Verhaltenstherapeutische Paartherapie. Elisa Ewald

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Название Verhaltenstherapeutische Paartherapie
Автор произведения Elisa Ewald
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170351127



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gemeinsame Identität und Zugehörigkeit (familiär-kontextuell)

      Einige dieser Bedürfnisse lassen sich nur befriedigend erreichen, wenn die Partnerschaft als sicher und dauerhaft angelegt eingeschätzt wird. Viele Menschen wünschen sich deshalb auch eine lebenslange Beziehung und unterschätzen am Beziehungsanfang die Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung bzw. Trennung – gleich dem Motto: »Die anderen: Ja. Wir auf keinen Fall!« Entsprechend der oben genannten Bedürfnisse bzw. Erwartungen an die eigene Partnerschaft werden Konflikte im privaten Bereich als besonders belastend erlebt. Die Auflösung einer Beziehung wird in der Life-Event-Forschung neben dem Verlust des Partners durch den Tod zu den am stärksten belastenden Ereignissen im Lebenslauf eines Menschen gezählt (Bloom et al. 1978).

      Angesichts des Familienzyklus’ und kritischer Lebensereignisse werden Paare immer wieder im Alltag herausgefordert (image Tab. 0.1). Dabei ist es wichtig, sich über die individuellen Bedürfnisse auszutauschen, wenn sie sich nicht zunehmend entfremden wollen bzw. Konflikte offen bestehen bleiben.

      Gleichzeitig beginnt im weiteren Verlauf einer dauerhaft angelegten Partnerschaft ein gegenläufiger Prozess: Wenn auch einerseits einige Bedürfnisse befriedigt werden, kommt es andererseits zu einer Habituation an vormals sexuell attraktive Stimuli, zur realistischeren Wahrnehmung des Partners und der eigenen Person sowie zum Verlust von Verstärkerqualität partnerschaftlichen Handelns.

      Längsschnittstudien zeigen daher, dass bei allen Paaren im Durchschnitt eine Abnahme der Zufriedenheit über die Zeit zu erwarten ist (Lavner und Bradbury 2010; Kamp Dush et al. 2008). Allerdings lassen sich verschiedene Verläufe differenzieren: Einigen Paaren gelingt es, eine hohe bzw. mittlere Zufriedenheit zu stabilisieren sowie die Zufriedenheit ggf. im weiteren Verlauf (> 10 Jahre) noch einmal zu verbessern. Bei zwei anderen Subgruppen von Paaren nimmt die Partnerschaftszufriedenheit aber einen kritischen Verlauf: Bei einer Gruppe sinkt die anfangs hohe Zufriedenheit innerhalb weniger Jahre rapide ab; eine weitere Gruppe von Paaren beginnt bereits mit einer niedrigen Partnerschaftszufriedenheit und zeigt ebenfalls eine erhebliche Abnahme.

Images

      FamilienzyklusMögliche assoziierte kritische Lebensereignisse

      Wenn auch die Partnerschaftszufriedenheit ein stabiler Prädiktor für die Stabilität einer Partnerschaft ist, so fallen die Assoziationen zwischen beiden nur moderat aus. Einige Paare trennen sich, obwohl sie berichteten, glücklich gewesen zu sein; viele Paare bleiben unzufrieden über längere Zeit zusammen.

      In Deutschland betrug die Scheidungsquote 2017 ca. 37 % und nahm damit kontinuierlich von der höchsten Quote 2005 mit ca. 52 % ab (Statista 2019). Im Vergleich zu den 1970er Jahren nahmen die Scheidungen der Ehen mit längerer Dauer (> 15 Jahren) zu. Gleichzeitig stieg die Zahl der Eheschließungen im gleichen Zeitraum kontinuierlich leicht an; 2017 gaben sich ca. 408.000 Paare in Deutschland ein standesamtliches Ja-Wort. Ungefähr ein Drittel dieser Paare war bereits verheiratet. Dies verdeutlicht den bleibenden Beziehungswunsch trotz der Erfahrung einer gescheiterten Ehe.

      Bereits der Beziehungsstatus hat hierbei Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit. Getrennt Lebende bzw. Geschiedene wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit für somatische und psychische Beschwerden und einen beruflichen Ausfall als Verheiratete auf (Stimpson et al. 2012). Mit Blick auf psychische Störungen war das Erkrankungsrisiko bei verheirateten Frauen und Männern niedriger als bei Ledigen, wenn sich auch geschlechtsspezifische Unterschiede zeigten (Scott et al. 2010): Frauen berichteten bspw. häufiger von Depression und Panikstörung, wohingegen Männer häufiger substanzinduzierte Störungen beschrieben. Nach einer erst kürzlich zurückliegenden Scheidung wurden diese Unterschiede noch größer.

      Auch die Mortalitätsrate war studienübergreifend bei Verheirateten bzw. in Partnerschaft Lebenden niedriger als bei Ledigen und Geschiedenen (z. B. Carr und Springer 2010). Die Effekte fallen bei Männern üblicherweise stärker aus. Über den Beziehungsstatus hinaus sind fast alle psychischen Störungen mit einer niedrigen Partnerschaftsqualität assoziiert. Die negative partnerschaftliche Interaktion kann hierbei einerseits eine wichtige aufrechterhaltene Bedingung für psychische Störungen sein. Andererseits können Beziehungsstörungen auch zu externen Auslösern für psychische Störungen werden und die Wahrscheinlichkeit von Rückfallen erhöhen.

      Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass das Leben in einer intimen, erfüllenden Partnerschaft kulturübergreifend als besonders wichtig für das persönliche Glück ist und im Zusammenhang mit dem psychischen und physischen Wohlbefinden eine bedeutsame Rolle einnimmt. Immer häufiger werden im Rahmen der Behandlung psychischer Störungen unter Einbezug der Angehörigen und Partner Kommunikations- und Problemlösetrainings empfohlen, um zukünftige Rückfälle in dysfunktionale Verhaltens- und/oder Interaktionsmuster zu vermeiden. Positive Therapieeffekte sollen dadurch dauerhaft stabilisiert werden. Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Paartherapie (KVPT) gilt hierbei als die am besten untersuchte Behandlungsform für Paare und soll im vorliegenden Buch vorgestellt werden.

      Das Buch umfasst die grundlegenden theoretischen Modelle und das diagnostische sowie therapeutische Vorgehen beim Reziprozitäts-, Kommunikations- und Problemlösetraining. Diese Standardinterventionen werden durch motivationsfördernde, kognitive, akzeptanzbasierte und bewältigungsorientierte Interventionen ergänzt. Im zweiten Teil werden besondere Herausforderungen im Paarsetting fokussiert und bspw. das spezifische Vorgehen bei der Bewältigung sexueller Außenbeziehungen sowie Gewalt in der Partnerschaft beschrieben. Zudem werden Interventionen zur Unterstützung von Vergebungsprozesse sowie zur Förderung der partnerschaftlichen Sexualität vorgestellt. Sowohl zu den Standardinterventionen als auch den besonderen Herausforderungen im paartherapeutischen Setting werden an entsprechender Stelle allgemeine Kasuistiken und Beispielformulierungen bzw. Dialoge zur Veranschaulichung ergänzt. In einem gesonderten Kapitel werden außerdem einzelne Standardinterventionen im Rahmen eines Fallbeispiels dargelegt. Im Anschluss beschäftigt sich das Buch mit den Besonderheiten der therapeutischen Beziehung im triadischen Setting und gibt einen Überblick zu den Anwendungsgebieten sowie der wissenschaftlichen Evidenz. Abschließend wird auf Möglichkeiten zur Aus-, Fort- und Weiterbildung verwiesen.

      Zusätzlich nutzt das Buch verschiedene Elemente, die kurz vorgestellt werden und die Interpretation und Handhabung der vorgestellten Inhalte vereinfachen sollen.

      Inhaltliche Vertiefungen und zentrale Merksätze aus dem allgemeinen Fließtext werden mithilfe von grau hinterlegten Kästen abgebildet.

      Allgemeine Hinweise, Hilfestellungen oder Formulierungsbeispiele für den Behandlerwerden schwarz umrandet

      Kasuistiken, Fallbeispiele und exemplarische Dialoge werden mit einem grauen Balken an der Seite markiert.

      1 Ursprung und Entwicklung des Verfahrens

      Erste verhaltenstherapeutische Interventionen mit Paaren basierten auf Annahmen der operanten und sozialen Lerntheorien, z. B. dem lerntheoretischen Modell von Patterson und Reid (1970) und strebten die Förderung eines positiven Verhaltensaustausches zwischen den Partnern an. So wurden bspw. Verträge über positive Verstärker während der verhaltenstherapeutischen Paartherapie ausgehandelt, die die Partner im Alltag verbindlich anhielten, systematisch und wechselseitig vereinbarte Verstärker zuzuführen (Baucom 1982). Noch heute strebt das daraus resultierende Reziprozitätstraining (image Kap. 5.1.2) an, eine positive Bilanz der gegenseitig zugeführten Verstärker durch verschiedene Aufgaben systematisch wiederherzustellen.

      In Interaktionsanalysen fiel zudem auf, dass die langfristige Zufriedenheit mit der Partnerschaft sich am besten mithilfe von bestimmten Kommunikations- und Problemlösefertigkeiten vorhersagen lässt (für eine Übersicht siehe Karney und Bradbury 1995). Im Vergleich zu zufriedenen Paaren zeigten belastete Paare häufiger