Название | Die Stimme |
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Автор произведения | Bernhard Richter |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783894878207 |
Kehlkopf
Die komplexen Funktionsabläufe und der vielschichtige Aufbau dienen der primären Funktion des Kehlkopfes, die Atmung bei gleichzeitigem Schutz der unteren Atemwege sicherzustellen. Hierfür gibt es im Kehlkopf Auf- und Zubewegungen, die in unterschiedlichen Ausprägungen möglich sind. Die Stimmgebung hat sich sozusagen als »Nebenprodukt« dieses komplexen Verschlussmechanismus herausgebildet. Als Merkregel für den anatomischen Aufbau kann man vereinfacht formulieren, dass die für die Stimmgebung wesentlichen Elemente des Kehlkopfes aus fünf Knorpeln, fünf Muskeln und einem dreischichtigen Aufbau der Stimmlippen bestehen. Die Muskulatur des Kehlkopfes ist beim Singen und Sprechen nicht unmittelbar steuerbar. Die Feinschwingungen der Stimmlippen erzeugen im Sinne der Myoelastisch-aerodynamischen Theorie den primären Kehlkopfton. Dieser kann in seiner Tonhöhe (Grundfrequenz), seiner Stärke durch Veränderungen der Stimmlippenlänge, -spannung und -schließungsgrad sowie der seitlichen Auslenkung der Stimmlippenschwingungen und Modifikation des subglottischen Drucks stark variiert werden. Das Kölner Männerquintett Wise Guys hat die physiologischen Vorgänge der Tonerzeugung im Kehlkopf in ihrem Lied Sing mal wieder prägnant – und physiologisch nicht uninformiert – zusammengefasst:
Wenn die Luft aus der Lunge Richtung Kehlkopf fließt,
wenn das Stimmbandsystem alles gut verschließt,
wenn die Stimmlippen mitwippen, bis sie richtig schwingen,
bezeichnet man den Vorgang allgemein als »Singen«.
Der Kehlkopf ist dabei der Tongenerator,
die Stimmbänder sind gewissermaßen der Vibrator.
Über sechzig Muskeln geben Gas,
doch das Allerbeste: Singen macht Spaß!
Resonanzräume
Begriffsdefinitionen
Stimmliche Äußerungen sind keine Töne, die nur im Kehlkopf entstehen, sondern Klänge, die in ihrem Klangcharakter und ihrer Tragfähigkeit wesentlich durch die resonatorischen Eigenschaften der Räume oberhalb der Stimmlippenebene modifiziert werden (vgl. Kap. 4, S. 79 ff.). Diese an der Klangformung beteiligten Räume werden im Deutschen nicht einheitlich bezeichnet. Manche Autoren sprechen vom Vokaltrakt, andere vom Ansatzrohr oder auch Ansatzraum, wieder andere von den Artikulations- oder Resonanzräumen. Unklar ist auch, was den Resonanzräumen zugeordnet werden soll. Hier findet sich eine ähnliche Situation wie bei der Atmung. Von einigen Sängern werden die Partien des Körpers, in denen Vibrationsempfindungen spürbar sind – vom Brustbein bis zur Schädeldecke – zu den Resonanzräumen gerechnet. Aus historischer Perspektive sind hier die Zeichnungen zur Vibrationsempfindung einzelner Töne von Lilli Lehmann interessant (vgl. Abb. 2, S. 22).
Auch bei der Resonanz gibt es einige Begriffe, die sich vornehmlich von der Vibrationsempfindung ableiten lassen, wie: »Vordersitz«, »Maskenklang«, »In die Maske singen« etc. Physikalisch-akustisch erfolgt die Klangformung jedoch vornehmlich durch die Räume oberhalb der Stimmlippen bis zu den äußeren Lippen.
Anatomische Begrenzungen
Die Resonanzräume werden anatomisch im Wesentlichen durch den Larynxeingang, den Pharynxschlauch, die Mundhöhle mit der Zunge und das Gaumensegel sowie die Lippen begrenzt (Abb. 47 a/b).
Das Gaumensegel und die Zunge sind mit zahlreichen Muskeln ausgestattet, wie in Abbildung 48 zu sehen ist. Der Teil des Gaumensegels, der das Zäpfchen bildet, ist in der Lage, zusammen mit einer Vorwölbung der Rachenhinterwand, dem sogenannten Passavant‘schen Wulst, den Nasenrachenraum fest zu verschließen (Abb. 49 a/b, S. 58).
Abb. 47 a/b: Anatomische Grenzen der Resonanzräume; a) anatomische Zeichnung, b) Darstellung im MRT
Abb. 48: Muskulatur der Zunge und des Gaumensegels in Relation zu Zungenbein und Kehlkopf
Bei Kontraktion dieser sehr beweglichen Muskeln ändern sich die Ausdehnung und Form der Hohlräume in drastischer Weise, wie Abbildung 50 a/b zeigt. Da das Gaumensegel bei der Artikulation der Vokale zumeist geschlossenen ist, erfolgt die Klangformung – zumindest beim klassischen Gesang – ohne wesentliche Beteiligung der zahlreichen luftgefüllten Räume der Nase und der Nasennebenhöhlen (Abb. 51). Ausnahmen hiervon sind natürlich die klingenden Konsonanten [m] und [n|, bei deren Bildung Luft durch die Nase geführt wird. Bei manchen Gesangs- oder Sprechstilen ist auch bei der Vokalbildung ein nasaler Beiklang hörbar, wie z. B. bei den französischen Nasalen, so dass in diesen Fällen auch die Räume der Nasenhaupthöhle an der Klangformung beteiligt sein können.
Abb. 49a/b: MRT-Darstellung bei Phonation mit a) leicht geöffnetem Nasenrachenraum und b) festem Verschluss des Nasenrachenraumes durch Kontraktion des Gaumensegels (Pfeil) und des Passavantschen Wulstes (Pfeil)
Abb. 50 a/b: Variation der Stellung der Zunge und des Gaumensegels bei der Artikulation unterschiedlicher Laute: a) nasales [e], b) dichtes [æ]; MRT-Aufnahme
Länge und Form – Akustische Implikationen
Um die Akustik der Hohlräume berechnen zu können, die den Stimmlippen nachgeschaltet sind, wird vorgeschlagen, das in Abbildung 51 modellhaft gezeigte Röhrensystem so zu verstehen, dass es – ähnlich dem Röhrensystem einer Posaune – in seiner Länge variabel ist (Abb. 52 a/b). Terminologisch leitet sich von diesem Vorschlag der Begriff »Ansatzrohr« ab. In der physiologischen Klangformung beim Menschen sind die Begrenzungen der Resonanzräume jedoch überhaupt nicht starr wie in einem Rohr, sondern äußerst beweglich. Bei der Artikulation von Klang zu Klang ändert sich jedoch nicht nur die Länge des Systems – wie bei einer Posaune – sondern auch, je nach Vokal und Gesangsstil, der Querschnitt erheblich, wie anhand der Abbildungen 49–54 nachvollziehbar ist. Am treffendsten ließen sich die akustisch wirksamen Räume oberhalb der Stimmlippen mit dem Begriff »Klangformungsräume mit variablen Begrenzungen« beschreiben. Ein solcher Begriff wäre jedoch nicht praktikabel.
Abb. 51: Der Vokaltrakt als Röhrensystem; 3D-Rekonstruktion von MRT-Aufnahmen
Im Zusammenhang mit der Klangformung besonders interessante Muskeln sind die infrahyoidalen Muskeln inklusive dem M. sternohyoideus und dem M. omohyoideus. Letzterer zieht vom Zungenbein nach unten und hinten Richtung Rücken und dort bis zum Schulterblatt (s. Abb. 25 a/b, S. 44). Wenn der Muskel aktiviert wird, kommt es zu einer Tieferstellung des Kehlkopfes. Man kann diese Muskelaktivität