Название | Herbst der Vergeltung |
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Автор произведения | Erik Eriksson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895546 |
Er ging durch Solberga, langsam, atmete tief ein, blieb oft stehen.
Jemand rief nach einem Hund, als Verner in den Hof kam. Er beeilte sich aufzuschließen, setzte sich aufs Bett, ohne sich die Jacke auszuziehen, und blieb dort sitzen, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten. Vielleicht war der Entschluss schon seit einiger Zeit in ihm gereift, ohne dass er sich dessen bewusst war, aber nun entschied er sich, trotz der Unruhe, trotz der bedrohlichen Angst. Er ging ins Badezimmer, stand eine Weile vor dem Spiegelschrank, nahm eins der Döschen heraus, schraubte es auf, stellte es zurück.
Er wusste, dass das, was er vor sich hatte, unerhört schwer werden würde, vor allem in der nächsten Zeit. Er war überzeugt davon.
Aber er dachte an die misshandelte Frau, die er gesehen hatte, und die Scham, die jetzt wieder in ihm auflebte, war größer als die Angst vor dem, was er würde durchstehen müssen, das Gefühl von Ekel über die Feigheit, bei der er sich selbst ertappt hatte, schien weitaus weniger erträglich.
Dennoch kamen ihm große Zweifel, als er das Döschen wieder aufschraubte. Dann schüttete er den Inhalt in die Toilette, das Gleiche tat er mit den anderen sechs Döschen.
Bevor er spülte, betrachtete er den Haufen unterschiedlich gefärbter Pillen, der sich unter dem ovalen Wasserspiegel der Toilette gesammelt hatte und er dachte, dass das, was er jetzt tat, genauso wahnsinnig war, wie auf einem sinkenden Schiff zu stehen und Löcher in die Rettungsboote zu bohren. Dennoch drückte er die Spülung, wartete und ließ den Spülkasten wieder voll laufen, spülte nochmals und dann noch einmal.
Eine Stunde später fing er an zu weinen.
10.
Birgitta hatte keinen Ausdruck für die Misshandlung, der sie ausgesetzt war; wäre sie gezwungen worden, darüber zu sprechen, hätte sie gesagt der Vorfall, oder das, was passiert ist. Aber sie sprach niemals darüber.
Einmal hatte Leila sie gefragt, warum sie blaue Flecken auf dem Arm hatte. Sie hatte versucht auszuweichen, aber als Leila die Frage wiederholte und wissen wollte, ob sie geschlagen worden war, hatte Birgitta es widerstrebend zugegeben, vielleicht gesagt, aber es sei ja nur ein einziges Mal passiert, und dieser Vorfall sei nicht der Rede wert. Danach hatte sie zu vergessen versucht, dass Leila gefragt hatte. Von dieser Begebenheit rührte wohl dieser Ausdruck her: Der Vorfall damals.
Aber sie war seitdem noch oft misshandelt worden, viele viele Male, und viele Male davor.
Birgitta wollte über das, was passiert war, nicht nachdenken, sie hielt es von sich fort, dachte es sich weg, ließ es zu einem Nichts schrumpfen, zu etwas, das weit weg war, etwas Nebensächlichem. Ja, es passierte neben ihr. So, als ob es jemand anderem passierte, so, als ob sie selbst unbeteiligt daneben stand und zusah, so, als ob es nur etwas war, das sie gehört und wieder fast vergessen hatte.
Am Morgen nach dem letzten Vorfall hatte Bengt lange geschlafen. Birgitta selbst war eine Weile vor den Söhnen aufgestanden, hatte sich gewaschen, sich gepudert und versucht, sich stark zu schminken, um die schlimmsten Spuren zu verbergen. Sie hatte eine Schramme am Kinn und eine geschwollene Lippe, die Zunge hatte eine Wunde, aber das war nicht zu sehen.
Das Gesicht war noch recht gut davongekommen, das Schlimmste waren die Schmerzen in der Seite und im Bauch. Da hatten Bengts Fäuste sie viele Male getroffen, er hatte hart und mit Wucht zugeschlagen.
Bengt schlug sie selten ins Gesicht. Es war, als wolle er keine all zu deutlichen Spuren hinterlassen.
Als er aufwachte, war Birgitta in der Küche. Er murmelte ›Guten Morgen‹, ging ins Badezimmer und blieb ziemlich lange dort.
Als er wieder herauskam, war der Kaffee fertig. Sie saßen einander stumm gegenüber. Bengt vermied es, sie anzusehen. Als er sich erhob und sagte, dass er einen kleinen Spaziergang machen wolle, wusste sie ziemlich sicher, was er jetzt vorhatte.
Und es kam, wie sie vermutet hatte. Nach einer halben Stunde war er zurück mit einer Tortenschachtel und einer Tüte.
»Oh, das wird ja ein Festschmaus«, sagte Birgitta, »Marzipantorte und Plunderteilchen.«
»Bitte sehr, nicht der Rede wert«, antwortete Bengt.
Mehr wurde nicht gesagt. Bengt rasierte sich, Birgitta machte die Betten, die Söhne kamen, schauten in die Küche und sahen die Torte.
»Lecker, nicht wahr?«, sagte Birgitta.
Die Jungen freuten sich, sie wussten, dass Torte gegen elf oft zum Samstag gehörte. Es war schon fast eine Gewohnheit. Obwohl es manchmal auch am Sonntag so war.
Birgitta hatte eine Weile in der Küche gesessen. Als sie sich erheben wollte, schoss ein gewaltiger Schmerz durch ihren Bauch, er durchfuhr sie wie eine scharfe Messerklinge, sie stöhnte auf. In diesem Augenblick kam Bengt in die Küche. Birgitta ging schnell zu einem Husten über, hielt die Hand vor den Mund. Hinter einem gespielten Reizhusten versuchte sie den Schmerz zu verbergen.
Sie hätte stillsitzen und vorsichtig atmen sollen. Nun verschlimmerte sich der Schmerz im Magen stattdessen noch. Bei jedem Husten war es, als risse eine Wunde tief im Zwerchfell auf.
»Bist du erkältet?«, fragte Bengt.
»Ach, halb so wild«, murmelte Birgitta.
»Dann hole ich wohl den Kaffee.«
»Nett von dir.«
»Setz dich, ich mache das schon.«
Dann rief er seine Söhne, sie kamen sofort. Bengt sagte, dass sie nicht extra fragen müssten, sie dürften sich so viele und so große Stücke Torte nehmen, wie sie wollten.
Birgitta meldete sich am Montag krank, sagte, dass sie wieder ihre starken Kopfschmerzen bekommen hätte, diejenigen, die ohne Vorwarnung kamen und ein oder zwei Tage blieben.
Ja, man wusste auf der Arbeit, dass sie an diesen Schmerzen litt. Die Sekretärin des Bürovorstehers, mit der sie telefoniert hatte, sagte, Birgitta solle sich pflegen, es ruhig angehen lassen und wieder auf die Beine kommen. Sie sagte das, was man erwarten konnte. Aber Birgitta wollte gerne glauben, dass sie meinte, was sie sagte, sie war eine freundliche Frau, die bald in Rente gehen würde, ein herzlicher Mensch, den alle mochten.
Am Abend, als die Jungen schliefen, kam Leila zu Birgitta herüber. Bengt war für einige Tage weggefahren zum Arbeiten, dieses Mal nach Köping, etwas zu weit entfernt, um jeden Tag nach Hause zu fahren.
Leila hatte eine Flasche spanischen Wein von einer guten Sorte mitgebracht, eine von mehreren, die sie in der Weinlotterie gewonnen hatte.
Wenn sie sich auf ein Glas trafen, lud Leila sie immer ein.
Birgitta hatte ihr gesagt, dass sie für ihren Anteil bezahlen wolle, aber Leila hatte das jedes Mal abgelehnt, weil Birgitta oft Knabberzeug bereitstellte. Und Birgitta wollte keinen Alkohol für sich alleine kaufen, weil sie wusste, dass Bengt es nicht mochte, wenn sie ohne ihn trank.
Sie saßen meistens bei Birgitta, jedesmal, wenn Bengt fort war in Sachen Arbeit, was oft vorkam, denn Bengt war Elektriker und Leihmonteur, er war bei einer Firma angestellt, die Generatoren und Energiezentralen in ganz Mittelschweden wartete.
Leila arbeitete in der mobilen Krankenpflege, sie hatte keine Kinder und lebte allein mit zwei Vögeln im Käfig. Manchmal ging sie aus zum Tanzen, und es kam vor, dass sie mit einem Mann zu ihm nach Hause ging, aber der durfte niemals mit zu ihr nach Hause kommen, sie gab niemals ihre Adresse heraus und nannte falsche Namen, Therese, Brigitte, gerne auch Vendela; warum gerade diesen Namen, wusste sie nicht. Die Anonymität war zu einer Angewohnheit geworden, zuvor war sie absolut lebenswichtig gewesen.
Der Wein, zu dem sie Birgitta einlud, hieß Torremilanos, ein ausgezeichneter Jahrgang, der in der Weinrubrik in der Zeitung Bestnoten bekommen hatte.