Название | Die Hexen von Kamen |
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Автор произведения | Roswitha Koert |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783942672313 |
Ich wollte ich bleiben, kein „Tommi-Wackel-Dackel-Hündchen“ werden, das gab es schon.
Wir wohnten damals in einem kleinen Hotel in Westerland, schön zentral gelegen, nicht ganz so vornehm, denn das hasste ich. Wir waren zum Biikebrennen hergekommen, einem Spektakel, das jedes Jahr im Februar auf Sylt stattfand.
Am Morgen des 21. Februars machten wir eine lange Wanderung um den Ellenbogen. Es nieselte etwas, aber wir waren warm angezogen, dicke Pullover und darüber Regenjacken, meine in rot, Tommis in grün.
„Du musst es ihr endlich sagen.“
Tommi nickte, aber ich kannte dieses Nicken. Wütend stapfte ich weiter, sammelte ein paar Muscheln auf und einen Stein, den ich für einen Bernstein hielt. Mit Thomas sprach ich nicht mehr.
Erst am Abend, als wir uns in alten Jacken auf dem Weg zum Feuer machten, hielt ich das Schweigen nicht mehr aus.
„Heute Abend musst du Grünkohl mit Schweinebacke essen, das ist Tradition beim Biikefeuer.“
„Ja, ja, ich weiß, der Gott Wotan soll gnädig gestimmt werden und den Winter vertreiben. Gut, dass ich nicht Wotan bin. Mit Grünkohl könntest du mich nämlich vertreiben, aber nicht gnädig stimmen. Willst du mich vertreiben?“
Thomas zog mich an sich und versuchte, mich zu küssen.
„Nein, das will ich nicht. Aber wenn du nicht machst, was ich sage, stoße ich dich ins Biikefeuer und lass dich verbrennen.“
„Du, Hexe!“, schrie Tommi, fasste mich grob beim Nacken und drückte meinen Kopf herunter.
In dieser Haltung liefen wir kreischend weiter, immer in Richtung des Feuers, das bereits hoch in den Himmel loderte und ringsum Rauch und Funken versprühte.
„Ihr müsst zusammen über das Feuer springen“, riet uns ein vorbeilaufender Seebär, „das schweißt für immer zusammen.“
„Dann wähle ich doch lieber den Feuertod“, rief Tommi und ich lachte eine Spur zu laut.
Und dann, in unmittelbarer Nähe des Feuers, spürte ich wieder diese seltsame Aura, ein Gefühl von Angst und Schmerz, das ich kannte. Kannte aus einer anderen, fernen Zeit. Zitternd hielt ich mich an Thomas fest.
Einige Tage nach unserer Reise rief Thomas mich an und sagte mit fremder Stimme, dass er es für besser hielte, wenn wir uns eine Weile nicht bla, bla, bla, bla …
Da bereute ich zum ersten Mal, ihn nicht ins Biikefeuer gestoßen zu haben.
Kapitel 5
Anton Praetorius stieg mit kräftigen Schritten die schmalen Stufen zum Glockenturm hinauf. Hin und wieder stieß er schnaubend die Luft aus seinem Mund. Nicht wegen der Anstrengung, die ihm das Treppensteigen bereitete, sondern wegen der Wut, die in seiner Brust rumorte. Warum waren sie alle so verbohrt? Richter Bodde war ein ehrenwerter Mann, ein überzeugter Protestant, klug und belesen. Wieso glaubte auch er, wie viele andere Kamener Bürger, an Hexen und Zauberer?
Für alles wurden diese bedauernswerten Geschöpfe verantwortlich gemacht: für schlechte Ernten, Unwetter, Feuersbrünste, Epidemien und so weiter, und so weiter …
Praetorius wusste, dass selbst Luther und Calvin an die Macht von Hexen geglaubt hatten.
„Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen!“
So zitierten sie das 2. Buch Moses im Alten Testament.
„Aber ihr irrt Euch!“, schrie Anton Praetorius laut herunter vom Glockenturm der Pauluskirche zu Kamen. Ein paar Tauben flogen erschrocken davon und Praetorius begann wütend an den Glockensträngen zu ziehen. Hexerei und Zauberei waren Werke des Teufels, nur Gott konnte dies strafen, nicht die Menschen.
Gleich würden sie hineinströmen, in die Kirche, würden beten und singen und sich gegenseitig in ihrer Grausamkeit bestärken.
Sie würden die Kälte bejammern, die immer mehr zunahm, die das Korn verfaulen ließ, in die Häuser kroch, sie feucht und muffig machte, so dass kein Feuer ihrer Herr wurde.
„Merkt ihr nicht, dass die Kälte aus euren Herzen kommt?“ Praetorius schrie sich immer mehr in Wut. Die richtige Stimmung für die Predigt, die er gleich halten würde. Er würde ihnen einheizen, den braven Bürgern Kamens, allesamt grausame Folterknechte, Mörder. Kein Blatt würde er vor den Mund nehmen, auch wenn er nicht Rektor der Lateinschule werden würde, wenn sie ihn verjagen würden aus Kamen.
Er würde ihnen den Hexenwahn austreiben und wenn es ihm nicht gelang, würde er weiter ziehen. In einen anderen Ort, wo die Menschen vernünftiger waren, klüger, wo man die Bibel richtig verstand.
Während er die Stufen wieder hinab stapfte, tauchte ein Bild aus seiner Kindheit vor seinen Augen auf.
Ein niedergebrannter Holzhaufen, aus dem immer noch leichter Rauch aufstieg. In der Mitte ein verkohlter Pfahl, an dem ein unförmiger Klumpen hing, schwarz, stinkend. Erst in der Kontur erkannte man schwach so etwas wie einen Kopf, verkohlt, aufgeplatzt, ein weit aufgerissenes Maul, gelbe Zähne einer Totenfratze. Er hatte sie gekannt, ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Mit lustigen roten Zöpfen, das gern hüpfend durch die Gassen sprang. Das Essen war knapp in ihrem Elternhaus, so war sie leicht gewesen wie eine Feder oder … dünn wie eine Hexe.
Kapitel 6
Ich war fünfunddreißig, als ich meiner ganz großen Liebe begegnete. Damals frisch geschieden, mit einem zehnjährigen Sohn, dessen Erziehung mir nicht gerade leicht fiel.
Mein Mann war ein Nachbarsjunge gewesen, mit dem ich praktisch aufgewachsen war.
Irgendwann hatten wir beide das Gefühl, etwas verpasst zu haben und so beschlossen wir, auseinander zu gehen.
Im Guten, ohne das berühmte „Schmutzige-Wäsche-Waschen“. Unsere Anwälte sorgten dafür, dass das nicht ganz so ablief, schließlich wollten sie ja beide etwas an uns verdienen.
Aber nach monatelangem Gerangel und Gezerre kam endlich der Gerichtstermin und wir waren wieder frei. Frei für ein anderes Leben, für Abenteuer, für neue Lieben.
Wir beeilten uns beide damit. Mein Mann war schon nach einem Vierteljahr wieder verheiratet und ich, wie schon erwähnt, traf meine große Liebe.
Dirk war Student, ewiger Student nennt man so etwas wohl. Er studierte Geografie und Tourismus, eine gelungene Kombination, fand ich. Irgendwie klappte es allerdings mit dem Diplom nicht so recht. Ihm fehlte einfach die Zeit, weil er neben dem Studium als Kellner jobben musste. Also zogen wir zusammen. Er sparte dadurch die Miete und ich bestritt unseren gesamten Lebensunterhalt, so dass er die Kellnerei an den Nagel hängen und sich endlich voll und ganz seinem Studium widmen konnte.
Es dauerte dann nur noch knapp drei Jahre, bis er seinen Abschluss in der Tasche hatte.
Euphorisch von so viel beruflichem Erfolg machte er hochtrabende Zukunftspläne.
Er wollte ganz groß ins Touristikgeschäft einsteigen.
„Bei meinem akademischen Background bietet sich das an“, erklärte er mir.
Als unser Reisebüro allerdings schon nach einem halben Jahr wegen Überschuldung wieder geschlossen werden musste, begann ich, an dem Vorteil eines akademischen Backgrounds zu zweifeln.
Aber Dirk hatte bereits neue Pläne geschmiedet. Wir zogen um an die Nordsee und eröffneten in der gesunden Seeluft eine kleine Pension.
„Haus Regina“ strahlte es von einem beleuchteten Schild herab und das machte mich richtig stolz. Natürlich musste ich meinen Job als Sekretärin an den Nagel hängen, denn nun hieß es, Frühstück für die Gäste zuzubereiten, Betten zu machen, Zimmer zu putzen und … und … und …
Aber es machte mir Spaß. Dirk wirkte als Maître Domo hinreißend und ich kam mit der neuen beruflichen Erfahrung ganz gut klar.