Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen. Hans Zippert

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Название Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen
Автор произведения Hans Zippert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870721



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Millionen Cabrios und warten, dass man mal nachguckt. Es werden täglich, stündlich mehr. Sie nehmen mit Sicherheit schon eine Fläche ein, die so groß wie das Saarland ist, wahrscheinlich ist längst das ganze Saarland von Cabrios bedeckt, ich weiß es nicht, ich war länger nicht mehr dort.

      Warum bringe ich einfach nicht den Mut auf und schaue mal nach? Natürlich ist es Blödsinn, im November mit dem Cabrio durch die Gegend zu fahren, das wirkt lächerlich, vor allem im Saarland. Ich hätte trotzdem längst mal nachgucken müssen, sie schreiben ja extra es wäre »kein Scherz«. Wenn es ein Scherz wäre, dann hätten sie geschrieben »Ein Scherz: Sie haben gewonnen«. Aber das haben sie nicht geschrieben und deshalb muss es stimmen.

      Wenn ich aber jetzt anfange, nachzugucken und es stellt sich raus, dass ich ein Opel Cabrio gewonnen habe, dann muss ich ins Saarland fahren, um mir meinen Gewinn abzuholen. Da führt man mich auf eine sehr hohe Aussichtsplattform und zeigt mir bis zum Horizont Cabrios. In allen Farben. Und hinter dem Horizont geht es weiter. Die Gewinnspielveranstalter sehen mich strafend an. »Und welcher ist meiner?«, frage ich schnell, um ihren Blicken zu entgehen. Sie deuten nach hinten, ganz weit nach hinten, ans Ende des Saarlands. Da steht mein Cabrio. Dann händigen sie mir meinen Wagenschlüssel aus und dazu noch drei Millionen andere Zündschlüssel, von den Cabrios, die vor meinem Cabrio stehen. Bevor ich an mein Cabrio herankomme, muss ich die erst alle wegfahren. Und das ist dann der Moment, wo ich schweißgebadet aufwache.

       Tierliebe

      Als das reizendste, anmutigste und perfekteste Wesen in Gottes Schöpfung kann zweifellos das Kaninchen angesehen werden. Es ist schön an Gestalt, von bescheidener Art, lebt vegetarisch und verhält sich vor allem ruhig. Es schleimt sich nicht an den Menschen heran wie der Hund und frisst auch keine kleinen Vögel, wie die völlig überschätzte Katze. Das Kaninchen lässt sich nicht von Rentnern durch die Straßen zerren, um auf öffentlichen Gehwegen seine Notdurft zu verrichten. Es ist nicht stachelig, glitschig oder giftig, es gibt sich weich, anschmiegsam und freundlich. Das Kaninchen sitzt in seinem Stall und beobachtet. Es beobachtet, frisst und pflanzt sich fort – wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt. Sonst beobachtet und frisst es nur.

      Man kann einen Menschen sehr gut danach beurteilen, wie er auf den Anblick eines Kaninchens im Stall reagiert. Sagt er »Mmmh, das ist aber ein leckerer Braten«, dann müssen wir mit diesem Subjekt keinen weiteren Kontakt mehr pflegen. Selbstverständlich lässt sich ein Kaninchen auch schmackhaft zubereiten, aber erstens produziert man sich nicht vor einem Kaninchen als Komiker und zweitens zeugt so eine Bemerkung von einer erschreckenden Herzensrohheit.

      Ich muss es wissen, denn zwei Meter vor meinem Küchenfenster sitzt ein weißes Kaninchen. Es hat schwarze Augen, die von einem schwarzen Fellring umrandet werden. Wie das Kaninchen heißt, hat es mir nicht verraten – meine Tochter gab ihm den Namen Tinka, was eigentlich ein Pferdename ist, woraus man schließen kann, dass meine Tochter ursprünglich ein anderes Tier haben wollte. Doch wer weiß schon, wie Kaninchen wirklich heißen? Horst, Heinz, Erwin oder Joe, Jim oder Shorty? Merall, Chantal oder Senta? Vielleicht heißen sie auch Batz, Springer und Fellchen? Die Cree-Indianer nennen das Kaninchen Shwan-Sai-Te, das bedeutet soviel wie »Tier, dessen Namen man in Deutschland nicht kennt«. In China bezeichnet man das Kaninchen als »Shen-Take« was soviel heißt wie »Nr. 37 mit Reis oder Glasnudeln«.

      Man weiß in Deutschland viel mehr über Wale oder Haie als über Kaninchen. Aber kein Pottwal würde jemals zwei Meter vor unserem Küchenfenster herumliegen und uns schöne Augen machen. Das Kaninchen aber schaut mir mit seinen tiefschwarzen Augen aufmerksam zu, während ich einen Apfel esse oder Zeitung lese. Sobald die Familie eine Mahlzeit einnimmt, fängt auch das Kaninchen an zu essen. Das zeugt von einem erstaunlichen Taktgefühl. Niemals schlingt das Ka­ninchen seine Nahrung geräuschvoll sabbernd in sich hinein wie ein Golden Retriever, es knabbert bedächtig vor sich hin. Mit einem stinkenden Pansen kann man ihm überhaupt keine Freude machen. Ein Kaninchen wirkt immer interessiert. Dabei mischt sich das Kaninchen aber nie ein, so wie es andere Familienmitglieder ständig tun, es stellt keine Fragen und macht auch keine unerwünschten Vorschläge, obwohl das Kaninchen höchstwahrscheinlich vieles besser weiß. Es kann mit zwei Ohren mehr als mit tausend Worten sagen. Es kann diese Ohren sogar unabhängig voneinander bewegen. Das Kaninchen ist auch keineswegs feige, es kann fauchen, beißen und kratzen. Das Kaninchen namens Tinka jagt Katzen, die vor seinem Stall herumlungern, einen heillosen Schreck ein, wir sind überzeugt, es könnte auch Hunde in die Flucht schlagen. Kaninchen sind für ihre Sprungkraft bekannt. Sie können Hindernisse überspringen, die ihre Körpergröße um ein mehrfaches übersteigen. Dafür hat das Kaninchen sogar seinen eigenen Leistungssport namens »Kaninhop«.

      Tinka ist 10½ Jahre alt, sie wurde entgegen sämtlichen Empfehlungen alleine gehalten, hat einen relativ kleinen Auslauf und wurde nie geimpft. Sie bekommt sehr unregelmäßig zu fressen, manchmal wache ich nachts auf und überlege, wer ihr wohl zuletzt etwas gebracht hat, und sehr häufig bin ich nachts um drei nur mit einem Schlafanzug bekleidet durch den Garten gewankt und habe einem heißhungrigen Kaninchen Apfelschnitze und Brotkanten gebracht. Ich glaube, diese sehr unregelmäßige Versorgung hat mit zu seinem hohen Alter beigetragen. Das Tier wird quasi unter naturähnlichen Bedingungen gehalten, denn draußen gibt es ja nicht nur Kännchen, sondern manchmal eben gar nichts. Genau betrachtet habe ich in den letzten neun Jahren mehr Zeit mit dem Kaninchen als mit jedem anderen Familienmitglied verbracht. Tinka draußen in ihrem Stall und ich in meinem Laufrad vor dem Computer.

      Das Kaninchen sollte ein Vorbild für unser ganzes Volk sein. Aber das deutsche Wappentier ist der Adler, ein vollkommen überschätzter Vogel, der sich hauptsächlich von Kaninchen ernährt. Ob ein Staat, der so viel auf seine pazifistischen Grundwerte hält, sich ausgerechnet mit einem aggressiven und brutalen Tier wie dem Adler schmücken sollte, bezweifele ich. Würde im Reichstag stattdessen das Bundeskaninchen hängen, wäre das ein ganz anderes Signal an die Völker der Welt.

      Im Gegensatz zu seinen politischen Vertretern, bekennt sich das deutsche Volk entschlossen und eindrucksvoll zum Kaninchen. Es gibt allein 185.000 offiziell registrierte Mitglieder im Zentralverband Deutscher Kaninchenzüchter (ZDK). Kein anderes Volk auf der Welt hat sich so vehement der Aufzucht, Pflege und Veredelung dieses Tieres verschrieben. Etwa 2½ Millionen Kaninchen leben überirdisch in Ställen, Ausläufen und Transportboxen. Noch mal soviele ihrer wilden Verwandten leben unterirdisch und haben Deutschland mit einem komplexen System von Gängen und Schlafhöhlen untergraben. Diese architektonische Meisterleistung wird natürlich nirgendwo gewürdigt und Kaninchen erwarten das auch gar nicht.

      Die ZDK-Mitglieder züchten über 70 anerkannte Rassen, darunter finden sich so fantastische Gattungen wie »Deutsche Riesenschecken«, »Weiße Hotot«, »Blaugraue Wiener«, »Sachsengold«, »Russen-Rex«, »Kastanienbraune Lothringer« und der etwas bedrohlich wirkende »Separator«. Ein Tier, das sich zu DDR-Zeiten bestimmt großer Beliebtheit erfreute. Wahrscheinlich kann das Kaninchen jede beliebige Gestalt annehmen. Über die »Deutsche Riesenschecke« lesen wir: »Das Mindestgewicht dieser großen Rasse liegt bei 5kg, das Normalgewicht über 6kg, ein Höchstgewicht gibt es nicht.« Eine 30t schwere Riesenschecke wäre also im Bereich des Möglichen, ein Tier, das ganz Ostdeutschland endgültig verwüsten könnte. Aber das Kaninchen zieht diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht, weil es im Grunde seines Herzens friedlich ist. Durch die intensive Kaninchenzucht leistet Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung des Weltfriedens. Würden alle Länder der Erde statt Waffen Kaninchenställe bauen, dann gäbe es auf der Welt möglicherweise endlich dauerhaften Waffenstillstand, auf jeden Fall aber sehr viel mehr Kaninchenställe.

Foto

      Dank übertriebener Tierliebe erreichen manche Kaninchen eine mehr als stattliche Größe.

       Polgarrhythmusstörungen

      Gestern habe ich etwas getan, was ich eigentlich nie im Leben tun wollte. Es geschah bei Rewe, wo ich normalerweise Tomaten, Mozzarella, Butter oder Chips mit Essiggeschmack einkaufe. Aber gestern habe ich mir von dort einen Polgar mitgebracht. Der stand gar nicht auf meiner Einkaufsliste, aber weil er da so einladend im Kassenbereich