Название | Abengs Entscheidung |
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Автор произведения | Philomène Atyame |
Жанр | Языкознание |
Серия | Literaturen und Kulturen Afrikas |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783898968249 |
»Oh! Wie komisch!«
»Was ist komisch?«
»Sie malen am Samstag in einem Nachtlokal und gehen am nächsten Morgen in die Kirche. Ist das nicht komisch?«
»Warum sollte es komisch sein? Der Tanz ist eine Kunst. Die Malerei ist eine Kunst. Die Kirche ist auch zur Zeit eine Kunst.«
»Die Kirche ist eine Kunst? Das ist mir aber neu!« sagte Manfred lachend.
»Das ist aber wahr! Die Kirche ist heute eine Kunst, weil sie eine große, internationale Werkstatt geworden ist. Die Kirchen haben im Moment eigene Bücher und Zeitschriften, weil die Bibel niemanden mehr interessiert. Na jaaa, die Bibel hat den Menschen das Paradies versprochen. Weil aber, womit man leider rechnen mußte, kein Paradies auf Erden kam, will die Kirche mit etwas anderem Menschen aus aller Welt anlocken. Leider sind die meisten überzeugten Christen, und das weiß ich genau, davon nicht so begeistert. Die Kirche muß deswegen mit der Welt zusammenarbeiten. Aber der Vorteil dabei ist, daß alle Menschen Platz in der Kirche finden. Die Kirche ist heute nicht nur was für fromme Menschen. Jedermann findet dort seinen Platz. Jeder kann neben frommen Menschen sitzen und gemeinsam mit ihnen das Theater sehen, das auf der Kirchenbühne aufgeführt wird. Insofern habe ich keine Bedenken, wenn ich in die Kirche gehe.«
»Das ist für mich schwer zu verstehen, weil ich seit langem keine Kirche mehr besuche. Sie gehen also morgen in die Kirche?«
»Ja, unbedingt.«
»Wieso unbedingt?«
»Oh Gott! Fragen Sie lieber nicht.«
»Gehen Sie regelmäßig in die Kirche?«
»Nein, nicht regelmäßig. Das habe ich früher getan, um meinem Vater einen Gefallen zu tun. Jetzt gehe ich in die Kirche, nur wenn ich Lust dazu habe, oder… oder wenn ich traurig bin.«
Manfred wurde neugierig. Er ahnte, daß Abeng Schwierigkeiten hatte. Aber er wollte nicht zu neugierig erscheinen. So sprach er zuerst von sich selbst: »Wissen Sie?« sagte Manfred, »es ist nicht das erste Mal, daß ich Sie im Kontchupé sehe. Ich war schon mehrmals hier, und einmal habe ich Sie in Ihrer Ecke auf dem Balkon sehr lange angeguckt. Ich habe gemerkt, daß Sie nicht wie die anderen sind, die hinter den Weißen herlaufen. Deswegen habe ich letztes Mal meinen Kollegen zu Ihnen geschickt. Ich bin sehr direkt. Ihre Zurückhaltung gefällt mir. Ich möchte Sie näher kennenlernen. Wir können auch, wenn es Ihnen lieber ist, in die ruhige Kneipe dort drüben gehen und uns ein Bier geben lassen. Was halten Sie davon?«
Abeng schaute Manfred lange in die Augen. Ein Deutscher! Für eine Weile zweifelte sie daran. ›Quidproquos‹, erinnerte sie sich. Abeng kannte schon Deutsche. Sie waren zurückhaltend, gar nicht aufdringlich wie die Franzosen. Im Kontchupé fielen die Deutschen selten auf. Sie tanzten nicht gern wie die Franzosen, sehnten sich aber wie die anderen nach schwarzen Schönheiten. Abeng war noch in ihre Gedanken versunken, als die Stimme ihres Großvaters erneut in ihr sprach: ›Enkelin, ich habe schon jemanden für dich. Es gibt in Sangmelima jemanden namens Meva’a, der auf dich wartet.‹ Abeng erkannte seine Stimme, eine Stimme, die sie nun wie eine Qual empfand. In diesem Augenblick wollte Abeng nichts anderes als allein sein.
»Manfred, ich bin für eine neue Verabredung. Aber heute will ich so früh wie möglich zu Hause sein.«
Als Manfred dies hörte, wollte er Abengs gesamten Körper schütteln. Warum begriff sie nicht, daß er es ernst meinte? Eine Weile hatte er noch geglaubt, daß Abeng ihm folgen würde. Für einen Augenblick verdammte Manfred alle Don Juans, die dem Ruf der weißen Männer im Kontchupé schadeten. Für ihn waren sie schuld daran, daß Abeng sich zurückhaltend verhielt. Nur sie, dachte Manfred, waren schuld daran, daß anständige Mädchen sich von Weißen zurückhielten. Plötzlich erinnerte er sich an eine Befürchtung, die ihm vor einer Weile gekommen war. Er fragte sich, ob Abeng Weiße haßte. Die Frage schien ihm aber ebenso trübe wie seine Gedanken. Denn das Kontchupé war bekannt als eine der Gaststätten, in der die Mädchen, wie man sagte, die Weißen wie Fische fischten. Was suchte Abeng an einem Ort, den weiße Männer gern besuchten? ›Vielleicht will sie nur die bunten Bilder. Sie malt ja gern. Künstler mögen Farben. Aber wer weiß? Vielleicht hat sie etwas gegen uns. Viele hier haben etwas gegen uns, selbst wenn sie es nicht sagen. Sie haben Dornen in den Augen, die älter sind als sie selbst. Sie sagen es aber nicht, weil sie immer freundlich sein und gefallen wollen. Sie wissen aber nicht, daß es unter uns welche gibt, die diese Dornen sehen wollen, um sie gemeinsam mit ihnen zu entfernen. Wer weiß? Vielleicht zeigt mir Abeng ihren Dorn.‹
»Heute brauche ich sehr viel Ruhe«, sagte Abeng.
»Verzeihung. Ich wollte nicht lästig sein«, sagte Manfred. ›Enkelin, ich habe schon jemanden für dich. Es gibt in Sangmelima jemanden namens Meva’a, der auf dich wartet!‹ wiederholte die Stimme des Großvaters.
Wieder erinnerte sich Abeng an seine Beerdigung, wieder sah sie ihn im Sarg liegen, wieder sah sie den Sarg im Grab liegen. Abeng befielen Schuldgefühle, sie bekam feuchte Augen. Aber es gelang ihr, die Tränen zu verdrängen. Zumal sie nicht vor Manfred weinen wollte. Mit bedrückter Stimme sagte sie:
»Du bist nicht lästig. Im Gegenteil, ich mag deine Art. Ich bin zur Zeit schwierig. Ich bin in Trauer, ich habe meinen Großvater verloren. Sein Tod bringt mich sehr durcheinander.«
»Mein Beileid. Sie haben ihn bestimmt sehr geliebt.«
»Stimmt, bis letztes Jahr. Dann nahm ich Abstand von ihm. Kurz vor seinem Tod waren wir fast Feinde. Er hat sich sehr verändert, er ist ein schlechter Mensch geworden, sehr schlecht. Aber jetzt… jetzt bringt mich sein Tod durcheinander. Ich habe Schuldgefühle.«
»So etwas passiert, wenn man einen engen Verwandten verliert, besonders wenn die letzte Zeit mit ihm schlecht war. Bei Ihnen sind Großeltern enge Verwandte. Es ist für Sie jetzt sehr wichtig, jemanden zu haben, mit dem Sie Ihre Schmerzen teilen können. Sind Sie ganz allein hier?«
»Ich wohne bei meinem ältesten Bruder. Aber er ist selten zu Hause. Ich glaube, ich werde früher als vorgesehen nach Jaunde zurückkehren. Dort ist mein Vater, der hat immer Zeit für seine Kinder. Er weiß, wie ich seinen Vater geliebt habe. Früher habe ich meinen Großvater sehr geliebt.«
»Was kann man machen? So ist eben der Tod. Und manchmal sterben gerade die Menschen, die man am liebsten hat. Ist es Ihnen nicht kalt? Es ist kühl hier draußen. Warum gehen wir nicht einfach in die Kneipe da drüben? Wollen Sie?«
Abeng wollte nicht. Aber sie widerstand der Versuchung, Manfred zu folgen, nicht. Er gefiel ihr. Er machte einen netten Eindruck. Während sie in die Kneipe gingen, versank Abeng in Gedanken. Die Erinnerung an Akono Assam ließ sie nicht frei. Abeng erinnerte sich wieder an seine Geschichte, eine kurze Geschichte, die mit der Zeit lang geworden war. War sie wiedergutzumachen? Es gab Fehler, die man wiedergutmachen konnte. Ein Dieb, der seinem Opfer das Gestohlene zurückbrachte, machte seinen Fehler wieder gut. Aber eine Vergewaltigung, aus der ein Kind entstand, war nicht wiedergutzumachen. Abeng und Manfred gingen eine Treppe hinunter. Bevor sie die Kneipe betraten, warf Abeng noch einen Blick hinter sich. Die anderen Schatten, die sie gesehen hatte, waren wirklich weg. Vielleicht hatten sie ein anderes Ziel. Vielleicht hatte sich Abeng getäuscht.
Die Gaststätte war ruhiger. Man sah kaum junge Menschen. Außer dem Kellner und den drei Kellnerinnen hatten alle Gäste, die die Ankommenden jetzt anstarrten, mindestens vier Jahrzehnte Leben hinter sich. Manfred und Abeng nahmen am Fenster Platz.
Der Deutsche bestellte ein Bier und Abeng einen Rotwein. Sie trank ungern Alkohol, fand aber einen Saft hier unangebracht. Während sie trank, betrachtete sie Manfreds Augen. Es war, als ob sie auf ein ungesagtes Geheimnis lauerten.
»Geht es Ihnen besser? Moment! Kann ich Sie duzen?« fragte Manfred.
»Warum nicht? Ich habe Sie schon geduzt.«
»Alles klar. Fühlst du dich hier besser? Als wir draußen standen, habe ich gedacht, daß vielleicht die Dunkelheit dich traurig machte.«
»Tja, ich weiß es nicht. Ich bin immer noch traurig.«
»Vielleicht