Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen. Hans Zippert

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Название Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen
Автор произведения Hans Zippert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870721



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Bergen voll ungeordeter Bewirtungsquittungen antreffen. Meine Familie soll einfach nur den Schmerz oder meinetwegen auch die Freude über mein Ableben auskosten dürfen. Tatsächlich muss man wohl eine Familie haben, um sich in derart schwachsinnigen Gedankenbahnen zu bewegen.

      Es ist allerdings keineswegs so, dass mein gesamter Tagesablauf ein einziges memento mori carpe diem wäre. Ich bin durchaus in der Lage, den Abwasch zu erledigen, ohne danach zu denken: wenn ich jetzt stürbe, wären wenigstens die Töpfe sauber.

      Aber ist denn nicht doch der Großteil unseres Lebens eine einzige Nachlassvorbereitung? Meine Mutter wirft in Erwartung eines baldigen Ablebens ständig größere Teile ihres Hausstandes in den Müll oder ich muss ihn in die Altkleidersammlung transportieren: »Damit ihr nicht so viel zum Wegwerfen habt.«

      Das geht jetzt seit beinahe 15 Jahren so, demnächst wird meine Mutter 85. Vor kurzem warf ich zehn Jahrgänge der Zeitschrift Mojo ins Altpapier. Ich hatte sie getreulich gesammelt, weil sie ein hervorragendes Nach­schlagewerk der Popmusik abgegeben hätte, aber in Ermangelung eines Registers war es dann doch nur ein Haufen Papier, der zuviel Platz einnahm. Nach der Entsorgung war ich zwar noch nicht zum Sterben bereit, aber erleichtert.

      Dem Tode noch näher fühlte ich mich, als ich meine Platten endlich komplett alphabetisch geordnet hatte. Sogar die Sonderabteilungen »Bra­silien«, »Frank­reich« und »Bubblegum«. Nur ein kleiner Stapel von etwa fünfzig Platten macht mir Sorgen, in ihm stehen die Neuerwerbungen, die ich noch nicht oder nur einmal gehört habe. Ich ordne eine Platte nämlich erst dann endgültig ein, wenn ich sie zum zweiten Mal abgespielt habe. Diesen ungeordneten Haufen müsste ich meiner Tochter hinterlassen, denn ich schätze, dass sie sich halbwegs ernsthaft mit der Verwaltung dieses Nachlassobjekts beschäftigen würde. Vielleicht sollte ich es wie Peter Handke oder Ror Wolf machen und meine Plattensammlung schon zu Lebzeiten ans Literaturarchiv nach Marbach verkaufen, aber ich befürchte, die wissen in Marbach gar nicht, wer ich bin und deshalb muss ich das Ganze selber katalogisieren. Das steht mir nämlich auch noch bevor. Ich besitze einige Platten u.a. von Leo Kottke, aber auch von den Monkees doppelt, weil ich den Überblick verloren habe. So konnte ich mich anfangs zweimal freuen, musste mich am Ende aber auch einmal ärgern und mir Gedanken über Alzheimer machen. In Marbach würden kundige Archivare eingreifen. Wenn ich zweifelnd im Plattengeschäft stünde und überlegte, was ich eigentlich schon alles von Brinsley Schwarz habe, dann würde ein Anruf in Marbach genügen und eine heisere Fistelstimme betete mir vor: »Silver Pistol«, »Despite it all«, »Nervous on the road« und »Playing new favourites«. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Archivare in Marbach heisere Fistelstimmen haben.

      Warum gibt es noch nicht ein »Archiv für literarisch so gut wie unbedeutende Autoren«? Irgendeine staatliche Stelle, die meinen Mist einlagert und mit Laufnummern versieht? Bis das geschaffen worden ist, bleibt leider noch dieses chaotische Resthäufchen, das ich, so gerne ich das auch tun würde, auf keinen Fall alphabetisch vorordnen kann, denn hier müssen die Platten so stehen, wie sie reingekommen sind, die neuen vorne, die älteren hinten, sonst verliere ich den Bezug zu ihnen.

      Falls also der Tod demnächst vor der Tür steht, dann werde ich versuchen, noch ein bisschen Zeit rauszuschinden, um das Ordnungswerk zu vollbringen. In den folgenden Bereichen aber wird mich der Tod nicht unvorbereitet antreffen: Ich habe den Staubsaugerbeutel gewechselt, den gelben Sack entsorgt, die Winterreifen aufgezogen, das Wasser in der Heizung nachgefüllt, meine Publikationen an die VG-Wort gemeldet, den Tannenbaum abgeschmückt und an die Straße gelegt, alle Kugeln nach Farben sortiert in die entsprechenden Kästen eingeordnet und diesen Text fertiggestellt.

Foto

      100 Prozent aller Personen, die ihren letzten Willen aufgesetzt haben, sind später gestorben. Das Verfassen von Testamenten gilt deshalb als Todesursache Nr. 1

       Eitelkeit

      Wenn es einem nicht so gut geht, wenn man sich klein, unbedeutend, überflüssig fühlt, wenn man schon weiß, dass man ziemlich verhauen aussieht, ohne dafür auch nur in den Spiegel gucken zu müssen, dann hat man wirklich starken Trost nötig. Da braucht man Zuspruch und aufbauende Worte. Wo aber sollen die plötzlich herkommen?

      Wer auf das falsche Verständnis von Gesprächstherapeuten, Pfarrern und Personal Coachern verzichten kann, der hat nicht viele Alternativen. Mutti wäre eine Möglichkeit, aber am praktischsten scheint es doch in solchen Fällen, wenn man E-Bay-Mitglied ist.

      Dann ruft man einfach die Rubrik »Mein ebay« auf und schaut sich sein Bewertungsprofil an. Also, ich mache das regelmäßig und fühle mich hinterher jedesmal großartig. Mein Bewertungsprofil ist aber auch großartig: »100 Prozent positiv«. Das hat nicht jeder. 157 Bewertungen und alle positiv.

      Im wirklichen Leben würde das bedeuten, dass die letzten 157 Menschen, denen man begegnet ist, einen alle gut gefunden haben. Was heißt hier gut, supergut natürlich, denn so urteilt man bei E-Bay über mich:

      »Super! Perfekter E-Bay-Partner! Danke!« oder »ÄUSSERST EMPFEH­LENSWERT – DANKE!!!« oder »Typisch E-ba­yer der Sonderklasse«, »Spitze! So macht E-Bay Spaß«, »Hat alles super geklappt« und »alles bestens, jederzeit gerne wieder, dankeschön«, »Alles super – nix lief schief – sowas nennt man positiv«.

      Und es sind nicht nur Deutsche, die mich gut finden: »Excellent buyer, great communication«, »Smooth transaction«, »Great E-Bay-member«, »Très rapide sans soucis sans problème«, »je le recommande«, rufen mir meine ausländischen Bewunderer hinterher.

      In diesen Lobeshymnen kann ich baden, keiner hält so große Stücke auf mich wie meine E-Bay-Partner und sie haben auch allen Grund dazu. Denn eigentlich finden diese ganzen vollmundigen Lobesredner nur eins an mir gut: dass ich so schnell mit der Kohle rüberrücke. Ich bin nämlich ausschließlich Käufer und bezahle sofort, ich beklage mich nie, selbst wenn die Schallplatte doch etwas mehr knistert, als es die Kategorie »mint« eigentlich vorschreibt. Mir geht es schon längst nicht mehr um die Ware, sondern ich bin süchtig nach Lob. »Danke für die perfekte Kaufabwicklung«, das ist es, was ich hören will, und auch »Turbozahlung – Spitze!«, baut mich wieder richtig auf.

      Ich finde, so etwas sollte die Kirche auch einführen. Ein Bewertungsprofil zu Lebzeiten, damit man weiß, zu wie viel Prozent man schon im Himmel ist. Da liest man dann: »Äußerst empfehlenswerter Gläubiger« oder »Superbeter! Spitzenbüßer – so macht Glauben Spaß!« und natürlich: »Reuiger Sünder der Spitzenklasse – gerne wieder«.

       Misstrauen

      Regelmäßig wache ich mitten in der Nacht auf. Schweißgebadet natürlich, weil man mitten in der Nacht meistens schweißgebadet aufwacht oder von einem unerklärlichen Geräusch. Ich höre aber kein Geräusche, wenn ich welche gehört hätte, dann wären es Beißgeräusche gewesen. Die wären von den Gewissensbissen gekommen, die ich seit einigen Wochen habe. Ich weiß gar nicht mehr, wann es angefangen hat, ich schenkte der Sache nämlich zunächst keine Beachtung. Wahrscheinlich fing es so an: Immer wenn ich meine Emails aufrief, tauchte ein Banner auf: »Kein Scherz, Sie haben gewonnen. Schauen Sie sofort nach, um welches dieser Cabrios es sich handelt: Audi TT Roadster, BMW 3, Opel GT.«

      Niemals habe ich auch nur den Versuch unternommen, diese Benachrichtigungen anzuklicken, weil ich dem Internet grundsätzlich misstraue, aber bestimmt erschienen sie über tausendmal. Ich rufe nämlich sehr häufig meine Mails auf, weil ich hoffe, verlockende Angebote von Verlegern, Filmproduzenten oder wenigstens Frauen zu bekommen. Meistens werde ich nur darüber informiert, dass ein neuer Film anläuft, dass bei Amazon CDs der Bee Gees billiger geworden sind oder dass ich mein Geschlechtsorgan in zwei Wochen um 40 Prozent verlängern könnte. Ich habe aber nur ein sehr kleines Arbeitszimmer, deshalb mache ich von diesem Angebot lieber keinen Gebrauch. Genau wie ich niemals nachgucke, welches der drei Cabrios ich gewonnen habe. Tausendmal hat man mir ein Cabrio angeboten und tausendmal habe ich es ausgeschlagen. Jetzt stehen irgendwo tausend Cabrios herum oder vielmehr dreitausend, denn die Gewinnspielveranstalter konnten ja nicht wissen, welches ich mir aussuchen würde. Bestimmt