Deutsche Indianer. Denise Wheeler

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Название Deutsche Indianer
Автор произведения Denise Wheeler
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783864082283



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es gelesen und Friedrich Schiller wurde 1797 durch einen darin enthaltenen Totengesang zu seinem Gedicht Nadowessische Totenklage angeregt, das Zeilen wie diese enthält: „Legt ihm unters Haupt die Beile,/Die er tapfer schwang,/ Auch des Bären fette Keule,/ Denn der Weg ist lang;/ Auch das Messer scharf geschliffen,/ das vom Feindesschopf/ Rasch, mit drei geschickten Griffen/ Schälte Haut und Schopf.“11 Richtig populär wurde Carvers Bericht allerdings erst in der Verarbeitung durch den Aufklärungspädagogen und Kinderbuchautor Joachim Campe, der ihn 1807 als vierten Band seiner Sammlung interessanter und durchgängig zweckmäßig abgefaßter Reisebeschreibungen für die Jugend herausgegeben hat. Dieses Buch wurde in viele europäische Sprachen übersetzt.

      Was Campe an den Indianern gut fand, war ihre körperliche Fitness, ihre Gesundheit und ihre scharfen Sinnesorgane. Das unterschied sie in seinen Augen wohltuend von der degenerierten Stadtjugend Europas: „Sie haben gute Zähne und ihr Atem ist so rein als die Luft, die sie einathmen, beides eine Folge ihrer natürlichen und simplen Lebensart.“12 Ihren mangelnden Sinn für Schönheit konnte man daran erkennen, wie sie sich selbst verunstalteten. Sie rissen sich die Haare bis auf eine Skalplocke aus, durchlöcherten sich Ohren und Nase und bemalten ihre Gesichter auf eine groteske Weise. Die Indianer hätten keinen Begriff von der Menschenwürde, sondern tauschten billig erzeugten Tand wie Messer und Feuerahlen gegen Sklaven ein. Auch die Frauen behandelten sie nicht gut. Vor allem aber ärgerte die Aufklärungspädagogen, mit welchem Starrsinn sie ihrem Aberglauben anhingen und wie leicht verführbar sie zu sein schienen. Die Aufklärer waren felsenfest davon überzeugt, dass die Medizinmänner bei den Indianern ihre Klientel mit billigen Taschenspielertricks und Schauspielereien bewusst hinters Licht führten. An den Vorteil oder überhaupt die Realität einer Gesellschaft ohne Hierarchien, wie sie den Indianern nachgesagt wurde, glaubte Campe ohnehin nicht. Er selbst bevorzugte eine Monarchie mit einem aufgeklärten König an der Spitze.

      Ebenso widerspüchliche Ansichten über die Indianer vertrat die Schriftstellerin Sophie La Roche in ihrem 1798 veröffentlichten Roman Erscheinungen am See Oneida. Darin geht es um Carl und Emilie Wattines, ein Ehepaar aus den besten gesellschaftlichen Kreisen Frankreichs, das vor der Französischen Revolution in die amerikanische Wildnis flieht und dort auf sich allein gestellt vier Jahre lang in Robinson-Crusoe-Manier lebt. Sie tun das recht erfolgreich, einmal weil sie erfinderisch und fleißig sind und zum anderen, weil sie zivilisatorisches Wissen in Form einer kleinen Bibliothek mit in die Wildnis genommen haben. Dort können sie nachlesen und sich Hilfe holen. Emilie wird schließlich schwanger. Kurz vor der Geburt des Kindes schwimmen die Wattines von ihrer Insel im See Oneida hinüber ans andere Ufer. Sie suchen Hilfe bei einer Gruppe von Irokesen, die dort lagern, und von denen sie hoffen, dass sie Emilie bei der Geburt beistehen können. Die Irokesen sind in der Tat gastfreundliche edle Wilde. Sie gehören zur Familie eines Obristen, der als Offizier während der Amerikanischen Revolution für die Kolonisten gekämpft, sich dann aber in seinem Wigwam zur Ruhe gesetzt hatte. Im Gespräch mit Carl Wattines gibt der Irokese folgende Begründung für seinen Entschluss, der Zivilisation den Rücken zu kehren und wieder als Indianer zu leben:

      „O, ich habe lange genug bey den Weißen gelebt, um überzeugt zu seyn, daß sie, nicht die Menschen im Walde, Wilde genannt werden sollten. Haben wir Gefängnisse und Prozesse? Sind wir nicht frei wie die Vögel, und sie Sclaven wie Hunde? Haben wir so viele Leidenschaften, Laster, Krankheiten und Kummer als sie? Nein, wir ehren das Alter und sie verachten es. Ihre brennenden Wasser machen uns oft toll, aber ich und die Meinigen sagen: das Land, wo der Tag anfängt, ist ein böses Land, die Sonne geht nur vorbey, es ist nicht so gut wie das Unsere, wo sie zur Ruhe geht. Hört ihr! ein Jesuit sagte mir in meiner Jugend, daß unser Leben zu leer sey. Ich weiß jetzo, daß der Europäer ihres zu voll ist; daß ein böser Geist sie treibt und ihnen keine Ruhe läßt, bis sie sterben.“13

      Das ist eine Kurzfassung der Idee vom glücklichen Leben im Naturzustand, wie sie schon Adario in Lahontans Buch vertreten hat und wie sie bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder aufleben wird, zum Beispiel bei dem Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung.14

      Die Irokesen in La Roches Roman zeigen, wie das von edlen Wilden zu erwarten ist, ihr Mitgefühl mit den Franzosen und bedauern zutiefst deren Schicksal, ja sie vergießen sogar Tränen. So erlebt zumindest Carl die Indianer. Seiner Frau Emilie hingegen fällt vor allem auf, wie reizlos, farblos, unbequem und schmutzig alles bei den Indianern ist. Welch ein Unterschied zu der Idylle, die sich die Wattines auf ihrer Insel geschaffen haben. Sie haben ein hübsches Häuschen, um das Emilie ein Mosaik aus Muscheln gelegt hat. In ihrem Garten gibt es Gemüse, Obstbäume und Blumenrabatten. Sie haben Wege angelegt und Gedenktafeln aufgestellt, die sie an geliebte Freunde und Verwandte erinnern. Von Bänken aus kann man die Aussicht auf den See genießen. Das alles scheinen die Indianer nicht zu kennen. Wie schon Campe und Schiller festgestellt hatten: Den Wilden fehlt der Sinn für das Erhabene und das Schöne. Gerade das aber mache das Leben doch erst lebenswert, meint Emilie. Das Schlimmste, was einem passieren kann, sagt sie im Gespräch mit dem Erzähler des Romans, sei, kulturell auf die Stufe des Indianers herabzusinken, lieber würde sie sterben. „Going native“ ist zu dieser Zeit völlig undenkbar.

      Wie man hingegen aus den armen Wilden nützliche und zufriedene Zivilisierte macht, das schilderte das beliebteste Kinderbuch des 19. Jahrhunderts: Robinson der Jüngere. Verfasst hat es wiederum Joachim Campe. Es ist eine Adaption des Romans Robinson Crusoe von Daniel Defoe. Erstmals 1779 erschienen, fehlte es in den folgenden 100 Jahren in keinem bürgerlichen Haushalt. Dieses Buch nährte die Idee, dass die Deutschen, die in Wirklichkeit keinen Anteil an der Kolonialisierung der Welt hatten, diese Aufgabe besser gelöst hätten als die Kolonialmächte England und Spanien. Sie wären nicht mit Feuer und Schwert gegen die Eingeborenen vorgegangen, sondern hätten ihnen vor allem Erziehung und Bildung angedeihen lassen.

      Bei Campe ist Robinson ein Hamburger Kaufmannssohn, der aus purer Leichtsinnigkeit sein Elternhaus verlässt und schließlich als Schiffbrüchiger auf einer Insel in der Karibik endet. Im Gegensatz zu Defoes Robinson kann er nichts von dem Schiffswrack retten, sondern er muss sich nur auf seine Erfindungsgabe und sein Geschick verlassen. Alles, was er zum Leben braucht, muss er selbst herstellen. Ihm steht nur zur Verfügung, was die Natur der Insel bietet. Im Zeitraffer durchläuft Robinson die Stadien der Menschheitsentwicklung vom Sammler und Jäger hin zum Landwirt und Viehzüchter. Auf diese Weise wird auch dem Leser bewiesen, dass Robinson dem Wilden, den er dann trifft und den er Freitag nennt, auf natürliche Weise überlegen ist.

      Weil Robinson sich nach menschlicher Gesellschaft sehnt, beginnt er, den Kariben zu zivilisieren und ihn nach seinem Bild zu formen. Er bringt Freitag zunächst bei, sich zu kleiden, zu arbeiten und Deutsch zu sprechen. Am Ende bekehrt er ihn zum Christentum und beginnt mit seiner moralischen Erziehung. Robinson ist kein typischer Kolonisator. Er übernimmt die Erziehung Freitags nicht etwa aus Eigennutz oder um sich zu bereichern. Das einzige, was er gewinnt und von der Insel mit nach Hause nimmt, ist einen guten Freund und einen reichen Schatz an Erfahrungen. Freitag ist am Ende so assimiliert, dass er mit Robinson nach Hamburg zieht, wo ihn niemand als Rothaut wahrnimmt. Beide treten in das Handelshaus von Robinsons Vater ein und betreiben nebenher eine Tischlerwerkstatt, weil sie so gern mit ihren Händen arbeiten – anstatt Profit aus dem Handel zu ziehen. Robinson heiratet nicht und gründet auch keine Familie. Mit Freitag lebt er in „Frieden, Gesundheit und nützlicher Geschäftigkeit“, wie es bei Campe heißt, bis ins hohe Alter zusammen. In Deutschland kannte fast jedes Kind die Geschichte dieser platonischen Männerfreundschaft zwischen dem Deutschen und seinem sanften Indianerfreund. Eine Idee, die einhundert Jahre später mit der Freundschaft und der Blutsbrüderschaft zwischen Old Shatterhand und Winnetou noch zu viel größerer Popularität kommen sollte.

Abbildung2

      Der letzte Mohikaner. Coopers Roman und die Folgen

      In einer der spannendsten Szenen des Romans Der letzte der Mohikaner von James Fenimore Cooper steht Unkas als Gefangener der Delawaren am Marterpfahl und soll verbrannt werden. Ein junger Delaware springt auf ihn zu, reißt ihm das Jagdhemd vom Leib und erstarrt in ungläubigem Erstaunen. Was er sieht, ist eine Tätowierung auf Unkas Brust: eine blaue Schildkröte,