Respekt!. Per Jensen

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Название Respekt!
Автор произведения Per Jensen
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783866907713



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       Was geht mich das an?

      Doch warum sollten einem Nutztiere und ihr Leben nicht gleichgültig sein? Geht es nur darum, dass sie uns »leidtun«, vielleicht gepaart mit einer irrationalen und nostalgischen Vorstellung von Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion? Nein, es gibt mindestens drei schwerwiegende Gründe dafür, dass Sorge um das Wohlbefinden von Tieren uns alle etwas angeht.

      Zunächst einmal ist es natürlich eine rein ethische und moralische Frage. Ist es zu rechtfertigen, lebendige Wesen wie Maschinen und Waren zu behandeln? Ist es akzeptabel, dass besondere »Erntemaschinen« benötigt werden, um zehntausende Hühner über ein Fließband aus einem Stall in die Transportfahrzeuge zu laden, die sie zum Schlachthof bringen werden? Oder dass jedes Jahr sieben bis acht Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet werden, weil sie für die Eierproduktion wertlos sind und es sich nicht lohnt, sie aufzuziehen, bis sie gegessen werden können? Eine Meinung dazu, ob dieses Vorgehen berechtigt ist, hängt natürlich auch davon ab, wie Tiere empfinden und erleben. Darüber kann dieses Buch hoffentlich ein Stück weit Aufschluss geben.

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       Viele Menschen lieben es, ihre Katzen und Hunde zu verwöhnen, doch die wenigsten haben einen engeren Bezug zu Tieren, die gehalten werden, um uns als Nahrung zu dienen.

      Sollte man dennoch der Meinung sein, dass es moralisch vertretbar ist, bei Wohl und Wehe der Tiere Kompromisse einzugehen, um unserem Wunsch nach günstigem Essen nachzukommen, gibt es einen zweiten wichtigen Grund, sich die Sache noch einmal zu überlegen. Was für Produkte werden denn aus Tieren gefertigt, die unter industriellen Bedingungen aufgezogen werden? Sowohl Hühner als auch Schweine werden nach einer intensiven Wachstumsperiode ganz jung geschlachtet. Kann ihr Fleisch wirklich genauso gut schmecken wie das eines Tieres, das langsamer wachsen durfte und bei der Schlachtung entsprechend älter ist?

      Stress im Zusammenhang mit Aufzucht und Schlachtung kann sich auch auf den Geschmack des Fleisches auswirken und es mitunter völlig ungenießbar machen. Vielleicht kann also der Wunsch nach gutem und nahrhaftem Essen Grund genug sein, sich darüber Gedanken zu machen, was für ein Leben die Tiere hatten, aus denen es hergestellt wurde.

      Wenn nicht einmal dieses Argument zieht, sollte man daran denken, welche Folgen die Tieraufzucht für unsere eigene Gesundheit hat. Je mehr Stress und schlechter Haltung die Tiere ausgesetzt werden, desto größer ist das Risiko, dass sie krank werden. Um dies zu vermeiden, werden Millionen und Abermillionen von Tieren weltweit vorbeugend mit Antibiotika behandelt. Die Medikamente werden einfach unter das Futter gemischt. In Schweden, wo in der Tieraufzucht weltweit mit am wenigsten Antibiotika zur Anwendung kommen, ist das zwar verboten, dennoch sind die Auswirkungen dieser Vorgehensweise auch auf unsere Gesundheit erheblich. Konsequenz der großzügigen Medikation in anderen Ländern ist eine zunehmende Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien, die uns selbst infizieren können. Die Weltgesundheitsorganisation bewertet diese als eine der größten globalen Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Pro Jahr entwickeln beispielsweise eine halbe Million Menschen Tuberkulose, die gegen nahezu sämtliche Antibiotika resistent ist, und die Behandlung aller Krankheiten, von Lungenentzündung bis hin zu Krebs, wird immer schwieriger.

       Im Kopf der Tiere

      Es ist bedauernswert, dass die meisten Konsumenten so weit entfernt von den Tieren leben, die ihnen als Nahrung dienen. Würde man sein eigenes Schwein aufziehen und es bis zum Augenblick der Schlachtung täglich um sich haben, könnte man vermutlich leichter nachempfinden, wie es fühlt. All diejenigen, die einen Hund haben, wissen ja auch, wann dieser glücklich und wann er niedergeschlagen ist. Der tägliche Umgang mit der eigenen Katze sorgt dafür, dass man ihre unterschiedlichen Gefühlsäußerungen leicht wiedererkennen kann. Aber Schweine, Hühner und Kühe bekommen wir meist gar nicht zu Gesicht, ehe sie in ihre Einzelteile zerlegt worden sind. Darum können wir uns auch von ihnen distanzieren und uns einreden, dass sie vermutlich nicht so viel fühlen, dass ihr Seelenleben einfacher gestrickt ist als das unseres Hundes oder unserer Katze.

      Unabhängig davon, ob es einem vorrangig um die Gefühle der Tiere geht oder ob man findet, dass unsere eigene Gesundheit am wichtigsten ist, gibt es also schwerwiegende Gründe, sich dafür zu interessieren, wie unser Essen produziert wird. Dieses Buch hat zusätzlich noch einen anderen Ansatz: Es ist unglaublich unterhaltsam und interessant, mehr darüber zu erfahren, was Tiere denken und empfinden. Zu versuchen, sich in die Gedankenwelt eines Huhns oder die Gefühle eines Schweins hineinzuversetzen, ist in vielerlei Hinsicht eine revolutionäre Erfahrung. Vor nicht allzu langer Zeit meinten viele Verhaltensforscher noch, dass die Erfahrungen von Tieren unmöglich mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden könnten; die Wissenschaftler von heute haben jedoch eine ganze Reihe neuer intelligenter Experimente entwickelt, die Aufschluss darüber geben, was in den Gehirnen von Tieren eigentlich vor sich geht. Wie Sie feststellen werden, sind die Ähnlichkeiten mit uns Menschen in vielen Fällen größer als die Unterschiede. Was dies nun für Ihr Engagement hinsichtlich der Nahrungsmittelproduktion bedeutet, müssen Sie selbst entscheiden.

      02.

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       ZU BESUCH IN DER TIERWELT

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      »Die Sehnsucht eines Huhns nach einer Stange kann stärker sein, als wir es uns vorstellen können.«

      IHRE WELT IST ANDERS

      SEHEN SIE SICH UM. Glauben Sie, Sie nehmen die Welt so wahr, wie sie ist? Sie sehen vermutlich grüne Bäume und Gras, einen blauen Himmel und eine Sonne, die sich manchmal hinter den Wolken versteckt. Vielleicht eine spiegelnde Wasseroberfläche auf einem See oder die Lichtreflexe auf einem nassen Asphaltweg. Aber sieht die Wirklichkeit tatsächlich so aus?

      Und was hören Sie? Vielleicht ein wenig Vogelgesang, Auto- und Baustellenlärm. Stimmen anderer Menschen. Aber ist das alles, was zu hören ist? Wie steht es um all die Gerüche, die Sie wahrnehmen können, um Berührung, um Geschmack? Sind Sie sicher, dass Sie ein vollständiges und objektives Bild davon haben, wie unsere Welt beschaffen ist? Die meisten gehen wohl davon aus, dass die Welt genau so ist, wie wir sie mit unseren gesammelten Sinneseindrücken begreifen.

      Aber so ist es in Wahrheit nicht. Was Sie und ich von unserer Umwelt erfassen, stellt nur einen kleinen und begrenzten Teil all dessen dar, was wir wahrnehmen könnten, wenn unsere Sinnesorgane anders ausgeformt wären. Wir sind vollständig blind und taub für vieles, was Tiere sehen und hören. Uns fehlt beispielsweise gänzlich die Möglichkeit, die Ausrichtung des Erdmagnetfelds wahrzunehmen. Kühe und Schafe können es spüren und nutzen es, um sich zu orientieren. Im Gegensatz zu Hühnern können wir außerdem ultraviolettes Licht nicht sehen. Ihr Farberlebnis auf einer Blumenwiese ist, verglichen mit dem unseren, ein ganz anderes.

      Obwohl wir alle auf derselben Erde leben, sieht diese also, verglichen mit dem, was ein Huhn oder ein Schwein wahrnimmt, für uns ganz anders aus. Wollen wir einen besseren Einblick in das Leben dieser Tiere erhalten, müssen wir wissen, wie ihre Sinnesorgane funktionieren. Dabei stellt sich schnell heraus, dass unsere eigenen Sinne äußerst begrenzt sind. Tatsächlich ist unsere Welt so viel kleiner als die ihre.

       Augen auf

      Lassen Sie uns mit dem Sehsinn beginnen. Wir Menschen können mithilfe dreier unterschiedlicher Arten von farbempfindlichen Rezeptoren (Sinneszellen) in der Netzhaut, den sogenannten Zapfen, mehr als eine Million unterschiedlicher Farbnuancen wahrnehmen. Die meisten anderen Säugetiere inklusive Katze, Hund, Schwein, Schaf und Rind verfügen nur über zwei Typen solcher Rezeptoren und sehen deshalb weniger Nuancen. Aber auf der anderen Seite können sie nachts weitaus besser sehen als wir. Das liegt daran, dass zwar ihre Netzhaut ungefähr genauso viele lichtempfindliche Rezeptoren