Die Taube auf der Moschee. Marmaduke William Pickthall

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Название Die Taube auf der Moschee
Автор произведения Marmaduke William Pickthall
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299429



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ein Messer trägt. Und Ihr, habt Ihr eine Genehmigung für diesen schönen Revolver? Dort, wo wir gestern zu Mittag aßen, waren andere Soldaten. Hätte ich sie um Hilfe gebeten, hätte ich das Messer und Euren Revolver leicht an mich nehmen können, und das ganz ehrenhaft, in völliger Übereinstimmung mit dem Gesetz. Warum habe ich es nicht getan? Weil ich Euch liebe! Versprecht mir, nach Karameyn zu kommen und mich auszulösen.«

      Ich sah ihm nach, wie er auf seinem Esel zu einer Wasserrinne in den Bergen zuckelte, an deren Ufer der Reitweg nach Karameyn lag. Allem Anschein nach musste Rashîd ein Schurke sein, doch im Innersten war ich von seiner Ehrlichkeit überzeugt. Jeder Europäer im Land würde erschrocken die Hände heben und »Hüte dich!« rufen, wenn er so eine Geschichte hört. Doch als ich über die ausgetrocknete braune Ebene zur Stadt der grünen Bäume und brausenden Flüsse ritt, wusste ich, ich würde nach Karameyn reisen.

       Eine Garnison in den Bergen

      Der lange Tagesritt verlief ereignislos, aber nicht die Nacht. Ich nächtigte in einem Bergdorf in einer sehr seltsamen Herberge, die von einem dicken einheimischen Christen namens Elias geführt wurde, der, wie es ein Schild behauptete, Mahlzeiten und Unterkunft alafranga bot – das heißt, nach moderner, europäischer Manier. Es gab einen großen Gastraum und nebenan ein ebenso geräumiges Schlafzimmer für rund dreißig Reisende. Einen Stall für mein Pferd musste ich anderswo suchen. Wir saßen auf Stühlen um einen Esstisch, doch die Zutaten der Mahlzeit waren keineswegs europäisch und die Zubereitung minderwertig griechisch. Vor allen Gästen lagen Messer, Gabel und Löffel, aber einige warfen das Besteck auf den Boden und aßen mit den Fingern. Im langen Schlafzimmer standen ein Dutzend Betten mit Matratzen. Indem ich einen kleinen Aufpreis bezahlte, sicherte ich mir eines für mich allein. In anderen lagen zwei, drei, sogar vier zusammen. Ein älterer armenischer Herr, der von seiner Frau begleitet wurde, bewachte sie die ganze Nacht mit Pistolen. Er war so töricht, jeden, der es wagte, in ihre Nähe zu kommen, lautstark zu bedrohen. Nachdem er dies mehrmals getan hatte, erhob sich ein Mann von meinem Nachbarbett, schlenderte zu ihm hinüber und packte ihn am Hals.

      »O Mann«, schimpfte er, »bist du etwa von Sinnen, unsere Leidenschaft anzustacheln, indem du von Frauen sprichst? Schweig oder wir ehrlichen Männer hier drehen dir den Hals um und nehmen dir deine Frau weg. Verstehst du?« Er schüttelte den eifersüchtigen Gatten wie ein Terrier eine Ratte. »Schweig, hörst du? Männer wollen schlafen.«

      »Habe ich nicht gut gesprochen, o Bruder?«, sagte der Ordnungshüter zu mir, als er sich wieder hinlegte.

      »Bei Allah, gut«, erwiderte ich. Der Eifersüchtige blieb still. Doch es gab andere Geräusche. Einige Männer hielten sich immer noch im Gastraum auf und spielten Karten. Der Wirt, der für alles Europäische schwärmte, besaß eine Musikdose, welche die Kartenspieler die ganze Nacht klimpern ließen – Grammophone gab es glücklicherweise noch nicht. Ich hatte leichtes Fieber. Es gab Insekten. An Schlaf war nicht zu denken. Ich stand auf, als es noch finster war, ging ohne zu zahlen hinaus, da der Wirt sich nirgendwo blicken ließ, und suchte, Angriffe wilder Straßenköter riskierend, das Gewölbe, in dem mein Pferd stand. Zehn Minuten später hatte ich das Dorf verlassen und ritt an einem Berghang entlang, der im Licht der Sterne kaum zu sehen war. Der Pfad führte in eine tiefe Schlucht hinab und dann wieder endlos hinauf. Als ich den Bergkamm erreicht hatte, spürte ich die Morgendämmerung. Die Bergspitzen färbten sich weiß wie Wellenkämme, während all die Klüfte und Mulden von Nacht erfüllt blieben. Hinter mir, im Osten, sah man einen langen weißen Streifen, der die Umrisse der Berge kahl und scharf hervortreten ließ. Die Sterne wirkten fremd. Eine frische Brise fächelte meine Wange und raschelte im Gras und in den Sträuchern. Vor mir, auf einer einsamen Klippe, kam mein Ziel in Sicht: ein großes Dorf, viereckig gebaut wie eine Festung. Seine Gebäude färbten sich bald zart wie eine Wildrose und wurden dann flammend rot – ein herrlicher Anblick vor dem dunkelblauen Himmel, der immer noch von Sternen übersät war. Ein grelles Licht auf einer Fensterscheibe. Die Sonne war aufgegangen.

      Einige Engländer, denen ich von meiner Absicht erzählte, einen Mann aus der türkischen Armee freizukaufen, hielten es für Irrsinn. Ich würde die Menschen in diesem Land nicht so kennen wie sie. Man werde mich ausplündern, ins Elend stürzen, vielleicht ermorden. Sie, die seit zwanzig, dreißig Jahren im Land lebten, wüssten besser Bescheid als ich. Um des lieben Friedens willen stimmte ich ihnen zum Schein zu und trieb meinen Plan heimlich voran. Als ich aufbrach, ohne irgendjemandem davon zu erzählen, fühlte ich mich fast, als würde ich die Schule schwänzen, und mit derselben Abenteuerlust näherte ich mich nun Karameyn. Zwei Soldaten, die sich auf einem Erdhaufen sonnten, sprangen auf, als ich vor ihnen stand. Einer der beiden war der Mann, den ich suchte, der Schurke Rashîd. Sie führten mich zum Haus ihres Hauptmanns – ein bescheidenes Gebäude mit einem einzigen, spärlich möblierten Zimmer. Zahlreiche Soldaten folgten uns.

      Der Hauptmann – Hasan Agha –, ein alter Mann mit vernarbtem Gesicht und einem dicken, weißen Schnurrbart, trug eine komplette Uniform und zog, als ich eintrat, weiße Baumwollhandschuhe an. Er war einer der alten Alaïli, türkische Offiziere, die ihren Beruf während des Dienstes in einem Regiment oder Alaïl gelernt hatten statt in einer Militärschule, und seinen Männern gegenüber benahm er sich keineswegs wie ein Zuchtmeister. Er nannte sie liebevoll »meine Kinder«, und sie verhielten sich zwar respektvoll, aber unterhielten sich freimütig in seiner Gegenwart. Hasan Agha machte mir zahlreiche Komplimente und erkundigte sich immer wieder nach meinem Befinden. Von meinen geschäftlichen Anliegen wollte er nichts wissen, ehe ich nicht gefrühstückt hatte. Man habe ein Mittagessen für mich vorbereitet, sagte er, doch das sei erst in ein paar Stunden fertig. Ob ich so freundlich wäre, mit einem Ersatz vorliebzunehmen? Noch während er sprach, trat ein Soldat mit einem Tablett ein, darauf arabisches Fladenbrot, eine Schüssel saure Milch und Trauben. Ein anderer Soldat begann Kaffee zu mahlen, während ein dritter auf die Holzkohle in einer Kohlenpfanne blies. Ich weigerte mich, zu essen, wenn mein Gastgeber mir nicht Gesellschaft leistete, was er nach langem, höflichen Widerstand auch tat. Nach der Mahlzeit unterhielten wir uns, und die Soldaten beteiligten sich an unserem Gespräch. Sie erzählten mir von vergangenen Kriegen und mutigen Taten. Hasan Agha war anscheinend ein berühmter Kämpfer, und seine Männer bemühten sich sehr, ihn zu überreden, von seinen Schlachten zu erzählen. Sie holten einen alten Mann aus der Stadt, der im Krimkrieg gekämpft hatte und Englisch sprach. Bevor es zu heiß wurde, zeigten sie mir die Baracken und ein klappriges altes Feldgeschütz, das sie zu vergöttern schienen. Dann folgte das Mittagessen mit seiner langen Reihe arabischer Gerichte, von denen schließlich auch die Soldaten etwas abbekamen. Rashîd versicherte mir später, alle Speisen für diesen Anlass seien »geliehen«. Dies geschah in den glorreichen Tagen Abdul Hamids. Nach dem Essen gab es Kaffee und weitere Komplimente, und dann kamen wir endlich zum Geschäft.

      Ein Amtsschreiber wurde hereingeführt. Er schrieb einen Beleg für mich und das von Rashîd benötigte Entlassungspapier. Hasan Agha stempelte beide Dokumente mit einem staatlichen Siegel und überreichte sie mir im Austausch für das Geld.

      »Bismillah!«, rief er. »Ich bezeuge hiermit, dass Rashîd, der Sohn Alis, genannt der Schöne, von nun an frei ist und gehen kann, wohin er will.«

      Zu mir sagte er: »Rashîd ist ein guter Junge und wird Euch nützlich sein. Sein größter Fehler ist, dass er beim Befolgen von Befehlen gerne nachdenkt und eine eigene Methode ersinnt, die nicht immer gut ist. Auch verfällt er leicht den Reizen der Frauen, ein Makel, der ihn schon oft in seltsame Situationen gebracht hat.«

      Die letzte Bemerkung wurde mit lautem Gelächter quittiert und bezog sich offenbar auf einen mir unbekannten altbewährten Scherz. Rashîd wirkte ziemlich verlegen. Hasan Agha wandte sich an ihn und sprach: »Mein Sohn, preise Allah für dein großes Glück, dass ein so edler und gütiger Mensch wie unser geliebter Gast, der von nun an dein Herr ist, Gefallen an dir gefunden hat. Denk daran, dass er anders ist als ich … der einst wie du war und die Tricks kennt. Diene ihm freimütig mit deinem Verstand und deiner Seele und deinem Gewissen, warte nicht auf Befehle wie in der Armee. Möge Gott dich jetzt und immerdar begleiten! Vergiss nicht all die guten Lehren deiner Soldatenzeit. Sei gewiss, dass wir für deinen guten Herrn und für dich beten.«

      Der