Todesrunen. Corina C. Klengel

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Название Todesrunen
Автор произведения Corina C. Klengel
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947167081



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Nymphomanin hatte sie im Gerichtsprozess doch nachhaltig getroffen –, begrüßte sie ihn zwar freundlich, aber mit der gebührenden Distanz.

      Über seine Schulter hinweg sah sie Astrid Volkers aus ihrem Wagen steigen. Die Freundin ihrer Mutter begrüßte Gerred zu Tillas Überraschung sehr innig. »Gerred, wie geht’s dir und Dana?«

      »Danke, mir geht es gut. Dana braucht noch etwas, um den Schock zu verdauen, aber es geht schon wieder«, antwortete Gerred Assmut.

      »Gut! Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, bot Astrid an.

      Er nickte dankbar.

      Offenbar ging es um die junge Frau, die Tilla nun schon mehrfach bei ihm gesehen hatte. Niemand schien sie aufklären zu wollen und so kämpfte Tilla das bohrende Gefühl, außen vor zu sein, nur mühsam zurück. Sie führte die beiden ins Wohnzimmer, wo sich Gerred abschätzend umsah.

      »Und diese Möbel wollen Sie alle wegwerfen?«, fragte er ungläubig.

      Bevor Tilla ein grimmiges »Ja!« von sich geben konnte, warf Astrid erstaunt ein: »Du meine Güte, sagt bloß, ihr siezt euch? Ihr ward vielleicht keine Sandkastenfreunde, aber ihr müsstet euch doch von früher kennen.«

      Tilla blickte Gerred Assmut ins Gesicht, wobei sie noch immer die Narbe auszusparen versuchte. »Stimmt! Bleiben wir doch beim Du!«

      Gerred Assmut lächelte kurz und nickte. »Gern!«

      »Und nun zu Gerreds Frage … du willst doch sicher nicht all diese Möbel wegwerfen, oder?«

      »Na ja …« Tilla sah sich verunsichert um. Eigentlich hatte sie genau das gewollt. Sie hatte Gerred angerufen und ihn gefragt, ob er jemanden wüsste, der an den Sachen interessiert sei.

      Astrid nahm sie in den Arm. »Tilla Liebes, ich verstehe ja, dass du dieses Haus verändern und zu deinem Heim machen willst. Aber stell die Möbel doch einfach erst mal in den Keller. Dann kannst du in aller Ruhe überlegen, was du damit machen willst.«

      »Hm, ja, okay«, lenkte Tilla mit einem Anflug von Erleichterung ein. Natürlich war ihr klar, dass ihr Entschluss eine Trotzreaktion gewesen war, aber sie hatte einfach den Weg zurück nicht gefunden. Astrid bot ihr den Ausweg.

      »Du wirst sehen, wenn sich deine Seele beruhigt hat, dann stellst du fest, wie sehr du an diesen Möbeln hängst«, prophezeite Astrid und fügte humorig dazu: »Obwohl die meisten tatsächlich eher funktionell als schön sind.«

      Tilla musste lächeln, während ihr Blick durch das Wohnzimmer glitt, um dann an Paris hängen zu bleiben, die sie mit ihren gelben Augen fixierte. Die Katze hatte sich auf Großmutter Leandras Sessel niedergelassen, als wolle sie sagen: Der bleibt hier!

      Tilla grinste die Katze an. »Ist ja gut. Der Sessel wird nicht angerührt!« Paris antwortete mit einem kurzen Maunzen. An Gerred gewandt erklärte Tilla: »Weißt du, Mutsch, meine Mutter, hat nie viel Wert auf Äußerlichkeiten gelegt. Sie brauchte einfach Platz, um ihre Habe unterzubringen. Daher ist die Zusammenstellung der Möbel hier etwas stil- und lieblos geraten. Der einzige Raum, in dem meine Mutter wirklich lebte, war ihre Kräuterapotheke.«

      »Kräuterapotheke?«, echote Gerred interessiert.

      »Ja«, antwortete Tilla. »Die bekommt Astrid.«

      Gemeinsam verließen sie das Wohnzimmer. Vor dem Apothekenzimmer verhielt Tilla einen kurzen Augenblick. Sie hatte es bisher vermieden, den kleinen Raum zu betreten, in dem sie die Präsenz ihrer Mutter ganz besonders deutlich zu spüren glaubte. Nun öffnete sie die Tür mit einer resoluten Bewegung. Sechs schmale, raumhohe Schrankwände ragten gegeneinandergestellt in den Raum. Sie bestanden aus kleinen, mit hellen Intarsien verzierten Schubladen. Jede war mit einem runden Porzellangriff versehen. Darunter prangte, ebenfalls aus Porzellan, ein Schildchen, mit einem Hinweis auf den Inhalt.

      Völlig fasziniert sah sich Gerred um. »Unglaublich! So etwas Schönes hab ich noch nie gesehen.« Versonnen strich er über die rotbraunen Wangen der Schränke.

      Seine Begeisterung rührte Tilla. Sie wandte sich mit feuchten Augen ab und schritt durch den schmalen Gang bis zum Fenster. Astrid studierte derweil eine an der Wand hängende Karte des Harzes, in die kleine Fähnchen gepikt waren, die auf Pflanzenfundorte hinwiesen. Eine hölzerne Arbeitsplatte direkt am Fenster nahm die gesamte Zimmerbreite ein, rechts und links gesäumt von Regalen, gefüllt mit Fachbüchern über Kräuterheilkunde. Auf dem Tisch mit der groben Holzplatte stapelten sich Utensilien zum Bearbeiten der getrockneten Pflanzen und eine alte Waage nebst einem Kasten mit unzähligen Messinggewichten, die zum Teil mit Pinzetten bewegt werden mussten. Sonnenstrahlen spiegelten sich in der Damaszenerklinge von Hederas Messer, das auf seinen nächsten Auftrag zu warten schien. Die Lade mit dem Eisenhut hatte Tilla zurück in den Schrank geschoben. Nun betrachtete sie den Platz, wo sie gestanden hatte, mit Widerwillen.

      »Wirklich unglaublich«, wiederholte Gerred hinter ihr. »Nicht nur, dass diese Apothekenschränke eine herrliche Handwerksarbeit darstellen, auch diese Raumaufteilung ist ideal.« Mit begeistertem Blick sah er sich um. »Das Zimmer ist ja keineswegs groß und doch hat man das Gefühl, in einem Saal zu stehen. Ich komme mir vor wie in Harry Potters Hogwarts.«

      Tilla lachte herzlich. »Ja, früher hab ich den Raum auch immer Zauberzimmer genannt. Aber ich durfte hier nur spielen, wenn Mutsch dabei war.«

      »Tja, bei dem, was hier lagert, war das sicher nicht verkehrt.« Gerred fuhr mit den Fingern sanft über die Porzelanschildchen an den Laden. »Herba Verbenae, Urvae Ursi Folium, Radix Digtamni … Ich wünschte, ich verstünde etwas davon«, murmelte er ehrfürchtig.

      Tilla lehnte an der Wand. Die botanischen Namen erschienen ihr plötzlich wie etwas unendlich Vertrautes. Wie von selbst kullerten ihr die Worte aus dem Mund: »Herba Verbenae wird auch Druidenkraut genannt. Meine Mutter setzte es bei bestimmten Magenbeschwerden ein. Urvae Ursi Folium sind Bärentrauben zur Entgiftung der Niere und Radix Digtamni brauchst du sicher nicht, es reguliert die Monatsblutung.«

      »Gut!«, lobte Astrid erstaunt. »Ich hätte gar nicht gedacht, dass du so viel behalten hast.«

      Tilla grinste. »Ja ja, hast wohl gedacht, ich hätte nur Hanf und Hopfen im Sinn, nicht wahr?«

      »Hanf und Hopfen?«, fragte Gerred.

      »Cannabaceae«, erklärten Astrid und Tilla unisono.

      Tilla erklärte lächelnd: »Cannabis wird in der Schmerztherapie eingesetzt. Die meisten Hanfgewächse werden zur Beruhigung, also bei Schlafstörungen und bei leichten Depressionen eingesetzt, wie etwa der Hopfen.«

      »Ach, Hopfen ist Hanf?«

      »Ja. Aber der wirklich interessante Hanf ist der Rauhanf. Nur er enthält das Tetrahydrocannabinol. Wenn du ihn findest und die Lade öffnest, muss ich dich umbringen«, erklärte Tilla mit unschuldigem Augenaufschlag.

      »Okay, schon gut«, lachte Gerred.

      Tilla wanderte die Gänge ab und stutzte. Eine der Laden war nicht richtig zugeschoben. Ihre Mutter hatte stets darauf geachtet, dass sie sorgfältig geschlossen waren, um Verunreinigungen durch ätherische Öle anderer Pflanzen und Nachtrocknung zu verhindern. Vielleicht hatten die Polizisten sie aufgezogen. Warum hatte sie die offene Lade nicht bemerkt, als sie das letzte Mal hier gewesen war und das Aconitum Napellus zurück in den Schrank geschoben hatte? Tilla ging hinein und schloss die Schublade sorgfältig. Auch Astrid bemerkte es und runzelte die Stirn.

      »Warst du das?«, fragte sie mit leichtem Tadel.

      Tilla schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, muss ich ja wohl. Mist. Ich bin die letzte Zeit so zerstreut.«

      »Ist ja auch kein Wunder«, stellte Astrid versöhnlich fest.

      »Und Hedera hat all diese Kräuter selbst gesammelt?«, fragte Gerred.

      »Ja, die meisten davon«, antwortete Astrid. »Hier im Harz findet man eine selten reichhaltige Auswahl. Deswegen die Karte.« Astrid wies auf die Harzkarte neben ihr an der Wand. »Hedera arbeitete am liebsten mit den einheimischen Wildpflanzen. Sie sagte immer, dass die Menschen