Deutsche Indianer. Denise Wheeler

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Название Deutsche Indianer
Автор произведения Denise Wheeler
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783864082283



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letzten Vertreter ihres Herrschergeschlechts. Sie binden ihn los. Unkas tritt schließlich mit großer Geste vor die Männer und richtet ein paar Worte an sie: „Männer der Lenni Lenapes! Mein Geschlecht trägt die Erde! Euer schwacher Stamm ruht auf meiner Schale. […] Mein Geschlecht ist der Stamm von Völkern“.15 Das bedeutet: Mit den Mohikanern, dem Herrschergeschlecht der Delawaren, steht und fällt das ganze Volk der Delawaren, ja die ganze indianische Nation. Der uralte Tamenund kann sich an Unkas Vorfahren erinnern und bestätigt die edle Abkunft des jungen Kriegers.

      Den historischen Hintergrund für seinen Roman, der während der Franzosen- und Indianerkriege in den 1760ern-Jahren spielt, entnahm Cooper dem 1819 erschienenen Buch eines Herrnhuter Missionars namens John Ernestus Heckewelder, der 40 Jahre lang unter den Delawaren gelebt hatte.16 Er beschrieb sie deshalb sehr positiv, während er die Feinde der Delawaren, die Irokesen, die bei ihm Mingos heißen, verteufelt. Diesem Muster folgte Cooper. Bei Heckewelder fand er auch die Namen für seine Indianerfiguren Unkas und Chingachgook.

      Die Delawaren, so ist bei Cooper zu lesen, waren einst ein zahlreiches und mächtiges Volk mit vielen Verbündeten. Ihre Feinde, die Irokesen, konnten sie im Kampf nicht besiegen und griffen deshalb zu einer List: Sie überredeten die Delawaren, als Friedensstifter zwischen den verfeindeten Stämmen des Ostens zu dienen. Dafür mussten sie sich verpflichten, ihre Waffen niederzulegen und sich von anderen schützen zu lassen. Metaphorisch gesprochen, sollten die Delawaren die Rolle einer Frau annehmen, die selbst nicht wehrfähig ist, die aber den Streit zwischen den „Männern” schlichtet. Die Delawaren erklärten sich einverstanden und schworen, nicht mehr zu kämpfen. Schon Gottfried Herder, der die Geschichte aus Loskiels Beschreibung der Herrnhuter Mission kannte, lobte diese Institution der Völkerverständigung in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität. Der Abschnitt ist betitelt „Zum Ewigen Frieden. Eine irokesische Anstalt“.17 Nach Herder waren die Europäer daran schuld, dass dieses Vorgehen zum Scheitern verurteilt war, denn die Irokesen drückten den Delawaren wieder das Kriegsbeil in die Hand, damit sie sich an der Abwehr der fremden Eroberer beteiligen. Bei Cooper hingegen stachelten die hinterhältigen Irokesen die anderen Stämme dazu an, die Delawaren zu überfallen. Auf diese Weise führten sie deren Untergang herbei. Die Delawaren werden also Opfer eines Verrats. Moralisch aber sind sie ihren Feinden überlegen, denn sie halten sich an einen einmal gegebenen Schwur und wehren sich nicht. Für einen Moment gibt Unkas den Delawaren die Hoffnung, dass sich ihr Schicksal noch einmal wenden könnte, dass sie unter diesem wiedergefundenen König zu neuer Größe erwachen könnten. Aber wie wir wissen, wird Unkas nur wenige Stunden später von dem Übeltäter Magua getötet. Sein Tod besiegelt den Untergang der Delawaren. Übrig bleibt nur sein Vater Chingachgook. Er ist der letzte Mohikaner.

      In Der letzte der Mohikaner geht es also um den Untergang eines Volkes, einer Rasse, einer Nation. Das waren Begriffe, die damals noch austauschbar waren. Dieser Untergang ist zwar tragisch, aber unvermeidlich, denn die Delawaren sind bei Cooper Helden eines längst vergangenen heroischen Zeitalters. Sie passen nicht in die moderne Zeit. Sie müssen der neuen Ära weichen, wie die alten Römer oder die alten Kelten einer neuen Ära weichen mussten. Das wissen sie selbst auch, weshalb sie sich nicht wehren, sondern ihr Schicksal mit Würde tragen. Nur ab und zu erscheint um ihre Augen ein Zug von Melancholie. Sie reden auch wie die Heroen aus den antiken Epen in einer bildhaften archaischen Sprache voller Allegorien und Metaphern, mit großer Ernsthaftigkeit und viel Pathos. Wie Chingachgook, der am Grabe seines Sohnes Folgendes spricht:

      „Warum trauern meine Brüder? […] Warum weinen meine Töchter? Weil ein Jüngling zu den glückseligen Jagdgefilden dahingegangen ist? Weil ein Häuptling seine Laufbahn mit Ehren vollendet hat? Er war gut. Er war gehorsam. Er war tapfer. Wer kann das leugnen? Manitu bedurfte eines solchen Kriegers, darum rief er ihn zu sich. Ich, der Sohn und der Vater von Unkas, ich bin nur eine verdorrte Fichte auf einer Lichtung des Waldes, die von dem Feuer der Bleichgesichter zerstört wurde. Mein Stamm hat die Ufer des Salzsees und die Berge der Delawaren verlassen. Aber wer kann sagen, die Schlange seines Stammes habe seine Klugheit vergessen? Ich bin allein ...“.18

      Das Motiv des einsamen Sängers, der seinen Sohn überlebt und der den Untergang seines Volkes beweint, kannten die damaligen Leser schon durch den Ossian. Das war ein angeblich spätantikes Epos aus Schottland, das 1760 entdeckt und in ganz Europa mit großer Begeisterung als Zeugnis der heidnischen Frühzeit gelesen, übersetzt und nachgeahmt worden war. Goethe zum Beispiel ließ seinen Werther den Ossian rezitieren, bevor er sich am Ende eine Kugel durch den Kopf schießt. Diese Untergangsstimmung bei Cooper, die Melancholie und die Trauer über das Vergängliche, traf den Nerv der Zeit. Auch in Deutschland beschworen die Romantiker alte, bessere Zeiten. Sie schwärmten vom Mittelalter und konvertierten zum Katholizismus. Man hatte das Gefühl, einer Zeitenwende beizuwohnen und ein Unbehagen vor dem Neuen, vor der Industrialisierung und der modernen Massengesellschaft machte sich breit. Das Altbewährte, das Konstante und das Unvergängliche wie Volk, Natur und Religion wurden hochgehalten und besungen.

      Die Leser in Europa hielten Coopers Schilderungen des Lebens in der amerikanischen Wildnis für realistisch. Sein Erfolg war unerhört, was auch damit zu tun hatte, dass er ein geschickter Geschäftsmann war. Um den Absatz seiner Bücher zu fördern, zog Cooper 1826, dem Erscheinungsjahr von Der letzte der Mohikaner, mit seiner Familie von New York nach Paris, wo er bis 1833 blieb. Hier verkehrte er in den besten gesellschaftlichen Kreisen und den exklusivsten literarischen Zirkeln. Die Franzosen hatten eine sentimentale Beziehung zu Amerika und besonders zu den Indianern in ihrer ehemaligen Kolonie Louisiana, die sie 1803 an die USA verkauft hatten. Ihr Interesse an Indianergeschichten war groß. Aber auch in Deutschland wurden die Lederstrumpferzählungen mit Begeisterung aufgenommen. Cooper ließ seine Bücher in den USA und in England gleichzeitig und kurze Zeit später in Übersetzungen in den anderen europäischen Ländern erscheinen. Auf diese Weise konnte er unautorisierte Übersetzungen und den Druck von Raubkopien verhindern, an denen er nichts verdiente. Dieses Vorgehen kreierte jedoch auch eine Art „Cooperwelle“, die über ganz Europa hinwegrollte, und die wiederum die Nachfrage an seinen Büchern in den einzelnen Ländern erhöhte.

      Dreißig deutsche Verlage wetteiferten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts darum, Coopers Werke zu verlegen. Ab 1850 wurden die Lederstrumpferzählungen für Jugendliche bearbeitet, indem man viele der langatmigen philosophischen Dialoge und ausführlichen Naturbeschreibungen herausstrich. Teilweise wurden die Texte dadurch auf die Hälfte gekürzt. Seitdem gehören Coopers Bücher zum festen Bestandteil der Kinder-und Jugendliteratur. Cooper machte seine Leser mit Worten wie Wigwam, Tomahawk, Squaw und Manitu vertraut. Er prägte Sprachbilder wie Feuerwasser und Bleichgesichter, die aus der deutschen Sprache nicht mehr wegzudenken sind. Und egal, welchem Stamm seine Indianer auch angehörten, sie beendeten ihre Reden immer mit einem bekräftigenden „Hugh” (Ich habe gesprochen).

      In den 1820er-Jahren, als die ersten Bände der Lederstrumpferzählungen erschienen, begann in den USA die Regierung unter Präsident Andrew Jackson, die Indianer aus den östlichen Territorien hinter den Mississippi zu vertreiben. Sie wurden im Indianerterritorium, das ungefähr dem heutigen Bundesstaat Oklahoma entspricht, angesiedelt. Reisende, die zufällig Zeugen dieser Vertreibung wurden, waren entsetzt. Auch deutsche Zeitungen berichteten darüber. Und viele Zeitungsleser fragten sich: Wie konnte man nur solch edle Geschöpfe, wie Cooper sie beschrieben hatte, so grausam behandeln? Insbesondere, da es sich bei den Vertriebenen nicht um wirkliche Wilde handelte, sondern um die sogenannten „fünf zivilisierten Stämme“, die Cherokee, Chickasaw, Choctaw, Muskogee (oder Creek) und Seminolen, die auf ihrem Territorium eine Regierung mit Senat und Repräsentantenhaus, Schulen, Gerichte und Zeitungen hatten und von denen nicht wenige als Plantagenbesitzer wirtschaftlich erfolgreich waren.

      Einige romantische Dichter entdeckten mit Cooper den Untergang des Indianers als ein literarisches Thema. So schrieb Adelbert von Chamisso 1833 das Gedicht Rede des alten Kriegers Bunte-Schlange im Rate der Creek Indianer.19 Seine Quelle war ein Artikel in der Berliner Zeitung, die ihn wiederum aus einer amerikanischen Zeitung übernommen hatte. In seiner Rede an den Rat erinnert Bunte-Schlange an die Geschichte der Verträge, die General Jackson mit ihnen geschlossen hatte. Als Jackson das erste Mal zu ihnen kam, sei er ein unbedeutender Soldat gewesen. Die Creek hätten die Friedenspfeife mit ihm geraucht, ihn an ihrem Feuer empfangen und ihm Land zum Jagen