Medizin und Gesellschaft. Andreas Kögel

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Название Medizin und Gesellschaft
Автор произведения Andreas Kögel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783170372962



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Behinderung, chronische Krankheit und das Altern.

      Der Verfasser ist der Meinung, dass es nicht Aufgabe der Soziologie ist, eine bessere Definition von Krankheit und Gesundheit zu liefern, sondern die Plastizität der Begriffe aufzuzeigen und auch die Plastizität der damit bezeichneten Phänomene, insbesondere in den Rand- oder Grauzonen: Phänomene, die früher als Krankheiten galten wie Homo- und Intersexualität oder neue Krankheitsbilder wie ADHS und Burnout, darüber hinaus das Altern und die daran andockende Anti-Aging-Medizin. Zum Vergleich von Einordnungen kann man an zwei Achsen eine Vier-Felder-Tabelle konstruieren: Früher/heute und hier/woanders. Neben Krankheit gibt es andere, benachbarte Einordnungen: Krankhaft (als moralische Verfehlung), Befindlichkeitsstörung, Abweichung vom Normalen ohne weitere Zuschreibung, Andersartigkeit in einem Feld sozialer Vielfalt.

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      Abb. 1b: Komponenten individueller Krankheit und Gesundheit

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      Abb. 2: Bezugsebenen von Krankheit

      Der analytische Wert einer Unterscheidung von drei Bezugssystemen wird offensichtlich, wenn man sich Beispiele mit widersprüchlichen Diagnosen vor Augen hält. Es lassen sich dabei acht (23) Basiskonstellationen unterscheiden, in folgender Tabelle mit der Klassifikation »krank« markiert (image Tab. 1).

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      Durch eine Ausdifferenzierung der Medizin (Berufshierarchien, verschiedene Fachbereiche oder schlicht die Möglichkeit abweichender Einschätzungen durch andere Ärztinnen und Ärzte) oder der Gesellschaft (Arbeitgeber, Familie, Krankenkasse usw.) lassen sich die Konfliktmöglichkeiten beliebig vervielfachen. Vor allem sagt das Schema zunächst nichts darüber aus, wer Recht hat – gut sichtbar an der Konstellation Subjekt (krank)/Medizin (nicht krank)/Gesellschaft (nicht

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      krank). Haben Medizin und Gesellschaft recht, liegt Hypochondrie vor. Hat das Subjekt recht, wird seine Krankheit nicht korrekt erkannt, ignoriert oder mangelhaft gewürdigt.

      Biomedizinisches Krankheitsmodell

      Das basale Krankheitsmodell der wissenschaftlichen Medizin geht von einem Normalzustand des Organismus aus. Krankheit ist eine Störung dieses Zustands, Gesundheit entsprechend die Abwesenheit von Störungen. In den meisten Büchern zur Medizin- oder Gesundheitssoziologie wird dieses Modell einerseits kritisiert und als Ausgangspunkt für psychosoziale Erweiterungen verwendet, von denen einige weiter unten vorgestellt werden. Andererseits ist es für viele konkrete Anwendungsfälle ausreichend bzw. instruktiv (man kann etwas damit anfangen, positiv oder negativ).

      Modell

      Modelle sind immer Vereinfachungen der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist beliebig komplex und kann nicht direkt oder gar vollständig erfasst werden. Ein Modell konzentriert sich je nach Bedarf auf bestimmte Einzelaspekte und lässt andere weg. Der Verzicht auf Komplexität ermöglicht einen