Die Taube auf der Moschee. Marmaduke William Pickthall

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Название Die Taube auf der Moschee
Автор произведения Marmaduke William Pickthall
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299429



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alles Wüste. Nach einem Viertagesritt in solch einer Landschaft denkt man allzu gern an das Ende der Reise, an die Stadt des ganzjährig fließenden Wassers, schattiger Gärten und Vogelgezwitscher. Ich stellte mir unsere Ankunft lebhaft vor, den Schatten und die Rast, die kühlen Getränke, das freundliche Summen der Bazare, und fragte mich, welche Briefe auf mich warteten, alles zur Melodie von »Onward Christian Soldiers«, denn das Klappern der Pferdehufe hämmert mir stets und gegen meinen Willen die unpassendsten Lieder in mein Gehirn, als mich ein plötzlicher Aufschrei erschreckte. Er stammte von meinem Begleiter, einem angeheuerten Maultiertreiber, und klang wütend. Der Bursche war vorausgeritten. Nun sah ich, dass er andere Reisende – zwei Männer, die auf einem Esel saßen – überholt und mit ihnen ein Gespräch angefangen hatte. Einer der beiden, der Hintere, war ein türkischer Soldat. Außer dieser kleinen Gruppe und einem Geier, einem bloßen Fleck am blauen Firmament, war kein anderes lebendiges Wesen in Sicht. Etwas musste geschehen sein, denn der Soldat wirkte belustigt, während mein armer Begleiter mit verzweifelten Gesten protestierte. Er wiederholte den lauten Schrei, der mich aus meinem Tagtraum gerissen hatte, wendete sein Maultier und eilte zurück zu mir.

      »Mein Messer!«, schimpfte er. »Mein Messer! … Jene herrliche Stahlklinge, die mir zur Ehre gereichte! … So gut gehärtet und verziert! … Ein Familienerbstück! Dieser Schurke … möge Allah sein Leben verkürzen! … Ich meine den Soldaten … er hat’s gestohlen. Er bat mich, es kurz ansehen zu dürfen, schien es zu bewundern. Und ich Unschuldslamm gab es ihm. Er hat es in seinen Gürtel gesteckt und verlangt, den Schein zu sehen, der mich zum Tragen von Waffen berechtigt. Wer hat in dieser Wildnis je von so etwas gehört? Er wollte es nicht zurückgeben, obwohl ich ihn anflehte. Ich bin der Diener Euer Ehren: Sprecht für mich und zwingt ihn, es zurückzugeben! Es ist ein Erbstück!« Der Grauhaarige weinte wie ein kleines Kind.

      Ich war sehr jung, und sein ausdrückliches Vertrauen in meine Autorität schmeichelte mir. Dass er von meiner Mannhaftigkeit abhängig war, erschien mir wertvoller als Gold und Diamanten. Ich nahm also all meinen Mut zusammen, gab meinem Pferd die Sporen und galoppierte dem Plünderer hinterher.

      »Gib das Messer zurück!«, brüllte ich. »O Soldat! Ich spreche mit dir.«

      Der Soldat wandte mir ein bemüht argloses Gesicht zu – ein gutaussehendes Gesicht mit einem schönen Schnurrbart und den Bartstoppeln einer Woche. Er hatte den Blick eines Gauners.

      »Welches Messer? Ich verstehe das nicht«, sagte er sanft.

      »Das Messer, das du diesem Maultiertreiber hier gestohlen hast.«

      »Ach das!«, antwortete der Soldat mit einem abwehrenden Lachen. »Darüber müssen Euer Ehren sich keine Gedanken machen. Der fragliche Schurke ist ein bekannter Übeltäter. Wir sind alte Bekannte.«

      »Beim Barte des Propheten, beim erhabenen Koran, bis zu diesem Moment habe ich das Gesicht dieses Teufels noch nie gesehen!«, schrie der Maultiertreiber, der mich eingeholt hatte.

      »Gib das Messer zurück!«, befahl ich zum zweiten Mal.

      »Bei Allah, niemals!«, lautete die kühle Antwort.

      »Her damit, sage ich!«

      »Nein, unmöglich … nicht einmal Euer Ehren zuliebe, obwohl ich, wie Allah weiß, fast alles tun würde, um Euch einen Gefallen zu tun«, murmelte der Soldat mit einem charmanten Lächeln. »Verlangt es nicht. Seid gewiss, dass ich es sofort zurückgeben würde, wenn es Euer Ehren Messer wäre. Aber dieser Mann ist, wie ich schon sagte, ein Schurke. Es bereitet mir Kummer, dass eine so bedeutende Person wegen einem … einem bloßen Hund so aufgebracht ist.«

      »Falls er ein Hund ist, so ist er zumindest vorübergehend meiner. Gib also das Messer zurück!«

      »Ach, Vielgeliebter, das ist völlig unmöglich.«

      Der Soldat erklärte mit einem Wink die Sache für erledigt und wandte sich ab. Er zog eine Zigarette aus seinem Gürtel und wollte sie anzünden. Sein Begleiter auf dem Esel hatte nicht einmal nach hinten geblickt, so wenig Interesse zeigte er an dem Gespräch. Die Sache hatte nun lange genug gedauert. Ich wusste, dass ich im nächsten Moment anfangen würde zu lachen. Falls ich noch irgendetwas unternehmen wollte, musste ich es sofort tun. Ich zog meinen Revolver aus dem Halfter, hielt ihn dem Gauner an den Kopf und schrie: »Gib mir jetzt das Messer oder ich bring dich um!«

      Der Mann sackte in sich zusammen. Blitzschnell gab er das Messer zurück. Ich gab es dem Maultiertreiber, der unter Tränen Allah pries und sich damit aus dem Staub machte. Ich wollte ihm gerade ebenso erleichtert folgen, da veranlasste mich der völlig verzweifelte Ausdruck des Soldaten, den Revolver aufzuklappen und zu zeigen, dass er nicht geladen war. Nun verwandelte sich mein Gegenspieler. Er saß wieder aufrecht und mit geschlossenem Mund im Sattel, und seine Augen funkelten scharfsinnig. Er starrte mich kurz fast ungläubig an und begann zu lachen. Ach, wie der Soldat lachte! Der Besitzer des Esels drehte sich um und stimmte mit ein. Sie fielen einander buchstäblich in die Arme und brüllten vor Lachen, während der Esel unter ihnen pflichtbewusst weiterzuckelte.

      In einem kleinen Tal voller grüner Ostbäume saß ich vor einer Karawanserei, neben einem schmalen Fluss, dessen Ufer von Oleander gesäumt waren, und wartete auf eine Mahlzeit, als der Esel und seine Reiter erneut in Sicht kamen. Sobald der Soldat mich erspähte, stieg er hastig ab und rannte wie ein Besessener ins Gasthaus. Kurz darauf brachte er das bestellte Essen und deckte für mich den Tisch im Schatten der Bäume.

      »Ich dulde es nicht, dass irgendein anderer Euch aufwartet«, verkündete er, »weil der üble Streich, den Ihr mir gespielt habt, so herrlich war. Nicht geladen. Nachdem ich solche Angst hatte! … Es ist ein schöner Revolver. Ich möchte ihn mir ansehen.«

      »Ansehen darfst du ihn, solange du willst, aber nicht anfassen«, erwiderte ich, worauf er wieder lachen musste und behauptete, ich sei der lustigste aller Söhne Adams.

      »Aber was hättet Ihr getan, wenn ich mich geweigert hätte? Er war nicht geladen. Was hättet Ihr getan?«

      Seine Hand lag gerade auf der Stuhllehne. Ich klopfte ihm sachte mit dem Revolvergriff auf die Knöchel, damit er das Gewicht spürte.

      »Wallahi!«, schrie er voll Bewunderung. »Ihr hättet mir damit wohl den Schädel eingeschlagen. Das alles nur wegen eines armen bedeutungslosen Mannes, den Ihr für eine Woche eingestellt habt und danach nie wiedersehen werdet. Efendi, lasst mich für immer Euer Diener sein!« Er klang plötzlich sehr ernst. »Kauft mich vom Militärdienst frei. Es kostet recht viel … fünf türkische Pfund. Und Allah weiß, ich zahle es Euch durch meine Dienste zurück. Um der Liebe zur Rechtschaffenheit willen, stellt mich ein, denn meine Seele gehört Euch.«

      Ich machte mich lustig über die Idee. Er beharrte darauf. Als der Maultiertreiber und ich wieder aufbrachen, ritt er neben uns, diesmal auf einem anderen Esel – angeblich »geliehen« –, was bewies, dass er sich zu helfen wusste. »Bei Allah, ich kann ein Pferd beschlagen und ein Huhn braten. Ich kann mit Nadel und Faden umgehen, Kleider ausbessern und einen Vogel im Flug schießen«, erzählte er mir. »Ich könnte mich um den Stall und um das Haus kümmern. Ich würde alles tun, was Euer Ehren wünscht. Mein Spitzname ist Rashîd der Schöne. Meine Garnison ist Karameyn, nur zwei Tagesreisen von der Stadt entfernt. Kommt in ein, zwei Tagen und kauft mich frei. Der Lohn ist mir gleich. Nehmt mich probehalber!«

      Im Khan, einem ziemlich wüsten, in dem wir übernachteten, bediente er mich sehr geschickt, was mir Respekt einflößte und dazu führte, dass ich mir wirklich wünschte, einen solchen Diener zu haben. Am nächsten Morgen, nach einem einstündigen Ritt, trennten sich unsere Wege.

      »In sh’Allah, ich sehe Euch bald wieder«, murmelte er. »Mein Spitzname ist Rashîd der Schöne, nicht vergessen. Ich sage meinem Hauptmann, dass Ihr das Geld bringt.«

      Ich sagte, ich würde es mir vielleicht überlegen.

      »Bitte«, flehte er. »Ihr wollt doch niemanden beschämen, der Euch vertraut. Ich sage, dass ich Euch beim Hauptmann ankündige. Beschämt mich nicht vor dem Kommandanten und all meinen Kameraden! Ihr haltet mich für einen Dieb, einen Gesetzesbrecher, weil ich dem Kerl das Messer weggenommen habe?«, fragte er mit einem sanften