Abengs Entscheidung. Philomène Atyame

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Название Abengs Entscheidung
Автор произведения Philomène Atyame
Жанр Языкознание
Серия Literaturen und Kulturen Afrikas
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783898968249



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Schätzchen.‹

      ›Und artig, ne?‹

      ›Das weiß ich nicht genau.‹

      ›Ja, sie sind artig. Sie sind nicht blöd wie Eva. Eva schimpft immer mit den Jungs und weint in der Schule, wenn ihr Vater ihr kein Taschengeld gibt. Sie ist nicht artig. Sie ist blöd. Mama, in Afrika sind die Mädchen artig, sie mögen kein Geld, sie haben ein gutes Herz. Das sagt immer unser Lehrer.‹ Dann lächelte Manfred die Mutter an und fügte hinzu: ›Mama, wenn ich groß bin, werde ich nach Afrika fliiiiegen und eine Farbige heiraten.‹

      Manfred war sechs und wuchs mit diesen Überzeugungen auf. Mit siebzehn erlitt er in der Liebe eine schwere Enttäuschung, die seine Überzeugungen noch stärkte. Er hatte sich damals in ein bildhübsches Mädchen verliebt, das ihn zwei Monate später verlassen hatte, weil er nicht studieren konnte.

      Jetzt war Manfred zweiundzwanzig und doppelt enttäuscht. Er ging nicht mehr in Gaststätten. Es vergingen Wochen. Dann kam die Langeweile. Manfred wollte nicht nur für Seeman arbeiten und am Wochenende zu Hause sitzen, während seine Kollegen sich vergnügten.

      Er erschien wieder im Kontchupé, einen Monat später. Es war, wie er selbst erzählte, ein glücklicher Zufall, der ihn damals dorthin führte. Er war zusammen mit seinen Kollegen. Da er ungern tanzte, nahm er den beliebten Platz vor der Theke ein. Dann fiel ihm die Malende vom Balkon auf. Zuerst fragte er sich, was eine Malerin in einem Tanzlokal suchte. Er erkundigte sich bei seinen Kollegen, die Abeng mittlerweile schon kannten. Sie sagten zu ihm, daß sie die Sache als Hobby machte und dabei ab und zu Geld verdiente. »Sie heißt Abeng und ist, wie sie uns erzählte, Gymnasiastin in Lycée Bilingue in Jaunde. Sie malt hier die Leute, die tanzen, meistens schwarz-weiße Paare. Ich habe viele Bilder bei ihr gekauft. Sie hat mich und Ngono gemalt. Wir sind mit ihr gut befreundet. Ich könnte dir die Bilder zeigen. Das Mädchen ist begabt. Versuche aber nicht, sie anzumachen. Sie ist in der letzten Zeit sehr zurückhaltend. Früher war sie anders. Manchmal hat sie mit ihren Kunden einen Drink geteilt. Aber seit ungefähr zwei Monaten macht sie nur ihren Job. Manchmal gibt es Streit da oben mit den Franzosen, die sie unbedingt haben wollen. Sie ist ja sehr schön! Unheimlich schlank und fein. Der Junge neben ihr ist ihr Bruder«, erklärte Uwe.

      Als Manfred dies hörte, wurde er neugierig. Es gab endlich im Kontchupé ein Mädchen, das in seinen Denkrahmen paßte. Er wollte Abeng kennenlernen. Aber da jene gerade Brücke, die zu ihr führte, für ihn, wie Uwe sagte, gesperrt war, suchte er andere Möglichkeiten. Einmal begegnete er Abengs Blick. Aber die Augen der Malenden fielen wieder aufs Papier. Dann versuchte es Manfred noch einmal mit einem Kollegen. Da Uwe nicht mitmachen wollte, schickte er Paul, der Abeng ebenso gut kannte, zu ihr. Paul versuchte zu vermitteln.

      Abeng sah Manfred wieder an. Sie hatte ihn schon mehrmals beobachtet. Sie hatte auch gesehen, wie er sie immer wieder anstarrte. Nun wußte sie nicht, was sie Paul antworten sollte.

      Es war Abengs Wunsch, sich mit einem Ausländer zu befreunden. Aber sie wollte es erst nach dem Abitur versuchen. Denn es fiel ihr schwer, zur Schule zu gehen und sich nebenbei mit der Liebe auseinanderzusetzen. Abeng wollte sich nach dem Abitur mit der binationalen Liebe beschäftigen. Bedingung war, daß sie das Abitur bestand. Aber dann kam diese Familientragödie, die Abeng von ihrem Wunsch ablenkte. Akono Assam starb, Abengs Großvater wurde beerdigt. Das Schlimme war, daß Abeng Schuldgefühle hatte.

      Akono Assam hatte auf seine Art Abeng einen Mann versprochen. Abeng wollte den Mann nicht sehen, sie haßte den Unbekannten. Seitdem ging sie ihrem Großvater aus dem Weg. Sie wollte ihn, den Dieb ihrer Freiheit, nicht mehr sehen. Aber dann kam der Menschenfeind, der Tod, der Akono Assam besiegte. Abeng befielen Schuldgefühle, sie glaubte, ihr Widerstand hätte ihren Großvater so geschwächt, daß sein Herz verzagte.

      Abeng wollte alles wiedergutmachen, wollte den Unbekannten kennenlernen. Sie sagte es ihrem Vater. Wie glücklich war Assam, als er dies hörte! Assam hatte ihre plötzliche Entscheidung begrüßt. Seitdem war Abeng zurückhaltend, wenn alte Bekannte und neue Gäste ihr Liebeserklärungen machten. Sie sagte zu Paul, daß sie nicht in Stimmung war und Zeit brauchte, um wieder einen klaren Kopf zu haben. »Un peu de Discretion là!« rief ein Betrunkener, der neben Manfred stand. Der Betrunkene verlangte ›Diskretion‹, er wollte freien Raum haben, denn auch er wollte Abeng haben.

      Manfred wollte sich nicht einmischen. Er wartete ab. Wenn Abeng, wie man ihm erzählt hatte, in den Schulferien hier gern freiwillig malte, dann hatte er noch mehr als eine Gelegenheit, Abeng zu begegnen.

      Die Ferienzeit ging vorbei und Abeng kehrte in die Stadt der Politik zurück. Manfred nahm sich Zeit. Drei Monate vergingen. Die nächsten Ferien kamen. Wie enttäuscht war Manfred, als er an dem ersten Freitag der Ferienzeit im Kontchupé erschien und Abengs geliebten Platz auf dem Balkon leer fand! Aber dann sah er sie wieder. Es war an dem folgenden Abend. Manfred nahm sich vor, zu Abeng zu gehen und sie unter vier Augen anzusprechen. Zuerst bestellte er ein Bier, das er in einer beleuchteten Ecke der Gaststätte trank.

      Abeng erkannte Manfred. Eine ungewöhnliche Schönheit! Sie sah einen schönen Mann, männlich und schön. Die Schönheit war nicht nur weiblich, sie war auch männlich. Es gab wunderschöne Männer! So war es ein Irrsinn, schöne Männer Frauen zu nennen! Für eine Weile vergaß Abeng die Tanzenden. Sie konnte es kaum begreifen. Sie konnte nicht fassen, daß sie letztes Mal Manfreds außergewöhnliche Schönheit übersehen hatte. Manfred war ein schönes Geschöpf, das selbst die Nacht nicht verbergen konnte.

      Abeng fing an, Manfred zu zeichnen. Der erste Entwurf zeigte einen Mann mit ausgeprägten Zügen. Er war wie eine Traumgestalt, ein Märchenprinz, der Weiße aus abendländischen Märchen, der gleich einem Trugbild Abeng zu verwirren begann. Sie starrte den Entwurf lange an und schüttelte den Kopf. Dann versank sie in Gedanken. Sie erinnerte sich an ihren Großvater, sie wollte alles wiedergutmachen. Sie dachte an ihren Vater, sie wollte ihn nicht verletzen. Erneut starrte sie Manfred an. Ihre Blicke kreuzten sich. Wie konnte Abeng ihrem Vater das erklären? Konnte sie mit Assam darüber reden? Abeng fand keine Antwort. Völlig verwirrt steckte sie alle Stifte in die Tasche, lief die Treppe hinunter und nahm Abschied von ihrem Bekanntenkreis. Einige fragten sie, warum sie so früh ging. »Ich bin sehr müde«, antwortete sie. Bevor sie den Saal verließ, warf sie noch einen schnellen Blick auf Manfred, dessen Augen, weit offen, auf sie gerichtet waren.

      Manfred war überrascht. Er verstand nicht, warum Abeng so früh wegging. Ihm schien, als ob die Malende Kontchupé für immer verließ. Manfred folgte ihr. Er wollte eine Erklärung für das ganze Theater. Er ahnte, daß er Abeng gefiel.

      Draußen war die Luft kühl und der Mond nicht zu sehen. Eine Laterne beleuchtete den schmalen Weg, der zu einer dunklen Hauptstraße führte. Von fern sah Abeng die Nacht wie eine lange, feste schwarze Mauer, die sie daran hinderte zu flüchten. Abeng warf sich vor, gewagt zu haben, die Gaststätte allein zu verlassen. Bisher war sie immer in Begleitung gewesen. Wenn Abessolo den Body Guard nicht spielte, waren die vielen guten Freunde und Bekannten aus dem Viertel neben ihr. Nur so gelang es ihr, den Schatten zu entkommen, die oft ab Mitternacht draußen auf die vorübergehenden einsamen Mädchen warteten. Als Abeng die letzten Treppenstufen, die zum Hof führten, hinunter lief, war sie sehr froh, keinen zu sehen.

      Es war noch zu früh. Aber kurz danach dachte sie, daß wahre Schatten ihr folgten. Denn hinter ihr kamen vier Männer, die sie in der Dunkelheit nicht gut sehen konnte. Was wollten sie? Die einmalige Gelegenheit ausnutzen? Wollten sie die Künstlerin endlich in ihrem Netz fangen? Für eine Weile hatte Abeng das Empfinden, wie in einem Traum verfolgt zu werden. Der einzige Unterschied war, daß sie ihre Füße schnell nach vorne bewegen konnte. Als sie die dunkle Hauptstraße erreichte, wurde ihr übel. ›Akono Assam!‹ rief Abeng ihren Opa innerlich. Er war weit weg, Akono Assam war im Reich der Toten. Aber eine Stimme sprach wie ein kleiner Richter in Abeng: ›Enkelin, ich habe schon jemanden für dich. Es gibt in Sangmelima jemanden namens Meva’a, der auf dich wartet.‹

      Abeng erkannte diese Stimme: es war die Stimme ihres Großvaters. Abeng hörte seiner Stimme zu, und entschied, Ruhe zu bewahren, hatte jedoch Angst und hörte kaum das »evening«, das Manfred hinter ihr murmelte. Mit ihrem letzten Mut drehte sie sich um und war überrascht, nur noch einen Mann zu sehen. Abeng