Die Taube auf der Moschee. Marmaduke William Pickthall

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Название Die Taube auf der Moschee
Автор произведения Marmaduke William Pickthall
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299429



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wird, so müssen die Hörner ab.‹

      ›Oh, helft mir, ich bin ganz allein! Tut es für mich‹, sagte die Frau.

      Ihr Freund sägte die Hörner ab und gab sie ihr. Sie dankte ihm tausendfach. Doch als er gegangen war, erschien die Kuh nicht gesünder. Die Frau verzagte allmählich.

      Inzwischen hatte sich die Neuigkeit über ihren Kummer mit der Kuh im ganzen Dorf verbreitet, und jeder, der dazu fähig war, eilte herbei, um zu helfen oder zuzuschauen. Sie schnitten das Euter, die Ohren und schließlich die Beine ab und gaben sie ihr, und sie dankte ihnen tränenreich. Zu guter Letzt gab es keine Kuh mehr, um die man sich sorgen musste. Mit einem Blick auf den zerstückelten Kadaver lächelte die Frau und murmelte: ›Gepriesen sei Allah, sie ist endlich geheilt; sie schläft nun! Ich kann jetzt ins Haus gehen und alles für die Heimkehr meines Herrn vorbereiten.‹

      Ihr Gatte kam bei Sonnenuntergang heim. Sie sagte ihm: ›Ich war gehorsam. Ich habe die Kuh stundenlang beobachtet und gepflegt. Sie war sehr krank, doch alle Nachbarn haben mir geholfen, sie zu verarzten, haben viele Operationen durchgeführt, und so haben wir sie von allen Leiden erlöst, gepriesen sei Allah! Hier sind die verschiedenen Teile, die sie abgeschnitten haben. Sie gaben sie freundlicherweise mir, da die Kuh uns gehört.‹

      Der Mann ging schweigend hinaus, um die Überreste der Kuh anzusehen. Als er zurückkehrte, packte er die Frau an den Schultern, blickte ihr direkt in die Augen und sagte grimmig: ›Allah behüte dich! Ich werde die ganze Welt bereisen, bis ich eine finde, die noch grässlicher ist als du. Und wenn ich keine finde, die grässlicher ist, so gehe ich weiter bis zum Ende, das schwöre ich.‹«

      An dieser Stelle brach Suleymân ab, was alle überraschte.

      »Ich verstehe nicht, was diese Kostbarkeit mit meinem Erlebnis zu tun hat«, bemerkte ich, sobald ich sicher war, dass er seinen Vortrag abgeschlossen hatte.

      »Sie passt nicht zu Eurem Fall, aber zu anderen Fällen«, erwiderte er nach kurzem Nachdenken. »Es ist gefährlich, anderen Leuten etwas in den Kopf zu setzen oder ihr Selbstbewusstsein zu wecken, denn niemand weiß, welche Dämonen in ihren Gehirnen lauern. … Doch wartet, ich finde eine Kostbarkeit, die zu unserem Fall passt.«

      »Sagt, o Meer der Weisheit, hat er eine Frau gefunden, die grässlicher war als seine?«

      »Natürlich.«

      »Erzählt, wie es weiterging, ich flehe Euch an.«

      Doch Suleymân durchforstete sein Gedächtnis nach einer Begebenheit, die die ernsten Gefahren zufälliger Andeutungen deutlicher illustrierte. Schließlich seufzte er zufrieden und sprach wie folgt:

      »Einst lebte ein äußerst berühmter türkischer Pascha, ein gütiger alter Mann, den ich oft getroffen habe. Er hatte einen langen weißen Bart, auf den er überaus stolz war, bis eines Tages ein Spaßvogel an ihn herantrat und sagte: ›Exzellenz, uns bewegt folgende Frage: Wenn Ihr zu Bett geht, legt Ihr Euren Bart unter oder auf die Decke?‹

      Der Pascha überlegte kurz, aber konnte keine Antwort geben, denn es war ihm nie in den Sinn gekommen, auf solch eine Sache zu achten. Er versprach dem Fragesteller, ihm am nächsten Tag Auskunft zu geben. Doch als er an jenem Abend zu Bett ging, legte er den Bart probehalber unter und dann auf die Decke, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Beide Varianten kamen ihm unbequem vor, und er erinnerte sich beim besten Willen nicht daran, wie er die Bartfrage für gewöhnlich gelöst hatte. In dieser Nacht fand er keinen Schlaf und in der nächsten auch nicht, denn seine Gedanken kreisten unaufhörlich um das Problem. Am dritten Tag ließ er wütend den Barbier kommen, damit dieser ihm den Bart abrasierte. Da er an das dichte Haar an seinem Hals gewöhnt war, erkältete er sich nach der Rasur und starb.

      Diese Geschichte passt sehr schön zu unserem Fall«, sagte Suleymân zum Schluss mit triumphierender Miene.

      »Seid so gnädig, Herr, und verratet uns die Moral, die man daraus ziehen soll«, rief man von allen Seiten in der zunehmenden Dämmerung.

      »Ich vermute«, wagte ich zu sagen, »dass die Aufmerksamkeit auf meine besonderen Beinkleider gelenkt wurde, damit ich sie abschneiden lasse oder türkische Pluderhosen trage?«

      »Ich sage nicht, was geschehen wird. Das weiß Gott allein. Doch die bloße Möglichkeit, dass solche Unglücksfälle wie die, von denen ich berichtet habe, geschehen können, reicht aus, damit kluge Menschen künftig solche Reden vermeiden.«

      Bis heute weiß ich nicht, wie viel von seinem Vortrag scherzhaft und wie viel ernst gemeint war. Doch die Fellâhîn sogen ihn auf wie reine Weisheit.

      »Was geschah mit dem Mann, der eine grässlichere Frau als die seine suchte? Wie konnte er je eine finden?«, fragte Rashîd, als wir an jenem Abend im Gästezimmer des Dorfs zu Bett gingen, und erinnerte an Suleymâns unvollendete Geschichte über die törichte Frau und ihren Gatten und die unglückliche Kuh. Auch ich wollte den Rest der lehrreichen Mär hören. Nachdem wir Suleymân lang und breit darum gebeten hatten, stützte er sich auf seinen Ellbogen und erzählte weiter. Rashîd und ich lagen still unter unseren Decken.

      »Wir sind bis zu der Stelle gekommen, meine Herren, als der gekränkte Gatte die Überreste der Kuh gesehen hatte und zu seiner Frau sagte: ›Ich werde nun die ganze Welt durchwandern, bis ich eine finde, die noch grässlicher ist als du. Und wenn ich keine finde, die grässlicher ist, gehe ich weiter, bis ich sterbe.‹ Nun, er reiste und reiste – einige sagen monatelang, andere jahrelang –, bis er ein Dorf im Libanongebirge erreichte, ein Dorf der Maroniten, die für ihre Arglosigkeit berühmt sind. Ihr Ruf, unbedarft zu sein, hatte ihn zu ihnen geführt.«

      »Wie war sein Name?«, fragte Rashîd, der alles ganz genau wissen wollte.

      »Sein Name?«, sagte Suleymân nachdenklich. »Sâlih.«

      »War er Moslem?«

      »Aye, ein Moslem, vermutlich … Obwohl er, das weiß nur Allah, auch Ismaelit oder Druse gewesen sein mag. Noch Fragen? Dann lasst mich fortfahren.

      Er kam zu dem Dorf der Maroniten und warf, da er Durst hatte, einen Blick durch eine Tür. Er sah den Dorfpriester und dessen ganze Familie, wie sie ein dickes Schaf mit Maulbeerbaumblättern stopften. Das Schaf war in der Mitte der Treppe angebunden, die zum Dach führte. Der Priester und seine Frau saßen zusammen mit ihrer ältesten Tochter davor auf dem Boden in einem Haufen Maulbeerbaumzweigen, und all die anderen Kinder saßen hintereinander auf den Stufen und reichten die gepflückten Blätter nach oben zur zweitältesten Tochter, deren Aufgabe es war, das Schaf zum Weiterfressen zu zwingen. Sie würden so lange weitermachen, bis das Schaf zu dick zum Stehen wäre und auf die Seite kippte. Dann wollten sie es schlachten, um für das ganze kommende Jahr genug Fett zu haben.

      Sie waren so eifrig bei der Sache, dass sie den Fremden an der Türschwelle nicht bemerkten, bis er rief: »Frieden diesem Hause« und freundlich um einen Schluck Wasser bat. Sogar dann ließ sich der Priester nicht stören, sondern sagte ›Itfaddalû!‹ und deutete auf einen an der Wand stehenden Krug. Der Gast sah hinein, doch das Gefäß war leer.

      ›Kein Wasser drin‹, sagte er.

      ›Oh‹, seufzte der Priester, ›heute sind wir von der Arbeit so durstig, dass wir ihn leergetrunken haben, und so beschäftigt, dass die Kinder vergessen haben, ihn aufzufüllen. Steh auf, o Nesîbeh, nimm den Krug auf deinen Kopf, eile zur Quelle und bring Wasser für unseren Gast.‹

      Das Mädchen Nesîbeh, es war vierzehn Jahre alt, stand gehorsam auf und schüttelte die Maulbeerbaumblätter und Raupen von seinem Gewand. Es nahm den Krug und ging durch das Dorf zur Quelle, die einem Felsen unter einem gewaltigen Birnbaum entsprang.

      So viele Leute holten gerade Wasser, dass Nesîbeh sich nicht vordrängen konnte, also setzte sie sich, um zu warten, bis sie an die Reihe kam, auf einen schattigen Platz. Sie war von Natur aus nachdenklich, und während sie wartete, sprach sie zu ihrer Seele: ›O Seele, ich bin schon ein großes Mädchen. In ein, zwei Jahren vermählt mich meine Mutter mit einem anständigen Mann. Im Jahr darauf habe ich einen kleinen Sohn. Ein, zwei Jahre später ist er alt genug, um herumzulaufen, und sein Vater fertigt für ihn ein Paar roter Schühchen, und