Название | Medizin und Gesellschaft |
---|---|
Автор произведения | Andreas Kögel |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170372962 |
Abb. 4: Biomedizinisches Krankheitsmodell
Das biomedizinische Krankheitsmodell (
Eine typische Symptomkombination, für die (noch) kein Krankheitsmechanismus erkannt ist, wird als Syndrom bezeichnet. Es kann vorkommen, dass einem Syndrom verschiedene Krankheiten zugrunde liegen, die sich oberflächlich ähneln. Diese werden getrennt, sobald die Krankheitsmechanismen unterschieden werden können.
Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell bezieht sich u. a. auf die psychologischen Stresstheorien von Selye, Lazarus oder Jerusalem, die ab den 1960er Jahren entwickelt wurden.37 Das biomedizinische Krankheitsmodell wird erweitert, um zu erklären, weshalb manche Menschen unter ähnlichen äußeren Umständen krank werden, andere aber nicht. Vulnerabilität heißt übersetzt Verletzlichkeit, und zwar in Form einer individuell unterschiedlichen Anfälligkeit gegenüber Stress und Stressursachen (Stressoren). Vulnerabilität kann genetisch, organisch, psychologisch oder sozial verankert sein. Ein Mensch mit höherer Vulnerabilität hat ein größeres Risiko, infolge von Stress krank zu werden. Es geht dabei um Wahrscheinlichkeitswerte, die sich auf Populationen38 beziehen; für das einzelne Subjekt kann keine sichere Voraussage gemacht werden. Beispiele für Vulnerabilität wären
• ein genetischer Defekt, der die Entstehung bestimmter Krebserkrankungen begünstigt
• eine psychosozial nachteilige Herkunftsfamilie (z. B. Elternteile, die jähzornig, alkoholabhängig oder abweisend sind)
• eine Phase unzureichender Ernährung während eines Krieges oder einer Wirtschaftskrise
• allgemein schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Stress ist für das Modell sehr allgemein gefasst – im Prinzip jeder äußere Einfluss, der den Organismus oder die Psyche belastet. Im Alltagsverständnis denkt man bei Stress meist an schädliche Umweltreize wie Lärm oder Schadstoffe oder an soziale Konflikte. Stressoren können aber auch Mikroben sein, die den Organismus attackieren. In manchen Stresstheorien wird zwischen positivem und negativem Stress unterschieden, in anderen wird der Stressreiz vom Subjekt durch Attribution (Zuschreibung einer Bewertung) positiv oder negativ interpretiert. Mehrheitlich geht man heute davon aus, dass länger andauernder Stress grundsätzlich schädliche Folgen nach sich zieht.
Abb. 5: Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Die Doppelpfeile in der Darstellung (
Salutogenese
Das Konzept der Salutogenese wurde erstmals 1979 von Aaron Antonovsky vorgestellt.39 Salutogenese ist dabei als Gegenbegriff zur Pathogenese gedacht – anstelle der Entstehung von Krankheit soll untersucht werden, was die Bedingungen der Aufrechterhaltung bzw. Reproduktion von Gesundheit sind. Hier wird also die heute populäre Fokussierung auf Gesundheit eingeführt, wobei Antonovsky Gesundheit und Krankheit als Kontinuum auffasst, dessen beiden Endpunkte Ideal- bzw. Extremzustände sind.40 Zentral ist das Konstrukt eines Kohä renzbewusstseins bzw. Kohärenzgefühls (im Original: Sense of Coherence, kurz SoC), das den Umgang mit krankmachenden Einflüssen bzw. Stressoren reguliert. Antonovsky definiert den SoC als eine Art übergreifendes Vertrauen in eine geordnete und vorhersagbare Umwelt, das Gefühl, dass die Welt geordnet ist und die Dinge in einem vernünftig erwartbaren Rahmen dazu tendieren, gut auszugehen.41 Die Ähnlichkeit zu psychologischen Konzepten wie positiven Kontrollüberzeugungen bzw. hohen Selbstwirksamkeitserwartungen ist naheliegend.42 Der Unterschied liegt laut Antonovsky in der stärkeren Handlungsorientierung von Kontrolle und Selbstwirksamkeit, während der SoC sich auch auf Aspekte bezieht, die grundsätzlich nicht direkt kontrolliert werden können. Er verdeutlicht dies später anhand einer Aufgliederung in drei Einzelkomponenten (
Tab. 2: Sense of Coherence (Kohärenzgefühl) nach Antonovsky
Wenn man Kontrolle und Selbstwirksamkeit nicht nur auf aktives Handeln beschränkt, sondern auch als eine Form der Deutung von Wahrnehmungen auffasst, kann man sie gut in den SoC integrieren. Ein Erkennen der Geschehnisse in der Umwelt als sinnvoll und erwartbar ist demnach eine Form der Kontrolle,