Название | Die Abenteuer der Missis Jö |
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Автор произведения | Friedhelm Kändler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870929 |
Herr Sonnenbein war verdutzt. »Wofür?« »Na ja, dass es nicht einfach ist. Also, ich habe keinen mehr.« »Ach so.« Herr Sonnenbein breitete seinen Plan aus, wie ein Feldherr vor Beginn einer großen Schlacht.
»Es mag für den einen oder anderen nicht zu den bedeutendsten Berufen gehören«, begann er seine Ausführungen, »und man könnte auch meinen, dass jeder geeignet sei, die Post auszutragen, auch ohne entsprechende Ausbildung...« Er zögerte. »Wobei Sie ja ein Diplom haben.«
Frau Sonnenbein rauschte herein, brachte Geschirr. »Mit Milch, Zucker?« Herr de Mon nickte. »Beides?« »Gerne.« Herr Sonnenbein wartete geduldig. »Lass dich nicht stören, Werner.« Sie stellte das Geschirr ab, forderte: »Und nehmen Sie einen Keks«, dann segelte sie wieder davon.
Herr de Mon gehorchte. Herr Sonnenbein wies auf seinen Plan. »Wenn Sie einmal schauen möchten...«
Es war eine faszinierende, eigene Welt, die er nun seinem Besuch eröffnete, die Welt seiner Route. Herr de Mon erfuhr von den Bewohnern des Bezirks, in dem Herr Sonnenbein seine Post austeilte, von Langschläfern, bei denen man nicht klingeln müsse, von Nebeneingängen und unterschiedlichen Hunden hinter Gattern und Wohnungstüren, von älteren Menschen, denen Herr Sonnenbein die Post ins Stockwerk brachte, was keine Pflicht sei, aber eine Menschenfreude, von Griesgramen, und es sei immer gut, höflich zu bleiben, man könne ja schimpfen, wenn die Tür wieder zu sei, von besseren Frikadellen bei dem einem Geschäft und dem wohl unangemeldeten Gewerbe im Fotoladen, von verklemmten Briefkästen und einer Haustür, die nicht summte.
Frau Sonnenbein kam dazu und mühte sich, nur selten zu unterbrechen, reichte dann und wann die Keksschale, die sich zusehends leerte, schenkte Kaffee nach, freute sich über den Durst des Besuchers und ging, eine zweite Kanne zu kochen. Als sie wieder kam, hatte sie das Kleid gewechselt, von blau zu getupft, nur mal zur Probe, für den Fall, dass es trotz Ansage nicht regnen würde.
»Ich bin immer so aufgeregt, vorher«, erzählte sie, drehte sich einmal im Kreis, dann setzte sie sich zu den Herren, plauderte fröhlich: »Werner ist ja nicht so einer, der gerne reist, aber ich muss einfach, ich kann nicht immer nur zu Hause sitzen, da fehlt mir das Abenteuer.« Worauf Herr Sonnenbein unwillig nickte, auf seinen Plan wies und ausführte, weshalb es besser sei, erst in die Weshaltstraße zu gehen und dann in die Grubengasse einzubiegen, nur so könne man vermeiden, gleich zu Beginn in der Besenstraße auszuliefern.
Nun wurde es geheimnisvoll. »Was mag es mit dieser Besenstraße wohl auf sich haben?« leitete Herr Sonnenbein ein und bekam ein Knurren zur Antwort. Herr de Mons Magen hatte sich gemeldet. Frau Sonnenbein stand sofort auf, schüttelte den Kopf, klagte: »Warum sagen Sie denn nichts?« »Entschuldigung«, murmelte Herr de Mon und bekam einen weiteren Keks, den vorletzten. »Morgen sind wir sowieso weg«, meinte Frau Sonnenbein, »also schmier ich jetzt die Reste.« Sie stand auf, fragte: »Oder, Werner?«, wartete keine Antwort ab und kümmerte sich um Schnittchen.
»Man kann die Welt berechnen«, hob Herr Sonnenbein neu an, »aber es gibt Grenzen.« Er beugte sich vor, tippte mit dem Finger auf die Besenstraße. »Sie heißt Missis Jö. Mehr steht auch nicht auf den Briefen. Kein Vorname. Und es ist äußerst selten, dass sie Post erhält. Aber sie verlangt Post. Als sei ich dafür zuständig, als sei ich es, der die Post schreiben würde.«
Er schüttelte den Kopf, sagte: »Natürlich weiß sie es besser. Und es ist auch nicht immer so, es ist...« Er sah zu Herrn de Mon, seine Mimik erzählte von Unverständnis und Sorge. »Sie ist eindeutig nicht zu berechnen. Wenn man in der Besenstraße beginnt, oder man geht eine Route, etwas direkter, zum Beispiel über den Charlottenweg – ich meine, die Menschen wissen, wann ich komme, aber Missis Jö, wenn ich gleich zu Beginn zu ihr gehe, der Zeitplan...«
»Ja?« fragte Herr de Mon.
»Durcheinander. Und zwar erheblich, also... Unterschätzen Sie diese Frau nicht!«
Herr de Mon war beeindruckt. Frau Sonnenbein brachte Schnittchen, stolz erklärte sie: »Jetzt haben wir nur noch Konserven.« »Ich glaube ja nicht an so was«, führte Herr Sonnenbein aus, »aber was ich erlebt habe, und als Postzulieferer gerät man durchaus in Situationen...«
Er sprach nicht weiter. Der Besuch griff zu. Frau Sonnenbein verstand. »Nun sag, was du denkst«, forderte sie ihren Mann auf, »ist doch egal.«
Herr Sonnenbein holte tief Luft. »Ich denke, dass sie übernatürlich ist. Und nicht nur sie. Die Familie, also ein Sohn, der bei ihr lebt, eine Großmutter – alle.«
Er wirkte verzweifelt. »Sind Sie schon einmal einer Frau begegnet, die zufrieden in einem Schrank wohnt? Ich habe sie noch nie gesehen, aber Missis Jö redet mit ihr. Oder anders: Sollte ein junger Mann nackt die Tür öffnen, wenn die Post kommt? Unbekleidet! Weil er gut aussieht? Weil es niemandem schade, so sagt er. Verstehen Sie? Und wenn ich nicht bei ihr klingele, läuft sie mir nach.«
Herr de Mon kaute. »Sie läuft ihnen nach?«
»Ja, sie passt mich ab, auf der Straße! Ich muss mir nur fest vornehmen, dass ich dieses Mal nicht bei ihr klingele.«
»Man muss also bei ihr klingeln, auch wenn sie keine Post erhält?«
»Sie ist eine Wissende«, erklärte Frau Sonnenbein, »früher hätte man gesagt: Eine Hexe. Heutzutage ist das ja ein Schimpfwort.«
Nun hielt es Herr Sonnenbein nicht mehr in seinem Sessel aus. Er stand auf, wanderte ein wenig. »Ich denke, dass sich alles erklären lässt, eigentlich. Nur im Fall der Missis Jö...«
»Ja...?« Herr de Mon griff ein weiteres Schnittchen, Frau Sonnenbein freute sich, nickte ihm großzügig zu.
»Es geht mir nicht darum, falsche Beschuldigungen auszusprechen«, erklärte Herr Sonnenbein, »Sie werden es erleben. Man könnte meinen, sie sei verrückt, also nicht krankhaft, aber...« Er suchte Worte, sagte: »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, nur...« Herr Sonnenbein setzte sich wieder, beugte sich vor und machte ein ernstes Gesicht. »Das bleibt jetzt unter uns«, forderte er. Der Besuch nickte. »Ich hatte einmal einen Beinschmerz«, berichtete Herr Sonnenbein, »und sie hat mir einen Tee aufgezwungen.«
»Einen Tee?«
»Ja. Und danach...« Er sprach nicht weiter. Er war überfordert. Frau Sonnenbein übernahm. »Das waren Drogen, auf jeden Fall«, sagte sie streng, »und das ist jetzt etwas intim, aber...« Die Strenge wich, sie gönnte sich ein Lächeln. »Ich meine, Sie haben Diplom, Sie wissen ja auch was.«
»Ja?«
»In der Nacht, also – mein Werner war so was von eifrig. Und das hatten wir schon länger nicht mehr.« Liebevoll schaute sie zu ihrem Mann, erinnerte sich: »Mein Bienchen... So habe ich ihn genannt, weil er so fleißig war.«
»Hertha, bitte!«
»Aber wir hatten eine schwierige Zeit«, bestand Frau Sonnenbein. Sie schwieg. Dann schob sie leise nach: »Missis Jö muss es gewusst haben.«
»Hertha, das geht zu weit.« Herr Sonnenbein wandte sich an seine Vertretung: »Ich denke, Sie werden es selbst erleben. Berichtet ist es nicht zu vermitteln. Diese Frau ist anders. Sie...« Er zögerte, sagte: »Sie beeinflusst. Ja... Und ich bin mir nicht sicher, ob das immer nur zum Guten ist.«
»Also, Werner. Bei uns war es so. Das willst du doch nicht bestreiten?«
»Mir geht es darum, dass sie nicht zu berechnen ist.« Herr Sonnenbein sah zu seiner Frau: »Hertha, es geht mir um die Route.« Erneut wandte er sich an seine Vertretung: »Darum sollten Sie auf jeden Fall erst alle Briefe ausliefern, zuletzt in der Besenstrasse 13, und