Название | Die Stimme |
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Автор произведения | Bernhard Richter |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783894878207 |
Das Stimmlippenepithel als oberste Schicht ist im gesunden Zustand sehr flexibel und über die lockere Verschiebeschicht leicht gegen die tiefer liegenden Strukturen beweglich. Als einfach nachvollziehbares Modell, in welcher Weise Gewebsschichten gegeneinander verschoben werden können, kann die Haut an unserer Handoberfläche dienen, die mühelos gegen die darunterliegenden Muskeln und auch die Mittelhandknochen bewegt werden kann (Abb. 38 a). Wie leicht und wie weit eine Oberhaut gegen die unter ihr liegenden Strukturen mobilisiert werden kann, hängt wesentlich vom Spannungszustand der tiefer liegenden Schichten ab: Wenn die Spannung in der Tiefe zunimmt, vermindert sich die Mobilität der oberen Schicht. Auch diese Eigenschaft der Stimmlippe kann an unserem Handmodell leicht nachvollzogen werden. Wenn man nämlich die Hand zu einer Faust ballt und damit die Muskulatur anspannt, wird auch die darüberliegende Hautschicht gespannt, und die zuvor bestehende Verschieblichkeit zur Unterfläche wird aufgehoben (Abb. 38 b). Hier besteht eine zusätzliche Analogie zur Lippe des Mundes: Auch diese ist aus Muskeln, Bändern und bedeckender Haut (Lippenrot) mehrschichtig aufgebaut und kann ihre Spannung und Lage sehr flexibel ändern – man kann sagen glücklicherweise, denn sonst wäre das Küssen eine reichlich »steife« Angelegenheit.
Abb. 37: Dreischichtiger Aufbau der Stimmlippe in Anlehnung an Tillmann (2009)
Abb. 38 a/b: Verschieblichkeit von Gewebsschichten: Handhaut; a) entspannte Hand, b) Hand zur Faust geballt
Anhand der Abbildungen 28 a (S. 46) und 31 (S. 47) ist es nachvollziehbar, dass das Stimmband nur eine Teilstruktur der Stimmlippe ist und deswegen die in der Umgangssprache übliche Bezeichnung »Stimmband« für die gesamte Stimmlippe im Allgemeinen von Fachleuten nicht verwendet werden sollte. Die obersten verschieblichen Schichten der Stimmlippe werden im englischen Sprachgebrauch auch als cover, die tiefer liegenden Schichten von Bändern und Muskeln als body bezeichnet. Nur dieser anatomisch feingliedrige mehrschichtige Aufbau der Stimmlippen ermöglicht die Feinschwingungen derselben, wie sie im Absatz »Phonationsvorgang« auf S. 52 im Detail beschrieben wird.
In der Lebenszeitperspektive sind bei Kindern und Erwachsenen große Unterschiede der Ausbildung, der Größenverhältnisse und der Lage des Kehlkopfes zu beobachten (vgl. Kap. 10, S. 186 ff.).
Abb. 39 a/b: Respirations- und Phonationsstellung der Stimmlippen in der Laryngoskopie; Aufnahme mit einem Stroboskop der Fa. XION
Primäre Funktion des Kehlkopfes
Der Kehlkopf hat primär zwei Aufgaben. Zum einen muss er während der Atmung genügend Luft Richtung Lunge passieren lassen und zum anderen gleichzeitig einen Schutzmechanismus der unteren Atemwege bereithalten. Für die letztgenannte Aufgabe hat die Funktionseinheit Kehlkopf auf drei Ebenen Verschlussmechanismen, welche das Eindringen von Fremdkörpern oder Speichel – die sogenannte Aspiration – in die Luftröhre oder Bronchien verhindern sollen. Die unterste Verschlussebene stellen die Stimmlippen selbst dar (Abb. 39 a/b); die zweite ist die Ebene der Taschenfalten (Abb. 40, S. 51), die sich oberhalb der Stimmlippen befinden; die oberste Ebene ist der Kehldeckel, der beim Schlucken vom Zungengrund auf den Kehlkopfeingang verlagert wird (Abb. 41 a/b). Der Schutz der unteren Luftwege ist evolutionär vermutlich deswegen so aufwendig und redundant gestaltet, da eine Aspiration eines größeren Fremdkörpers zum sofortigen Ersticken führen würde und auch die Aspiration kleinerer Partikel eine Lungenentzündung nach sich ziehen kann – eine Erkrankung, die unbehandelt potenziell lebensbedrohlich ist.
Abb. 40: Schließung der Taschenfalten in der Laryngoskopie
Abb. 41 a/b: Stellung von Zunge und Kehldeckel (Epiglottis) a) in Ruhe vor dem Schlucken, b) bei Einleitung des Schluckvorgangs. Es ist die Verlagerung des Zungengrundes nach hinten/unten (Pfeil) und des Larynx nach oben (Pfeil) zu erkennen; MRT-Aufnahme
Phonationsvorgang
Die Stimmproduktion, auch als Phonation bezeichnet, wird sozusagen als Nebeneffekt dieses Schutzmechanismus möglich, da auf Ebene der Stimmlippen der oben beschriebene Auf- bzw. Zu-Mechanismus existiert. Die offene Stellung der Stimmlippen bei der Atmung bezeichnet man als Respirationsstellung, die geschlossene bei der Phonation als Phonationsstellung (Abb. 39 a/b).
Die grobe Auf-/Zu-Bewegung bezeichnet man als respiratorische Beweglichkeit. Die Bezeichnung für die Schließungsbewegung der Stimmlippen ist Adduktion, da sie auf die Mittellinie zwischen den beiden Stimmlippen gerichtet erfolgt, die Öffnungsbewegung bezeichnet man als Abduktion, da sie sich hiervon weg bewegt. Der Zwischenraum zwischen beiden Stimmlippen wird auch als Glottis bezeichnet. Wenn diese Bewegung periodisch mit Glottisöffnung und -schließung im Zusammenspiel mit dem aus der Lunge kommenden Luftstrom erfolgt, kommt es zur Produktion des Primärschalls (vgl. Kap. 4, S. 82). Der Grundton des Primärschalls kann in seiner Tonhöhe und der Gesamtschall in seiner Stärke durch Veränderungen der Stimmlippenlänge und Stimmlippenspannung sowie der seitlichen Auslenkung der Stimmlippenschwingungen (Schwingungsamplitude) und Modifikation des subglottischen Drucks stark variiert werden.
Von oben mit dem Kehlkopfspiegel oder Endoskop betrachtet, erscheint die Öffnung und Schließung der Stimmlippen in einer horizontalen Ebene zu verlaufen, die deswegen auch als Glottisebene bezeichnet wird. Wenn man jedoch ein Stroboskop oder eine Hochgeschwindigkeitsglottografie verwendet, ist es möglich, sich die Glottisöffnung nicht als lediglich horizontale Bewegung vorzustellen, sondern durch die Beobachtung der Feinstruktur und der wellenförmigen Bewegung der Stimmlippenoberfläche (sog. Randkantenverschiebung) den dreidimensionalen Charakter dieser dynamischen Öffnung zu erfassen (vgl. Kap. 3, Abb. 63, S. 71). Diese Feinschwingung der Stimmlippen bezeichnet man auch als phonatorische Beweglichkeit der Stimmlippen.
Abb. 42 a-f: Schematische Darstellung der dreidimensionalen Stimmlippenbewegung
Wie in Abbildung 42 a–f dargestellt, verläuft die Schwingung der Stimmlippen tatsächlich nicht in einer horizontalen Ebene, sondern die verschlossenen, phonationsbereiten Stimmlippen weisen in der dreidimensionalen Darstellung eine vertikale Kontaktfläche auf (42 a). Die Luftsäule, die von der Lunge über die Luftröhre bei der Stimmgebung von unten