Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch. H.J. Perrey

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Название Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch
Автор произведения H.J. Perrey
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947373444



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      Es klopfte. Der Kellner brachte Sekt. »Danke, Jean, wir wollen nicht mehr gestört werden.«

      Dann wandte sie sich dem Freund zu, der gerade einen Liebesakt aus der Antike bestaunte.

      »Willst du Sekt?«, fragte sie. »Wir können ihn auch nachher trinken.«

      Durch Traugotts Körper ging ein Vibrieren. Er dachte: Sie hat dich geduzt, und das in dieser sündhaften Sphäre. Was passiert, wenn sie sich vor dir auszieht und nackt vor dir steht?

      Sie fuhr ihm mit der Hand über den nassen Rücken, zog ihm das Jackett aus und streichelte den Dingsda. Sie küsste ihn, streifte ihr Kleid ab, das zu Boden glitt. Gleich darauf zog sie ihn auf das breite Bett, wo sie sich bis in die Morgenstunden miteinander beschäftigten.

       Er zog aus und war weg

      Rosalie steht im Flur und wischt sich die Tränen aus dem Auge. Alles ist so schnell gegangen. Aus Kiel kam ein Telegramm. Die Kultusbehörde bot Traugott eine Referendariatsstelle in Husum an. Der nahm sofort an. Was gestandene Lehrer als Strafversetzung empfunden hätten, denn die graue Stadt am Meer schien außer Theodor Storm nichts Großartiges zu bieten, war für den angehenden Lehrer ein Befreiungsschlag.

      Brenda dachte nicht an eine Ehe, gestaltete den Abschied vielmehr unterkühlt. Von der langen Liebesnacht war ebenso wenig die Rede wie von finanziellen Angelegenheiten. Traugott zog aus und war weg.

      Er stürzte sich in die Arbeit und galt sowohl im Kollegenkreis als auch bei seiner vorgesetzten Behörde als Lichtblick und zukünftiger Schulleiter, obwohl er inmitten der Ausbildung steckte und das Referendariat noch längst nicht abgeschlossen war. Seine Bezüge waren ausgesprochen dürftig, so dass an Urlaub oder längere Reisen nicht zu denken war. Münster! Das stand natürlich ganz oben auf der Liste.

      Für die jüngeren Kolleginnen war Traugott allerdings ein Gesprächsstoff. Er galt als Hahn im Korb, und mehr als eine der jungen Damen – sie ließen sich mit Fräulein anreden – überlegte, ob man den attraktiven Mann nicht zu einer Reise nach Münster einladen könne. Eine Fahrradtour wurde erwogen. Traugott hatte selbst davon geschwärmt. Doch fielen diese hoffnungsreichen Pläne in sich zusammen, als bekannt wurde, Traugott habe sich bei seinem letzten Besuch mit einer Cousine verlobt, die ein kleines Vermögen in die Ehe einbringen werde. Vom Bau eines Hauses und der Anschaffung eines Sportwagens war die Rede.

      Das zweite Staatsexamen stand vor der Tür. Es war ein trüber Tag. Traugott hatte seit Tagen gelernt, zugleich aber Unterrichtsverpflichtungen wahrgenommen, wozu auch die Korrektur von fünfundvierzig Aufsätzen einer zehnten Klasse gehörte. Die Zimmervermieterin, Frau Feddersen, steckte den Kopf durch den Türspalt, brachte aber nicht den ersehnten Kaffee, sondern einen Brief aus Neustadt an der Bille, Bahnhofstraße Nr. 6. Als er den Brief aus dem Umschlag ziehen wollte, fiel ihm ein Kinderfoto entgegen, die Aufnahme eines Kleinkindes, das soeben laufen gelernt hatte. »Das ist Konrad. Er grüßt seinen Vater«, stand auf der Rückseite. Mehr nicht.

      Traugott spürte seinen Herzschlag, denn in Münster gab es Kinderfotos von ihm, die diesem Kind unglaublich ähnlich waren. Er nahm seinen Lehrerkalender und blätterte. Auch hier passte alles zusammen. Er war Vater. Und was ihn zunächst erschreckte, ging einige Minuten später in Stolz über.

      Als Frau Feddersen den Kaffee brachte, reagierte Traugott nicht schnell genug, so dass die Wirtin feststellte: »Der ist aber süß.«

      Traugott stotterte ein wenig, fing sich jedoch schnell und sagte: »Mein Neffe. Ich bin jetzt Onkel.«

      Die Feddersen war eingeschnappt, weil sie keine Einzelheiten zu hören bekam. Deshalb verließ sie den Raum mit der Bemerkung: »Hauptsache, er wird nicht katholisch erzogen.«

       Der Aufstieg

      [LANDESARCHIV: PERSONALAKTE T. BUSCH / BRIEFWECHSEL BRENDA-TRAUGOTT]

      Busch bestand auch das zweite Examen mit Bravour. Die Schulbehörde, die ein Abwandern in andere Bundesländer auf jeden Fall vermeiden wollte, unterbreitete dem fertigen Lehrer mehrere Angebote, mit der Aussicht, schnell nach der Besoldungsgruppe A 14 befördert zu werden. Besonders dringend war die Wiederbesetzung einer Stelle mit genau den Fächern, die auch Traugott unterrichtete, und zwar in Ahrensberg. Der jetzige Kollege war mit Anfang vierzig an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung gestorben, und die Schulleitung bat händeringend um einen Nachfolger, da auch Abiturklassen zu betreuen waren.

      Kaum hatte Traugott die Zelte in Ahrensberg aufgeschlagen, schrieb er einen langen Brief an meine Mutter und bat um Erlaubnis, sie zu besuchen. Er habe das Verlangen, seinen Sohn kennenzulernen. Der Brief ist ein gelungenes Stück Prosa, eine wundervolle Liebeserklärung, geschrieben in dem Bewusstsein, dass diese Liebe nicht erfüllbar war.

      Der kleine Konrad, also ich, raste durch die Wohnung und auf die Terrasse, denn der Onkel hatte ein großes Spielzeugauto mitgebracht.

      Als Rosalie für einen Augenblick in die Küche ging, sagte Traugott: »Du siehst wunderbar aus, Brenda. Man möchte dich als Mutter haben.«

      Sie lächelte ein wenig erschöpft. »Du wärest auch kein schlechter Vater. Nun bist du Onkel und darfst uns so oft besuchen, wie deine Zeit es erlaubt. Und bevor du zu deinem Lieblingsthema kommst und fragst, ob wir mit dem Geld auskommen, sage ich dir: Es ist mein Kind, und deshalb zahle ich dafür. Es gibt so viele Frauen, die sich und ihre Kinder durchbringen müssen, und das, weil die Väter gefallen, verschollen oder abgehauen sind.«

      Traugott nickte. »Aber als Onkel habe ich die uneingeschränkte Erlaubnis, Geschenke mitzubringen. Unser Kleiner wird irgendwann einen Roller oder gar ein Fahrrad brauchen. Auch über die Anschaffung einer elektrischen Eisenbahn sollten wir ernsthaft nachdenken. Alles beginnt mit der Spurweite … Da möchte ich schon ein Wörtchen mitreden.«

      Er trat dicht an Brenda heran. »Ich würde euch gern nach Hagenbeck einladen. Da spielen wir dann kleine glückliche Familie.«

      Buschs Karriere verlief reibungslos. Nach dem zweiten Examen wurde er Assessor im Ahrensberger Gymnasium und schon bald Beamter auf Lebenszeit. Schnell stieg er zum stellvertretenden Schulleiter auf. Dieser Aufstieg hing damit zusammen, dass viele ältere Kollegen politisch vorbelastet waren und nach dem Krieg nicht mehr befördert wurden.

      Tagtäglich stellte Traugott sein Organisationstalent unter Beweis. Er war für den Stundenplan zuständig, ebenso für Vertretungen. Er war sowohl mit dem Haushalt als auch mit den periodischen Berichten an das Ministerium befasst. Das alles erledigte er bei vollem Stundendeputat. Krank meldete er sich nie. Er war an Ort und Stelle, wenn er gebraucht wurde. Das kam bei Kollegen und Eltern gut an. Bei den Schülern galt er als streng, aber gerecht. Auch Sinn für Humor wurde ihm nachgesagt.

      Der amtierende Direktor, ein kleiner fetter Mann, dem das Wirtschaftswunder kulinarisch zu Kopf gestiegen war, meinte einmal gegenüber einem Behördenvertreter: »Man merkt, dass er Kompaniechef war. Er kann Menschen führen.«

      Traugott war jetzt Mitte dreißig. Vor fünf Jahren hatte er seine Cousine Dorothea geheiratet. Beide kannten sich von Kindheit an, beide wollten dem familiären Dunstkreis im Raum Münster entfliehen und waren froh, in der Nähe Hamburgs unterzukommen.

      Dorothea war eine inzwischen namhafte Konzertpianistin und entsprechend viel unterwegs. Dass die Jungvermählten sich nicht oft sahen, empfanden sie nicht als Nachteil, konnten sie doch ihren beruflichen Neigungen und Verpflichtungen umso intensiver nachgehen. In Ahrensberg kauften sie ein Haus. Das Geld dafür hatte Dorothea mit in die Ehe gebracht. Sie hatte nie gefragt, ob Traugott irgendwelche Beziehungen oder Liebschaften vor der Ehe gehabt hätte. Er verwies, wenn das Gespräch unerwartet diese Richtung einschlug, stets darauf, seine Behinderung hätte irgendwelche Eskapaden dieser Art unmöglich gemacht.

      Dorothea vertrat felsenfest die Auffassung, die Behinderung ihres Mannes sei dafür verantwortlich, dass aus der Beziehung noch keine Kinder hervorgegangen seien. Traugott widersprach nicht und beließ sie in ihrem Glauben, zu dem auch die feste Annahme