Annie Dunne. Sebastian Barry

Читать онлайн.
Название Annie Dunne
Автор произведения Sebastian Barry
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299412



Скачать книгу

als ich und wird länger überdauern – zweifellos wird ihm und seinen bitteren Früchten eines Tages ein anderes Herz Gefolgschaft leisten, zur Erntezeit die winzigen Äpfel einsammeln und sie mit derselben Hingabe und Heiterkeit auspressen, wie ich es tue, voller Freude über die Großzügigkeit des Baumes, seine innere Ruhe und sein augenscheinliches Glück, seine Fruchtbarkeit. Er ist wie eine Mutter mit alljährlich tausend Kindern, dem Nachwuchs einer Bienenkönigin. Im Herbst summt der ganze Baum unhörbar vor sich hin, so aufgeregt sind seine Früchte.

      Da steht er nun, im dunklen Schiefer der Nacht, und breitet seine großzügigen, seine bitteren Arme aus.

      Das ist das Glück, das mir gewährt ist.

      Wenn ich mich überhaupt noch etwas ausruhen soll, wird’s Zeit, es noch einmal mit dem Bett zu versuchen, denn wenn erst die flinken Finger der Morgendämmerung an der Dunkelheit zupfen, müssen wir auf den Beinen sein. Ist deine Arbeit bis um zehn nicht getan, ist der Tag vergeudet. Ich gehe zurück ins Haus und schließe die Halbtür hinter mir, damit die Hühner nicht hereinspazieren. Natürlich sind sie jetzt alle in ihrem Stall eingesperrt; die Halbtür zu schließen zählt zu den Gewohnheiten des Tages. Meine Lieblingshenne, die uns mit jeder Menge glänzenden braunen Eiern versorgt, ist bei ihren Gefährtinnen. Tagsüber beobachte ich sie, wie sie, hübsch und reinlich, im Hof umhertrippelt und heimlich ihr Gelege plant. Sie legt ihre Eier gern an möglichst unzugänglichen Orten ab, bisher habe ich sie noch nie dabei ertappen können. Man braucht ein scharfes Auge und einen guten Instinkt, um reiche und noch warme Beute zu machen. Der Junge glaubt ihre Geheimnisse zu kennen, was ebenso wahr wie unwahr ist – er ist klein genug, dass sein Blick bis unter die Bretter reicht, auf denen das Heu gelagert wird, unter alte hölzerne Streben. Red Dandy, wie ich sie nenne, ist ein Rhode Island Red und, wie ich mit einigem Stolz sagen kann, eines meiner Hühner. Eine so gute Legehenne hat Sarah nicht. Ich schließe also die Halbtür, lasse aber durch die obere Hälfte die aufmunternde nächtliche Brise zur dunklen Küche herein. Er hat etwas Reinigendes, dieser angenehme Luftzug. Und dann schlüpfe ich wieder neben die schlafende Sarah, zwischen die steifen, gestärkten Laken, unter die farbenfrohe Bettdecke mit der immerwährenden Jagdszene. Und bin vollkommen zufrieden, im Einklang mit Gott und den Menschen. Auf meiner vom Wind noch leicht kühlen Haut spüre ich, wie die trockene Wärme, die von Sarah ausgeht, allmählich zu mir herübersickert. Der Schlaf überkommt mich, als würde ich beim Schwimmen in einem Fluss versinken.

      Fühlt sich die Dunkelheit von unseren Träumen gestört? Die ganze Gegend, die ganze sonnenabgewandte Seite der Erde träumt. Männer und Frauen, Schwestern, Brüder, in den ihnen zugewiesenen Betten. Wie zufällig das alles ist! Meine Träume sind so konkret wie das wirkliche Leben, schlüssig und klar. Darin sehe ich meinen Vater, den Polizisten, und meine Mutter in jungen Jahren, als sie es liebte, mit uns zusammen zu sein, und sich als seligste der Frauen empfand, weil sie drei Mädchen und einen kleinen Jungen hatte. Wir waren ihr trockenes Reich und ihr fahles Feld, auf dem sie nichts wachsen ließ; nur die tändelnde Sonne war zugelassen, damit sie für uns tanzte, ihr trockenes Lied für uns sang. So sehe ich meine Mutter oft in meinen Träumen: von hohem Wuchs, nicht wirklich schön, aber ruhig lächelnd. Eine Krankheit zehrte sie aus und entriss sie dieser tränenreichen Welt, da stand mein Vater in seinem fünfzigsten Jahr. Für uns zu sorgen war eine schwere, zeitraubende Aufgabe für ihn. Aber in meinen Träumen ist meine Mutter nicht tot, sondern ganz unverkennbar lebendig, unparteiisch und auf heitere Weise gerecht.

      Der Sommer bietet allgemeinen Frieden, vielleicht jenen Frieden, welcher höher ist denn alle Vernunft. Gott mag den irischen Winter im Sinn gehabt haben, als er diesen Satz in das Buch der Bücher schrieb. Meine Stimmung ändert sich mit den länger werdenden Tagen, dieser freundlichen List des Sommers, Ewigkeit vorzugaukeln, wenn die Sonne auf den Hof scheint und Shep angesichts dieses Lichts, der schweren Last der Hitze an diesen besonderen Tagen aus dem Staunen nicht herauskommt. Dieser anschwellende Jubel des Lichts, wenn ich am Morgen auf den Hof hinaustrete – so wird es hoffentlich im Himmel sein. Die Steine sind schon warm, haben sich in der Morgendämmerung aber noch nicht allzu sehr aufgeheizt. Das Regenwasser tief in der Erde sickert noch weiter hinab, und ein liebliches Leintuch aus Trockenheit breitet sich über das Land. Das Gras leuchtet, und die einzelnen Halme stehen getrennt voneinander wie die nicht zu bändigenden Fransen eines Stoffes. Auf dem Misthaufen bildet sich eine Kruste. Die Pisse der Kälber verdampft in den Rinnen wie Spucke auf einem heißer werdenden Backblech. Etwas Glattes, Glänzendes stiehlt sich auf die Dinge, auf Klinken und auf Insekten. In den langen, geduldigen Trieben, den Knospen des Holzapfelbaums, den kleinen, wie ein Scharnier geformten Flügelnüssen des Bergahorns kann man das Werk der Sonne fast hören. Wie frisch und belebt selbst das Laubwerk ist, voller Saft und Lebensfreude. Stein und Erde und Holz, unser kleiner Palast am Berghang, wo solche wie wir zu Hause sind.

      Wie anders unsere Geschichte verlaufen wäre, dürften wir Griechen oder Spanier sein und könnten uns auf dieses Sonnenlicht verlassen! Aber es ist nur eine List, denn so mancher Sommertag ist ein naher Verwandter des Winters. Und doch sind wir froh über diese List, wir zehren davon.

      Die Lämmchen habe ich noch nicht aus ihrem Schlupfwinkel zwischen den Laken gescheucht. Sollen sie ruhig ein bisschen länger liegen bleiben, sind ja noch Stadtkinder. Bald schon werden sie sich unserem Rhythmus angepasst haben und wie selbstverständlich mit dem ersten Hahnenschrei aufstehen, voller Energie. Der Zinkeimer in meiner Hand quietscht leise, als ich den taufeuchten Weg zum Brunnen entlanggehe, den Duft des Klees einsauge und den eigentümlich frischen Geruch des Weißdorns, ein so leichter Geruch, das man ihn kaum wahrnimmt, der bloße Hauch eines Geruchs. Die Zweige biegen sich unter der Last der Blüten. Die Hänge von Kelshabeg bringt er zum Leuchten, es ist eine einzige Pracht. Die höheren Grashalme streifen mein gepunktetes Kleid und hinterlassen eine feuchte dünne Spur, aber das schert mich nicht. Trotz meines Alters spüre ich ein Schwirren in meinen Knochen, eine Dankbarkeit, eine Lust auf dieses Abenteuer, und ich mache mir Gedanken über den Zustand des Brunnens. Ob sie schon vor mir da gewesen ist, die wilde Hexe von der anderen Seite des Feldwegs? Hat sie irgendeinen alten Schmutzeimer ausgewaschen und dabei Schlamm aufgewirbelt?

      Aber alles ist sauber und herrlich anzusehen: der Wasserspiegel, wie eine große steinerne Scheibe von langen Gräsern eingefasst; der kleine Stein, auf dem man kniet, trocken und einladend. So tauche ich denn meinen Eimer in den Brunnen, und dank meines Geschicks steigt nicht ein Klümpchen Dreck aus dem schwarzen Grund empor. Der Eimer säuft Wasser. Ein paar Ruderwanzen, kleine schwarze Tierchen, die umherflitzen, werden mit hineingeschwemmt. Sollen sie nur, das schert mich nicht. Sie werden dafür sorgen, dass das Wasser, wenn es, mit einem feuchten Musselintuch bedeckt, am Hauseingang steht, in Bewegung und damit frisch bleibt.

      Aus irgendeinem Grund muss ich an Mary Callan denken, wie sie ohne ein menschliches Wesen an ihrer Seite einsam in ihrem Bett liegt – gewiss eine schmutzige Schlafstatt aus stinkenden Laken. Vielleicht liegt sie ja auch nur auf Stroh, so wie in der alten Zeit, als Pachthäusler und ihresgleichen sich kein Bettzeug leisten konnten. Sie alle betteten sich auf Stroh, Erwachsene und Kinder, reich an Zahl, und im niedriger gelegenen Teil des Hauses legten sich die Tiere hin: wenn die Leute Glück hatten, eine Milchkuh mit ihrem Kalb, und wenn sie mehr Glück hatten als die meisten, auch noch ein hochgeschätztes Schwein. Der abschüssige Boden sorgte dafür, dass die Ausscheidungen der Tiere nicht zum heiligen Bezirk der Feuerstelle flossen, wo sich bei Anbruch der Nacht die Menschentiere zusammendrängten, um ihr Quentlein Behaglichkeit zu finden. Ich habe den Verdacht, dass Mary Callan noch immer an diesen aus der Not geborenen Bräuchen festhält. Sollte es nicht einen Hauch von Mitgefühl in mir auslösen, dieses düstere, einsame Leben, das dem meinen so ähnelt? Ich denke, das sollte es, und das tut es auch, aber ihren schmutzigen Eimer verfluche ich trotzdem.

      Nun, da das Tageslicht jeden Stein mit seinem Glanz überzogen hat und die Sonne über dem Giebel des Melkstalls steht, da ich Sarah getadelt habe, weil sie es versäumt hat, Daisy und Myrtle wieder auf die Weide zu bringen, und ihnen damit eine ungewohnte Nacht unter den von Spinnen besiedelten Dachsparren beschert hat, da ich die beiden Kinder geweckt und ihnen den Haferbrei zu ihrem Plätzchen am Kamin gebracht habe, wo sie wie die kleinen Würmchen, die sie sind, bereits mit ihren Löffeln lauern, kommt Billy Kerr herein. Ich bin weder sonderlich überrascht, ihn zu sehen, vielleicht will er ja den alten Pferdewagen reparieren oder ähnliches, noch bin ich sonderlich beunruhigt. Seit