Название | Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen |
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Автор произведения | Hans Zippert |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870721 |
Krebs
Vor einigen Wochen hatte ich Krebs. Keine großartige Geschichte, das kommt bei mir öfter vor. Tropft die Nase, schmerzt das Knie oder der Ellenbogen, immer denke ich zuerst an Krebs. Gehe ich zum Zahnarzt, bin ich innerlich schon darauf gefasst, dass er einen kindskopfgroßen Tumor in der Mundhöhle entdecken wird. Ich überlege mir, ob ich nach einer Kieferamputation noch in der Öffentlichkeit auftreten könnte. Oder ob ich es vielleicht sogar sollte. »Der erste Roman eines kieferlosen Schriftstellers« würde mein Verlag stolz auf den Buchumschlag drucken lassen. Natürlich nur, wenn ich einen Roman schriebe, aber was soll man auch sonst tun ohne Kiefer. Der Zahnarzt schaute lange und konzentriert in meiner Mundhöhle umher, aber er konnte den Tumor nicht finden. Er stellte jedoch fest, ich hätte »das Zahnfleisch eines starken Rauchers«. Das war keineswegs als Lob gemeint. Da ich nie geraucht habe, vermutete er die Ursache für meine Parodontose im Magen-Darmbereich und empfahl mir den Besuch einer Reihe von Kollegen anderer Fachgebiete. Unter anderem sollte ich unbedingt in eine Schlauchschluckerei gehen, um eine Magenspiegelung zu machen. Da in meinem beruflichen Umfeld in letzter Zeit auffällig viele Personen an Krebs gestorben sind, war mir klar, was man bei mir finden würde. Ich dachte daran, dass ich ohne Haare sicher noch viel unvorteilhafter wirken dürfte, was meine Kinder wohl mit meiner Plattensammlung machen und wie wohl der Neue aussehen könnte, den meine Frau nach meiner Einäscherung kennenlernen würde.
Eine Schlauchschluckerei wird von einem sogenannten Internisten geleitet, der über gewisse Überredungskünste verfügen sollte. Meiner erklärte mir, es gebe zwei Methoden des Schlauchschluckens. Bei der einen würde er mir eine Beruhigungsspritze verpassen, ich würde augenblicklich in einen ganz angenehmen Dämmerzustand verfallen und den Schlauch ohne jeden Widerstand schlucken. Viele Patienten sagen, so erzählte er geradezu begeistert, sie hätten schon lange nicht mehr so gut geschlafen. Allerdings sei ich dann für etwa vier Stunden außer Gefecht gesetzt und müsse mit dem Taxi nach Hause fahren. Ich hatte aber noch zu arbeiten und war außerdem mit dem Fahrrad zur Schlauchschluckerei gefahren. Deshalb musste ich die zweite Methode in Erwägung ziehen, die er eher ruppig erklärte. Er würde meinen Rachenraum mit einem Spray betäuben, dann den Schlauch immer weiter in meinen Rachenraum einführen, bis der Schluckreflex einsetzte und ich das Ding praktisch ganz automatisch bis in den Zwölffingerdarm versenken würde. Die Prozedur sei natürlich von allerlei unschönen Würgereizen begleitet. Der Internist hatte selber noch nie einen Schlauch verschluckt, aber wenn er es müsste, so sagte er, würde er es wohl ohne Beruhigungsspritze tun. Das gab den endgültigen Ausschlag. Auf keinen Fall wollte ich mich vor diesem Mann als sediertes Weichei bloßstellen und sagte mannhaft: »Keine Spritze.«
Daraufhin führte er mich aus seinem gemütlich und geschmackvoll eingerichteten Sprechzimmer in einen anderen Raum. Zwei Assistentinnen warteten bereits auf mich, ich sah deutlich, wie sie den Mund verzogen, als sie hörten, ich wolle es »ohne« tun. Plötzlich hatten alle grüne Kittel sowie einen Mundschutz an und ich lag in unstabiler Seitenlage auf einem OP-Tisch. Dann sah ich zum ersten Mal den Schlauch. Er war schwarz wie eine Lakritzstange und hatte beinahe den Durchmesser eines handelsüblichen Gartenschlauchs. Es war ein kluger Schachzug des Internisten mich erst jetzt mit dem Ding zu konfrontieren, denn ich konnte nicht mehr weg. Eine Assistentin steckte mir ein Mundstück aus Plastik zwischen die Zähne, damit ich den Schlauch, der bestimmt teuer war, nicht zerbeißen konnte, und dann drückten mich beide mit aller Kraft auf die Liege. Weitere Einzelheiten will ich aussparen, ich kann nur sagen, dass zwei Assistentinnen ziemlich knapp bemessen sind, um einen konvulsivisch zuckenden und eruptiv würgenden Hypochonder ruhig zu stellen, aber es gelang ihnen irgendwie. Der Internist entnahm zwei Proben aus meinem Inneren, schaute sich gründlich im Zwölffingerdarm um und nach weniger als fünf Minuten war alles vorbei. Ich wurde für meinen Mut gelobt, die beiden Assistentinnen mussten ihre schweißnasse Kleidung wechseln. Der Internist teilte mir mit, es sei alles in Ordnung und gab den Schlauch in die Reinigung. Ich hatte den Krebs besiegt.
Warum ich das Zahnfleisch eines starken Rauchers habe, ist damit immer noch nicht geklärt. Vielleicht habe ich in meiner Jugend zuviele Folgen der Serie »Rauchende Colts« gesehen.
Verdrängung
Fast täglich findet man in Deutschland Mitgliedsausweise, die dann ihren ehemaligen Besitzern viel Ärger bereiten. Irgendwann stellt sich immer heraus, dass irgendwie jeder in der NSDAP war, u.a. Dieter Hildebrandt, Martin Walser, Udo Jürgens und Klaus-Jürgen Wussow. Meist wurden sie ohne ihr Wissen in die Partei aufgenommen. Dieter Hildebrandt sagte, möglicherweise hätte seine Mutter den Antrag für ihn unterschrieben, und ich glaube ihm das. Sicherheitshalber möchte ich schon jetzt meine Mitgliedschaften offen legen, bevor ich später in Erklärungsnot komme.
Ich persönlich habe nie die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt, soviel ist sicher. Sollte dennoch ein entsprechendes Dokument gefunden werden, dann war es meine Mutter oder die von Dieter Hildebrandt. Ich bin nie Mitglied einer Partei gewesen, das kann man mir nicht vorwerfen. Ich war allerdings zwei Jahre lang bei Verdi, weil ich hoffte, dass die mehr Lohn für mich erkämpfen würden. Sobald mir klar war, dass Verdi nichts für mich erreichen konnte, war der Klassenkampf für mich erledigt.
Sechs Jahre gehörte ich der »Prisoner Appreciation Society« an, der zweitgrößten Fernsehserienfangemeinschaft – nach Star-Trek natürlich. Diese Gesellschaft hat sich der Verehrung der 17teiligen Serie »The Prisoner« verschrieben, die bei uns »No.6« hieß. Patrick McGoohan spielte die Hauptrolle, und sollte irgendwann mal rauskommen, dass er ein verkappter Nazi gewesen ist, wäre ich natürlich dran.
Gespendet habe ich meist direkt in Hüte und Pappteller oder an Medico International. Einmal aber gab ich dem Ägyptischen Museum in Kairo hundert Dollar und übernahm dafür eine Tiermumienpatenschaft. Für das Geld bekam ich die Patenschaft für eine viertel Ibismumie übertragen und vor allem eine schöne Urkunde. Das könnte mir beim Jüngsten Gericht Probleme bringen, weil wir wahrscheinlich nicht auf der Welt sind, um unser Geld für den Erhalt von Tiermumien zu verschwenden. Mich hat damals aber vor allem das vollkommen Sinnlose der Spende begeistert.
Ich gehörte keinem Sportverein an, war niemals bei Greenpeace oder Amnesty International, aber auch nicht bei der Stasi, es sei denn meine Mutter hätte dort für mich irgendwas unterschrieben. Mitglied der evangelischen Kirche blieb ich immerhin, bis ich als Wehrdienstverweigerer anerkannt war.
Mit sieben Jahren abonnierte ich die Zeitschrift Max und Molly, die von Rolf Kauka herausgegeben wurde. Als der das Blatt einstellte, abonnierte ich Fix und Foxi, und zwar vor allem wegen der »IWM-Kartei«. IWM stand für »Ich weiß mehr« und ich befürchte, daraus kann man mir wohl doch noch einen Strick drehen. Denn eigentlich handelte es sich da um eine Art Stasi-Aufbauorganisation.
Obwohl eigentlich nur allgemein zugängliches Wissen aus Naturwissenschaft, Technik und Kultur vermittelt wurde, ging es wahrscheinlich darum, Agenten, Spione, Denunzianten und Informanten heranzuzüchten. »IWM« klingt ja nicht umsonst beinahe wie »IM«.
Unterschrieben hat den Fix-und-Foxi-Aufnahmeantrag übrigens meine Mutter.
Die meisten jugendlichen Straftäter sind vorher Kinder gewesen. Wissenschaftler sehen da durchaus Zusammenhänge.
Erektile Dysfunktion
Man liest und hört es fast täglich. Frauen wünschen sich einen Partner, der zuhören kann, gepflegte Hände hat, und er muss auch gut im Bett sein. Wenn ich so etwas lese, werde ich immer ganz traurig, denn ich bin nicht besonders gut im Bett. Das war ich eigentlich noch nie.