Название | Gesammelte Aufsätze |
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Автор произведения | Max Nettlau |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621849 |
Streiks solcher Art lassen die Verhältnisse sowohl im wirtschaftlichen wie im moralischen Sinne unverändert, selbst dann, wenn die Streiker siegreich sind, denn die abgezwungenen Konzessionen werden von den Kapitalisten auf die Schultern des kaufenden Publikums abgewälzt, und je ärmer die Konsumenten sind, um so bitterer fühlen sie die Folgen. Die moralische Erhebung und die Begeisterung der Streiker und der sympathisierenden Kreise werden ausgeglichen durch dumpfe Feindschaft der Massen - die tatsächlich die Rechnung bezahlen müssen.
Darum wäre es nützlich, wenn Mittel gefunden würden, durch welche die gesamte Öffentlichkeit (die Massen der Arbeitenden) nicht nur gefühlsmäßig, sondern materiell an jedem Streik interessiert wäre wie die Streikenden selbst. Wenn die Öffentlichkeit einmal ernsthaft am Streik interessiert ist, dürfte ihre Hilfe ganz enorm sein; ganz abgesehen von der Sympathie und Unterstützung kann sie jene mächtige Waffen führen: ich meine den Boykott.
Das ist der erste der zwei Punkte.
Der zweite Punkt meiner ketzerischen Meinung betrifft die Verantwortlichkeit der Arbeiter für die Arbeit, die sie leisten. Diese Verantwortlichkeit wird gegenwärtig überhaupt nicht anerkannt. Es ist üblich, einen Mann als ehrlichen Arbeiter zu betrachten, wenn er für Lohn arbeitet, ganz abgesehen davon, was er tut. Es gibt kaum irgendeine Beschäftigung, die in tatsächlicher Weise vermieden und verabscheut würde und so Menschen, die sie ausüben, ernsthaft beschämte - gemein und infam, wie die Beschäftigung auch immer sei.
Abgesehen von dem drastischen Beispiel der vielen Anwärter für einen Henkerposten (wir lesen manchmal, daß Personen aller Beschäftigungszweige, aus dem Arbeiterstande und der Mittelklasse sich darum bewerben), ist es nicht für viele die Höhe ihres Ehrgeizes, Schutzmann zu sein? Und werden sowohl Schutzleute wie Soldaten nicht in gewisser Ausdehnung von unwissenden Weibern, vom Volke, armen Dienstmädchen und Köchinnen unterhalten? Soldaten, die in England sich freiwillig stellen, wissen genau, daß ihre gewöhnliche Beschäftigung nicht die Verteidigung ihres Landes ist, das ja von niemand angegriffen wird, sondern die Unterdrückung von Aufständen armer, schlechtbewaffneter Eingeborener, und sie wissen, daß es ihre Aufgabe ist, solches so erbarmungslos wie möglich zu tun, um Aufstände und Rebellionen im Keime zu ersticken. Junge Männer schämen sich nicht, sich einer unaufhörlichen Polizei- und Henkersarbeit hinzugeben, noch schämen die Mengen des Volkes sich, in Freundschaft zu leben mit Soldaten. Auch besteht niemals Mangel an Gerichtsboten, Pfändungsvollstreckern, Zolleinziehern, Güterschlächtern usw. Die sogenannte öffentliche Meinung, die so viel von Menschlichkeit und Zivilisation redet, scheint diese Feinde und ihre Werkzeuge in unserer Mitte ganz zu übersehen, und wenn sie sie sieht, ist es nur, um sie zu bemitleiden, um zu sagen, es ist nicht ihre Schuld.
Mehr noch! Während dieser Abschaum der Menschheit sich bei den meisten Menschen einer geringen Beliebtheit erfreut, gibt es geradezu schändliche Gewerbe und Beschäftigungen, die von viel größeren Körperschaften ausgeführt werden, gegen die niemand Einwendungen zu erheben scheint. Ich meine die ungeheuren Massen von Arbeitern, die durch ihrer Hände Arbeit minderwertige Häuser aufbauen, minderwertige Kleider erzeugen, minderwertige Nahrung herstellen und vieles andere mehr produzieren, das das Leben degradiert, den Geist und Körper ihrer Mitmenschen bedrückt und herunterbringt. Wer hat die Mietskasernen, die scheußlichen Höhlen in den großen Städten aufgebaut, und - was noch schlechter ist - wer erhält sie durch Scheinausbesserungen und Reparaturen in einem Zustand, der ihre unaufhörliche Ausbeutung ermöglicht? Wer produziert Schundkleidung, die abscheulichen Nahrungsmittel und Getränke, die nur die Armen kaufen? Wer preist sie dem Publikum, den Armen an, nachdem andere sie äußerlich glänzend übertüncht haben (soweit man sich diese Mühe überhaupt noch macht), wer preist sie durch Überredung, falsche Angaben und Lügen an? Alles dies tun (wenn auch unzweifelhaft inspiriert durch Kapitalisten, die einzig und allein Vorteile daraus ziehen) große Zweige hart arbeitender, angesehener und gut organisierter Bauberufe, Textilgewerbe und Handelsformationen. Das ist abstoßend und empörend, und wir können keine Entschuldigung dafür finden, wenn wir nirgends Bemühungen sehen, diese Tatsachen anzuerkennen, und noch weniger, sie zu beseitigen. Überall begegnen wir der indifferenten Antwort: Ich muß es tun! Ich kann mir meine Arbeit nicht aussuchen! Wenn ich sie nicht mache, macht sie sonst jemand. Ich verdiene nichts daran. Ich würde lieber eine wirklich nützliche Arbeit verrichten. Aber ich bin nicht verantwortlich dafür: die Verantwortlichkeit trägt der Unternehmer, der mich solche Arbeit tun heißt!
Unsere Meinung ist, so lange wie diese ausweichende, feile Entschuldigung allgemein anerkannt wird, so lange wird uns keine hellere Zukunft erstehen. Auf Grund dieser Ansicht wird es den Kapitalisten immer möglich sein, die eine Hälfte der Arbeitenden zu kaufen, um die andere Hälfte zu unterdrücken. Sie werden fortfahren, die Massen der Arbeiter in geistiger und körperlicher Herabwürdigung zu erhalten, dumpf und stumpf, geschwächt, kraftlos, die endlosen Freuden des Lebens übersehend infolge der bedrückenden Umgebung, in der sie leben, und der Erbärmlichkeit der Nahrungsmittel, die ihren Körper und Geist aufbauen. Und die praktische körperliche Arbeit, die diese üblen Folgen zeitigt, wird von den Arbeitern selbst verrichtet, von ihnen, die, wie alle andern, selbst darunter leiden. Direkter Mord (Soldaten, die Streikende erschießen) und dieser indirekte Mord durch Erschaffung dieser schrecklichen Umgebung, Nahrung und vieles andere mehr, das die Mitmenschen ruiniert, beides ist gleich schädlich in seinen Folgen, und als solches muß es erkannt werden, ehe wir an eine Besserung denken dürfen.
Das ist es, was ich die Verantwortlichkeit des Arbeiters für das, was er schafft, nennen will. Und was wir weiter sagen, ist, daß der Mangel dieses Verantwortlichkeitsgefühles sowohl die Arbeiter wie auch ihre Opfer degradiert. Niemand wird ableugnen, daß Polizisten und Soldaten durch ihre berufsmäßige Menschenjagd, durch Verrat und Mord, den sie begehen, verrohen und versinken. Und ich zögere nicht, zu behaupten, daß dasselbe mit jenen Arbeitern geschieht, die Handwerke und Gewerbe ausüben, die auf Betrug basiert sind. Man betrachte beispielsweise den Arbeiter, der angeblich Röhren und Entwässerungen repariert und in Wirklichkeit doch niemals derartiges tut, oder den Verkäufer, der seine Tage damit zubringt, Leuten Dinge aufzureden, die sie gar nicht haben wollen, die der Ladeninhaber los sein will, weil sie ihm den höchsten Profit bringen, oder weil sie dem Verderben ausgesetzt sind. Ich glaube nicht, daß der Charakter dieser Männer - ehrlich, arbeitsfreudig und gutherzig, wie sie am Anfang auch sein mögen - sich im Laufe der Zeit verbessert. Eher ist anzunehmen, daß er verhärtet und gleichgültig wird als frei und begeisterungsfähig. In gleicher Weise können die Massen von Produzenten minderwertiger und indifferenter Waren kaum Interesse an ihrer Hände Arbeit haben. Aber niemand kann ohne Interesse an seiner Arbeit leben, ohne daß seine Fähigkeiten abstumpfen, sein Intellekt sich vermindert und er letzten Endes unfähig wird, die Ideen von Freiheit und Empörung zu erfassen. Wieviel weniger wird er danach handeln können! Man vergleiche diese Männer mit jenen, die gezeichnet sind von William Morris in “Wiederbelebung der Handarbeit” oder in “Kunde von Nirgendwo”, und es wird klar werden, was ich meine.
So muß jedermann ein Opfer dieses Übels werden, denn die Verüber unsozialer Handlungen werden immer selbst die Opfer. Alle Arbeiter verabscheuen Spione und Spitzel; die meisten von ihnen verabscheuen Streikbrecher; bis dieses Gefühl der Abneigung nicht ausgedehnt