörte auf ihn, warum sollte er nicht die Arbeit ausführen, die ihm zugeteilt worden war?

      Sie wählten das größte Ferkel aus, jagten es in eine Ecke des Pferches, was eine ganze Weile dauerte, Filip fiel hin, schlug sich den Ellbogen auf, wurde wütend, schrie Lars an zuzupacken. Als sie das Ferkel gefangen hatten, schleiften sie es nach vorne, hielten es am Schwanz und an den Ohren fest.

      Die Schlachtbank war im Pferch aufgestellt. Ruben drückte den Kopf des Ferkels hinunter, Filip reichte Lars den Eimer, hob die Axt und schlug sie dem Ferkel hart auf den Kopf. Das Tier zuckte, zitterte, blieb still liegen. Filip schnitt ihm die Kehle durch, befahl Lars, die Schüssel darunter zu halten.

      Lars stand wie versteinert da, das Blut floss auf die Erde. Filip schrie Lars an, er fluchte und brüllte. Lars weinte, aber er rührte sich nicht. Da schlug Filip ihm mit der Hand ins Gesicht. Der Junge fiel um, Filip nahm die Holzschale, drückte sie unter den Kopf des Ferkels und ließ das Blut, das noch übrig war, hineinfließen, rührte gleichzeitig mit einem Holzstück darin herum. Der Boden war klebrig und dunkelrot, es war viel verloren gegangen.

      Lars lag noch auf dem Boden und schluchzte, die Onkel kümmerten sich nicht um ihn. Als das Blut versiegt war, standen sie noch da, Filip rührte die ganze Zeit über, ließ die letzten Tropfen in die Schale tropfen.

      Dann hoben sie das Ferkel auf einen Karren und zogen ihn in die Scheune, wo das erhitzte Wasser wartete. Jetzt sollte das Ferkel abgebrüht werden. Das Zerlegen konnte dann bis zum nächsten Tag warten.

      Sie arbeiteten schweigend und schnell mit dem kochend heißen Wasser, gossen es über das behaarte Ferkel, schabten es mit scharfen Holzstücken ab, entfernten die Haare und die äußere Haut, legten die glatte Schwarte frei. Es kümmerte sie nicht, dass Lars verschwunden war.

      Nach einer guten Stunde spülten sich die beiden Männer in der Wassertonne an der Hausecke ab. Dann gönnten sie sich einen Schluck, den zweiten an diesem Tag. Sie unterhielten sich über das Ferkel, darüber, was man davon behalten wollte und was sofort frisch an das Posthaus verkauft werden sollte.

      Johanna war bereit, ihrer Mutter zu helfen. Sie hatte schon öfters Tiere ausgeweidet, im letzten Jahr hatte sie sich dabei in den Finger geschnitten, die Wunde war nur langsam verheilt. Sie hatte noch eine Narbe am Zeigefinger der linken Hand.

      Als sie um die Mittagszeit auf den Hofplatz hinausging, blieb sie bei den Büschen stehen, wo Lars runde Steine vom Strand nebeneinander gelegt hatte. Johanna sah, dass er etwas geschrieben hatte. Sie beugte sich nieder, las Buchstaben und Wörter: »SIE SIND WIE WIR«, stand dort.

      Vier kurze Wörter, mit Kohle auf die abgeschliffenen Steinflächen geschrieben, eine unregelmäßige Reihe, eine Botschaft.

      Johanna überlegte, wo Lars sein könnte, sie wollte ihn fragen, was er mit diesen Wörtern meinte. Sie suchte ihn drinnen im Haus, fragte Maria, aber auch sie wusste nicht, wo der Junge war.

      Spät am Abend, als es dunkel war, kam Lars nach Hause. Sie hatten ihn im Wald und am Strand gesucht. Sie hatten sogar in der Nachbarschaft gefragt.

      Als er kam, sagte er nichts. Johanna fragte, aber er wollte nicht antworten. Unter Schweigen aßen sie eine verspätete Abendmahlzeit. Ehe sie schlafen gingen, trat Johanna wie immer noch einmal auf den Hof hinaus; sie wartete dort auf Lars, und als er kam, fragte sie ihn, was die Wörter bedeuteten.

      »Sie sind doch genau wie wir«, flüsterte er.

      Jetzt verstand Johanna, was er meinte. Die Art, wie er flüsternd die Wörter betonte, führte dazu, dass sie verstand.

      Mägde und Herrinnen

      Seit dem Sturm waren nun fünf Tage vergangen. Johanna zählte genau mit, aber sie war nicht beunruhigt, sie hatte von Männern erzählen hören, die wochenlang verschollen gewesen waren, Gegenwind, Eis und Sturm ausgesetzt. Aber sie waren zurückgekommen, einige zu Fuß aus abgelegenen Orten, an denen das Boot gestrandet war.

      Natürlich würden sie wiederkommen, es war erst fünf Tage her, lange Tage sicherlich und lange Nächte mit bösen Träumen und Zweifeln, trotz alledem aber erst fünf Tage und nicht einmal eine Woche, nichts im Vergleich zu einem ganzen Jahr.

      Johanna versuchte auf verschiedene Art und Weise, die Zeit, die vergangen war, zusammenzuziehen. Mehrere Male hatte sie sich auf den Weg nach Skatudden gemacht, sich jedoch dann anders entschlossen. Es kam ihr wie eine Niederlage vor, dorthin zu gehen, es würde bedeuten, Unruhe zu zeigen, den Befürchtungen nachzugeben.

      Am