3 zu viel für diesen Job. Herwig Silber

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Название 3 zu viel für diesen Job
Автор произведения Herwig Silber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783943941593



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      Herwig Silber

      3 zu viel für diesen Job

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      Herwig Silber

      3 zu viel

      für diesen Job

      Roman

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      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-937717-48-7

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2010

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch

      Fotos: Männerbeine: zazou, Frauenbeine:

      Nenuphar, PHOTOCASE

       www.dittrich-verlag.de

      »Robert, ich muss dir eine unglaubliche Geschichte erzählen.« Er warf die Zeitschrift auf den Tisch, nahm die Sonnenbrille ab und legte den Kopf erwartungsvoll in den Nacken.

      HERZBERGS GEWERBE

      Fasziniert, kein bisschen besorgt, blickte Artur Herzberg auf den schwarzen Revolver in seiner rechten Hand. Mit leichtem Druck presste er die Waffe gegen seine Schläfe und beobachtete aufmerksam sein Mienenspiel im großen Wandspiegel des Flurs. Während der Zeigefinger sich unmerklich um den Abzug krümmte, verklärte sich sein Gesichtsausdruck. Es schien, als durchströmte ihn ein erlösendes Einvernehmen mit einer lang geplanten Entscheidung. Jäh verfinsterte sich der Blick und der markante Schädel mit den abstehenden Ohren mutierte zu einer einzigen, wild entschlossenen grimmigen Fratze. Genau so würde er es machen, genau so! Atemlos würden sie zuschauen, kein Wort würde sich auf ihre verängstigten Lippen verirren. Wie scheue, in einen Käfig gepferchte Kaninchen würden sie dem inszenierten Schauspiel ausgeliefert sein. Genießen würde er diesen Augenblick des Entsetzens, der Ohnmacht, des stummen Versagens seiner Geiseln. Und dann … Herzberg riss den Revolver herum, zielte in Sekundenbruchteilen auf eine weiße Porzellanvase, die der ohrenbetäubende Schuss in Einzelteile zerlegte.

      Herzberg schob den aus der Mündung dampfenden Trommelrevolver vorsichtig zurück auf den Glastisch. Die werden sich ducken und sich ängstlich fragen, ob ich noch alle beieinanderhabe. Aber spätestens ab diesem Moment ist auch dem Dickfälligsten klar, wo die Musik spielt: ausschließlich bei mir. Wer aufmuckt, dem geht es an den Kragen. Also Vorsicht, Herrschaften, mit mir ist nicht zu spaßen, ich bin unberechenbar.

      Herzberg sammelte die Scherben ein, die durch eine winzige, mittels akustischem Zünder ausgelöste Explosion von der Vase übrig geblieben waren. Mit derlei frivolem Nervenkitzel wusste er seine Kundschaft immer neu zu überraschen, in der Hoffnung, dass der Name Herzberg dauerhaft und werbewirksam in deren Gedächtnis haften bliebe.

      Nachdem er die Scherben entsorgt hatte, widmete er sich wieder der To-do-Liste. Aufmerksam ging er die aufgeführten Positionen nochmals durch, Nichts durfte fehlen, alles musste ineinandergreifen, nur so war sichergestellt, dass die geplanten Aktionen wie am Schnürchen abliefen. Zufrieden legte er die randlose Brille beiseite, stand auf, dimmte das Licht und trat hinaus auf die Terrasse. Er schätzte das frische Waldklima, den Blick auf den Brocken und das beschauliche Leben in diesem Städtchen. Klein, stämmig, aber nicht fett, eher athletisch, näherte sich Personaldienstleister Herzberg seinem fünfzigsten Geburtstag. Den quadratischen Schädel mit den bemerkenswert großen, ein wenig abstehenden Ohren umkränzte ein leicht gewellter Haarsaum. Im Business pflegte er schwarze oder nachtblaue Maßanzüge zu tragen, von seinem Düsseldorfer Herrenschneider aus wertvollen Stoffen auf das sorgsamste gefertigt. Die Schuhe, weich und bequem, ließ er sich in Paris von Berluti anpassen. Fünf Paar, gut gefettet und glanzpoliert, standen stets griffbereit im Schuhschrank. Die Seidenkrawatten – keine unter zweihundert Euro –, gedeckte Farben, dezent gemustert, lagerten staubgeschützt in Folie verpackt. In weiteren Schubladen der geräumigen Kommode befanden sich die akkurat gebügelten, weißen, ausschließlich mit Manschettenknöpfen zu tragenden Hemden. So penibel wie er auf seine Kleidung achtete, so gewissenhaft war er auch im Job. Nur ausgeruht und voller Spannkraft präsentierte er sich seinen Klienten. Last-Minute-Aufträge – zum Vielfachen seines Tagessatzes – hatte er mehrfach abgelehnt, weil er sich nach einem anstrengenden Einsatz dafür nicht fit genug fühlte. Seine konsequenten Geschäftspraktiken hatten ihm nicht geschadet, im Gegenteil, er war für Monate im Voraus ausgebucht.

      Aber es gab auch andere Zeiten, an die er sich nicht so gerne zurückerinnerte. Vor Jahren war er gezwungen, in einem beinharten Verdrängungswettbewerb gegen seine Konkurrenten anzukämpfen. In dieser Phase lief sein Organismus ständig auf Hochtouren. Wie von sich, so forderte er auch von seiner Frau, der Filmschauspielerin Laura Bernadotte, professionelle Höchstleistungen. Sie war zunächst sehr angetan von seinem ausgeprägten Interesse an ihrer Karriere. Doch als er sie immer häufiger und schließlich bei der geringsten Kleinigkeit kritisierte und dabei ständig ihr schauspielerisches Talent infrage stellte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Klatschjournalisten bekamen Wind von den Zerwürfnissen und schürten zusätzlich das Feuer. Der folgende Scheidungskrieg verursachte ein ziemliches Tamtam in der Boulevardpresse. Herzberg wurde öffentlich als Vampir diffamiert, dem es nur um das Geld und die Popularität der Diva gegangen sei. Sie behauptete, sie habe wegen all der Beleidigungen und Demütigungen nicht mehr arbeiten können, und forderte Schadenersatz in beträchtlicher Höhe. Dass es vorwiegend sein Geld war, das sie in Gourmet-Restaurants, Schmuckgeschäften, Edelboutiquen und auf Luxusreisen gemeinsam verjubelten, wurde in der Presse nicht erwähnt. Man hatte sich auf ihn, als den allein Schuldigen eingeschossen. Als das öffentliche Interesse nachzulassen und das Gerichtsverfahren auf einen, für sie ungünstigen Vergleich hinauszulaufen drohte, dichtete Laura ihrem Noch-Ehemann sexuelle Gewalt an, die er ihr im Suff zugefügt haben sollte. Als die wenigen verbliebenen Kunden davon hörten, kündigten auch sie die Geschäftsverbindung. Die Anwälte empfahlen, durch eine Gegendarstellung den letzten Rest an Reputation zu retten, aber die Rufschädigung war bereits nachhaltig eingetreten und auch der Freispruch aus Mangel an Beweisen brachte keine Kunden zurück. Noch heute fuhr Herzberg beim Gedanken an die Pressefotos, die ihn bleichgesichtig mit einem Karton Habseligkeiten auf der Freitreppe seiner zwangsgeräumten Münchener Villa zeigten, ein eiskalter Schauer über den Rücken.

      Was nach dem Fiasko übrig blieb, bestand im Wesentlichen aus zwei goldenen Rolex-Uhren, ein wenig Bargeld und dem Angebot eines Freundes, ein ziemlich heruntergekommenes Häuschen am Rande des Harzes bis auf weiteres mietfrei bewohnen zu können. Später kaufte er es ihm ab, befreite das Interieur vom verstaubten Charme des Nutzlosen und ließ im hinteren Teil des Grundstücks einen gediegenen Anbau errichten. Aber zuvor durchmaß er ein tiefes Tal der Agonie, in dem er in fatalistischer Sturheit die Tage mit Chips und Bier vor einem angejahrten Röhrenfernseher verdämmerte, bis die Getränkevorräte und sein Selbstmitleid so weit aufgezehrt waren, dass die Entscheidung im Raum stand, sich entweder wieder aufzurappeln oder bis zum Ende aller Tage in der Rumpelkammer trauriger Erinnerungen zu verharren. Er entschied sich fürs Aufrappeln, versetzte eine der wertvollen Uhren, kaufte sich einen weit geschnittenen, die Kummerschlacke im Hüftbereich kaschierenden Anzug, dazu elegante Schuhe sowie ein dezent duftendes, den persönlichen Gesamteindruck vorteilhaft abrundendes Rasierwasser.

      Es war an einem wohltemperierten Sommernachmittag in Hannover, an dem Herzberg im Café »georxx« in den ausliegenden Zeitungen nach geeigneten Stellenangeboten forschte. Eine ihm bis dato unbekannte Personalagentur warb mit sofortiger Festanstellung, Voraussetzung: mehrjährige Berufserfahrung und erfolgreiche Teilnahme an einem Eignungstest. Herzberg rief ein Taxi – von der verpfändeten Uhr war genug Geld für bescheidenen Luxus übrig – und ließ sich zu der angegebenen Adresse bringen. Das Viertel, in dem das Taxi hielt, zählte nicht zu den besten der Stadt. Inmitten von alten, restaurationsbedürftigen Wohn- und Geschäftshäusern wirkte dieses von Grund auf renovierte Bürogebäude, vor